Die Art und Weise, wie unser Ernährungssystem aufgestellt ist, hat erhebliche Auswirkungen auf unseren Planeten. So entnehmen wir der Natur seit etwa 1970 mehr Rohstoffe als nachwachsen können. Gleichzeitig stossen wir mehr Schadstoffe aus, als die Natur beseitigen kann.

Diverse Studien zeigen, dass die Landwirtschaft einen grossen Teil dieser negativen Auswirkungen verursacht. So sind global gesehen rund 70 Prozent der Verluste an Biodiversität und 80 Prozent der Entwaldung auf die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln zurückzuführen. Obwohl fruchtbarer Ackerboden die Lebensgrundlage schlechthin für die Produktion unserer Nahrungsmittel ist, gehen jährlich weltweit mehr als 24 Milliarden Tonnen allein durch Erosion verloren. Der Agrar- und Nahrungsmittelsektor verbraucht zudem ungefähr 70 Prozent des Süsswassers und ist für mehr als ein Viertel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich.

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Was die Welt herausfordert, gilt auch für die Schweiz. Deshalb müssen Lösungen gefunden werden, um den Wandel hin zu einem nachhaltigeren Ernährungssystem vollziehen zu können. Und das funktioniert nur, wenn der Wandel von allen mitgetragen wird. Umso wichtiger ist es, dass alle Interessengruppen von Anfang an mit an Bord sind. Anne Challandes vom Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband, Laura Spring von Vision Landwirtschaft, Lukas Fesenfeld von der Universität Bern und der ETH sowie Thomas Paroubek vom Migros-Genossenschafts-Bund beantworten kurz und kompakt diese Fragen:

1 Wie kann die Schweiz ihre Verantwortung gegenüber unserem Planeten und gleichzeitig in Bezug auf die nationale und weltweite Ernährungssicherung wahrnehmen?

2 Um die globalen Nachhaltigkeitsziele der UN sowie die Pariser Klimaziele zu erreichen, bedarf es Anpassungen in der Schweizer Agrarpolitik. Welche politischen Rahmenbedingungen müssen Ihrer Meinung nach geschaffen werden, damit die Transformation hin zu einer planetenfreundlichen Landwirtschaft gelingt?

3 Der Grossteil des ernährungsbedingten ökologischen Fussabdrucks der Schweiz fällt im Ausland an – gewisse Studien sprechen von zwei Dritteln. Welches sind hier die effizientesten Hebel, um diesen Fussabdruck zu verkleinern?

4 Werden Kaufentscheidungen der Konsumenten und Konsumentinnen die Schweizer Landwirtschaft nachhaltiger beeinflussen als langwierige politische Rahmenbedingungen?

Produktion im Inland unterstützen

Anne Challandes, Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbandes

 

1. Es gibt einen grossen Unterschied zwischen der industriellen Landwirtschaft in vielen Teilen der Welt und der Schweizer Landwirtschaft, wenn es um den Umweltabdruck geht. Die Schweiz kann deshalb ihre Verantwortung vor allem dadurch wahrnehmen, dass sie ihren Bauernbetrieben Sorge trägt. Es braucht geeignete Rahmenbedingungen, damit wir weiterhin zumindest die Hälfte unsers Essens selbst produzieren können. Wir gehören heute schon zu den grössten Nettoimporteurländern pro Kopf der Welt. Was sich auch in unserem ökologischen Fussabdruck niederschlägt: Dieser fällt zu mehr als zwei Dritteln im Ausland an. Je mehr Essen wir im Inland selbst anbauen, desto besser für die Umwelt.

2. Das Problem liegt aktuell vor allem beim einseitigen Fokus auf die Landwirtschaft. Hier wird oft das Pferd von hinten aufgezäumt. Wir Bauernfamilien produzieren ja nicht irgendwas, sondern das, was im Laden auch gekauft wird. Wenn wir also nur die Produktion steuern, bringt das nichts. Vor allem dann nicht, wenn die Importe keinen Auflagen unterliegen. Wir müssen also wegkommen von einer reinen Agrarpolitik und uns hin zu einer umfassenden Ernährungspolitik entwickeln. Diese muss auf dem Feld anfangen, den Detailhandel in die Mitverantwortung nehmen und auf dem Teller der Konsumentinnen enden. Und wir müssen wohl auch bereit sein, fürs Essen wieder einen angemesseneren Preis zu bezahlen. Dann gäbe es automatisch auch weniger Food Waste. Gerade Letzterer belastet die Umwelt völlig unnötig.

«Wir müssen bereit sein, fürs Essen wieder einen angemesseneren Preis zu bezahlen.»

 

3. Für mich gibt es drei wirksame Hebel. Erstens: Wir müssen einer nachhaltigen, inländischen Lebensmittelproduktion wieder eine grössere Bedeutung zumessen. Die Versorgung aller Menschen mit genügend Lebensmitteln ohne Übernutzung der Ressourcen ist eine der grossen Herausforderungen, vor denen wir alle stehen. Der zweite Hebel ist bei den Importen. Das Konzept des absoluten Freihandels, wie es zum Beispiel in den WTO-Verträgen steht, ist überholt. Es muss möglich sein, dass einzelne Länder den Importen produktionstechnische Auflagen machen. Das Freihandelsabkommen mit Indonesien war ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. Und der dritte Hebel ist die bereits erwähnte Reduktion von Food Waste. Wenn ein Drittel der produzierten Lebensmittel nie gegessen werden, dann ist das eine riesige Verschwendung und unnötige Belastung der natürlichen Ressourcen.

4. Die Kaufentscheidungen der Konsumentinnen und Konsumenten steuern die Schweizer Landwirtschaft unmittelbar. Was gekauft wird, wird produziert. Dieser Weg wäre viel schneller und viel effizienter als alle politischen Instrumente. Der Detailhandel und seine Angebots- und Preisstrategie könnten hier heute schon mehr Verantwortung wahrnehmen. Die aktuelle Realität ist, dass der Preis ein sehr relevantes Einkaufskriterium darstellt. Im steigenden Kostenumfeld sowieso. Dabei geben wir so wenig fürs tägliche Essen aus wie niemand sonst auf der Welt. Bei einem durchschnittlichen Haushalt ist es noch 6,5 Prozent des verfügbaren Einkommens.

Klare Spielregeln der Politik nötig

Laura Spring, Geschäftsführerin Vision Landwirtschaft

 

1. Mit einer konsequent standortangepassten Landwirtschaft und Ernährung. Das heisst Grünlandnutzung mit Kühen, Ziegen und Schafen welche das Gras verwerten können, aber weniger Schweine und Hühner und möglichst wenig Kraftfutter. Auf den Ackerflächen nur Lebensmittel für direkte menschliche Ernährung produzieren («Feed no Food»). Das wirkt aber nur, wenn sich auch die Ernährung gleichzeitig anpasst. Das würde massiv weniger Schweine- und Pouletfleisch bedeuten, dafür aber einen deutlich höheren Konsum von pflanzlichen Produkten. Damit das Ganze auch am Markt funktioniert, braucht es die Umsetzung von Kostenwahrheit. Das bedeutet, vereinfacht gesagt, dass am Schluss diejenigen Produkte im Regal für die Konsumentinnen und Konsumenten am günstigsten sind, welche auch für die Gesellschaft und die Umwelt am besten abschneiden. Aktuell haben wir das Gegenteil: Die Detailhändler bieten die Produkte günstig an, welche unseren Planeten, also unsere Lebensgrundlagen, am meisten schädigen.

2. Unser Ernährungssystem ist nicht nachhaltig. Um unsere Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen zu erhalten, braucht es eine Neuausrichtung über die gesamte Wertschöpfungskette. Diese ist gleichzeitig ein Schlüssel zur Erreichung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Die beiden grössten Hebel sind dabei die Anpassung unserer Ernährungsmuster und Verhalten (mehr pflanzliche Produkte) und die Förderung von nachhaltigen Produktionssystemen (Bodenschutz, möglichst wenig Pestizide, biodiversitätsfreundliche Mengen im Nährstoffeinsatz).

3. Der grösste Hebel ist die Einführung von Nachhaltigkeitskriterien für Importprodukte. Das ist aktuell auch in Diskussion, wie in einer Antwort des Bundes auf die zwei Motionen (eine aus dem Nationalrat und eine aus dem Ständerat) zu lesen ist. Der Zollschutz für Agrargüter bietet auch einen geeigneten Hebel, um gezielt die nachhaltige Entwicklung des schweizerischen Landwirtschafts- und Ernährungssystems zu fördern, indem die Zollsätze und Kontingente an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft werden. Das Zusammenspiel zwischen Inlandproduktion und Importen kann mit der Gestaltung des Grenzraumes optimiert und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Ein weiterer Hebel ist die Senkung unseres Ressourcenverbrauchs und die Reduktion der – in der Schweiz sehr hohen – Food-Waste-Anteile.

4. Unser Ernährungssystem ist aktuell ein Marktversagen. Es profitieren weder die Konsumenten noch die Produzentinnen, noch unser Planet. Es profitieren die grossen Konzerne (Detailhandel, Grosshandel, Agrochemiekonzerne, Konzerne, welche die Vorleistungen bereitstellen mit Import von Futtermitteln, Düngermitteln, Pestiziden).

«Unser Ernährungssystem ist aktuell ein Marktversagen, weil nur die grossenKonzerne profitieren.»

 

Die Politik übernimmt heute noch zu wenig Verantwortung, um für die Akteure im Ernährungssystem klare Spielregeln zu definieren. Auch der internationale Druck steigt, und es ist ganz klar, dass alle Akteurinnen Verantwortung übernehmen müssen. Das wird aber am schnellsten funktionieren, wenn die Politik Verantwortung übernimmt. Die ganze Gesellschaft profitiert davon, wenn die Standards und Regeln klar sind.

Innovationen fördern, Anreize setzen

Lukas Fesenfeld, Forscht zu nachhaltigen Ernährungssystemen an der ETH Zürich und an der Universität Bern

 

1. Die Schweiz kann mit einer strategischen Ernährungssystempolitik, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette Lebensmittelabfälle reduziert, pflanzenbasierte Wertschöpfung und nachhaltige Landnutzung sowie die Plantary Health Diet fördert, einen signifikanten Beitrag zum Erreichen der globalen Nachhaltigkeitsziele leisten. Zudem erhöht diese systemische Politik nicht nur die Ernährungssicherheit und reduziert Belastungen für Steuerzahlende, sondern stärkt auch den Wirtschaftsstandort Schweiz.

«Die Schweiz kann einen signifikanten Beitrag zum Erreichen der globalen Nachhaltigkeitsziele leisten.»

 

2. Es bedarf einer strategischen Kombination und Abfolge von verschiedenen Massnahmen, die über die Agrarpolitik hinausgehen und auch den Handel und Konsum umfassen. Konkret könnte möglichst zeitnah ein Innovationsprogramm aufgesetzt werden, das durch fördernde sowie Beratungs- und Bildungsmassnahmen bei landwirtschaftlichen Betrieben, Verarbeitern und Industrie, Ausserhausgastronomie, Detailhandel sowie Konsumentinnen Anreize setzt, eine pflanzenbasierte Wertschöpfungskette im Einklang mit den Prinzipien der Planetary Health Diet und Agro-Ökologie zu stärken. Durch konkrete Best-Practice-Beispiele – etwa die Kombination von Agri-Photovoltaik und Hülsenfrüchteanbau oder Anpassungen am Menüplan in Grosskantinen – werden neue Wertschöpfungschancen sichtbar, und der Transformationsprozess gewinnt an Unterstützung. Mittelfristig bedarf es dann auch gezielter Anpassungen an regulatorischen und marktbasierten Massnahmen (etwa Emissionsabgaben und Subventionen), gekoppelt mit sozialen Ausgleichsmechanismen. Aber zunächst sollte sich der Fokus auf Innovationsförderung richten, um die Chancen des Wandels ins Zentrum der Debatte zu rücken.

3. Vor allem der Konsum kann durch Veränderung in der Ausserhausverpflegung relativ schnell und stark verändert werden. Es bedarf nicht einmal eines Veggie-Days, sondern einfach eines erhöhten Anteils pflanzlicher Produkte am Gesamtangebot. Dies verändert Erfahrungen und soziale Normen; Studien belegen beispielsweise, dass eine 50-prozentige Erhöhung des Angebots pflanzlicher Gerichte deren Nachfrage innerhalb kurzer Zeit auf über 80 Prozent steigen lässt. Auch Erfahrungen mit leckeren, gesunden Fleischersatzprodukten kann den Konsum tierischer Produkte reduzieren. Auch der Detailhandel kann bei der Veränderung des Konsums und der Reduktion der Lebensmittelabfälle eine entscheidende Rolle spielen. Der Staat kann diesen Prozess durch Beratung, aber auch gezielte finanzielle Förderung, angepasste öffentliche Beschaffungsrichtlinien und Umweltabgaben unterstützen.

4. Eine Transformation des Ernährungssystems bedarf Änderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und seitens aller Akteure. Die Kaufentscheidungen der Konsumentinnen werden schon heute stark von politischen Rahmenbedingungen (Subventionen, Vorgaben, Zölle) sowie von Entscheidungen wirtschaftlicher Betriebe (Detailhandel, Ausserhausverpflegung, Industrie) geprägt. Ohne eine Veränderung dieser Rahmenbedingungen werden die Konsumenten das System nicht transformieren können –, auch wenn jeder einzelne Kaufentscheid einen Beitrag leistet und ein wichtiges Signal setzt.

 

Die Zeit zum Handeln ist jetzt

Thomas Paroubek, Leiter Direktion Nachhaltigkeit und Qualität beim Migros-Genossenschafts-Bund

 

1. Das gelingt über drei Bereiche: Erstens müssen wir den Foodwaste deutlich reduzieren – in der Schweiz sind es aktuell rund 330 Kilogramm pro Person und Jahr. Zweitens sollten wir mehr pflanzliche Lebensmittel essen. Rund die Hälfte unserer Ackerböden wird heute für die Produktion von Tierfutter verwendet. Dabei ist auch Offenheit nötig gegenüber neuen Ansätzen wie beispielsweise kultiviertem Fleisch. Und drittens braucht es regenerative Anbaumethoden. Biodiversität und ein gesunder Boden müssen in den Mittelpunkt gestellt werden. Auch neue Pflanzenzüchtungsverfahren können hier einen Beitrag leisten.

2. Wir begrüssen grundsätzlich die Stossrichtung des Bundesrats, beim Thema Ernährungssicherheit das gesamte Ernährungssystem miteinzubeziehen, also von der Produktion bis zum Konsum. Beispielsweise sollen Kulturen zur direkten menschlichen Ernährung stärker gefördert werden. Allerdings ist der Zeitplan des Bundesrates zu wenig ambitioniert. Viele Massnahmen müssen rascher umgesetzt werden und können nicht warten. Empfehlenswert ist aus unserer Sicht zudem, eine Kohärenz zu schaffen zum Green Deal der EU.

«Der Zeitplan des Bundesrates ist zu wenig ambitioniert. Viele Massnahmen können nicht warten.»

 

3. Die wichtigste Bedingung ist Transparenz und entsprechende Daten über die Auswirkungen der Wertschöpfungsketten im In- und Ausland. So wissen wir beispielsweise genau, von welchen Plantagen unser Palmöl stammt. Dadurch können wir Abholzung verhindern und über anerkannte Labels, Brancheninitiativen und eigene Projekte ökologische Anbaumethoden fördern. Das ist auch bei anderen Rohstoffen wie Kakao, Kaffee und Soja entscheidend. Mit der Nachhaltigkeitsskala M-Check hat unsere Kundschaft zudem Transparenz über die Klimabilanz unserer Produkte und kann so einen nachhaltigeren Kaufentscheid fällen.

4. Die Rolle der Konsumentinnen und Konsumenten ist sicherlich nicht zu unterschätzen. Das zeigt zum Beispiel die enorme Steigerung der Nachfrage nach alternativen Proteinen in den vergangenen Jahren. Aber es braucht auch die Politik, um Entscheidungen für nachhaltige Systeme zu begünstigen. So vergünstigt respektive verteuert die Politik mit Massnahmen wie Direktzahlungen und Grenzschutzregimes gewisse Produkte und beeinflusst so die Kaufentscheide in der Schweiz. Der Ansatz, Kulturen zur menschlichen Ernährung stärker zu fördern, auch über Direktzahlungen, ist beispielsweise ein positives Signal aus der Politik.