Über achtzig Angestellte in einer Personalvermittlung für Studierendenjobs – das war irgendwann zu viel, wie es im Sommer dieses Jahres in einem BBC-Bericht hiess. Der Inhaber der entsprechenden Firma in Kanada gelangte an seine Grenzen. Bei so vielen Beschäftigten jedes Detail zu den Einsatz- und Arbeitszeiten zu protokollieren, Erinnerungen zu Deadlines zu verschicken, und dies zu abrechenbaren Stunden: Der Aufwand war zu gross geworden. Er holte sich daher Hilfe von einem «AI-Manager» – und kooperierte mit einer Universität. Diese teilte die Belegschaft in etwa zwei gleich grosse Hälften und verfolgte, was passiert, wenn die eine Hälfte noch den bisherigen menschlichen Manager als «Boss» hat und die andere die künstliche Intelligenz (KI). Das Ergebnis war eindeutig: Die KI schnitt bei der Befragung der Beschäftigten deutlich besser ab. Aber macht es sie daher auch grundsätzlich zu einem besseren Mentor?

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

 

Position entscheidet über die Wahrnehmung  

«Menschen betrachten KI derzeit unterschiedlich, je nach Kontext und Erfahrung beziehungsweise digitaler Affinität», sagt Niels Van Quaquebeke, Professor für Führung und Organisationspsychologie an der Kühne Logistics University in Hamburg. In technikaffinen Branchen werde KI häufig als «Kollege» gesehen, der repetitive oder datenintensive Aufgaben wie das Coding übernimmt, was mehr Zeit für kreative oder strategische Arbeit schafft. «In anderen Bereichen wird KI eher als Werkzeug betrachtet, ähnlich einem Taschenrechner – funktional und effizient, aber ohne persönliche Attribute», erklärt Quaquebeke. «So beispielsweise im Bereich Operations, also Warenhäuser und Logistik.» In bestimmten Fällen, wie etwa bei intelligenten Assistenzsystemen, nehmen einige die KI praktisch als Vorgesetzten wahr, der Entscheidungen auf der Basis von Daten trifft, denen die Menschen folgen müssen. Beispiele sind die Gig-Worker bei Uber oder ähnlichen Services. «Insgesamt scheint die Wahrnehmung stark von der individuellen Erfahrung und der Nähe zur Technologie abzuhängen», fasst es Quaquebeke noch einmal zusammen. 

In hoch qualifizierten Berufen, insbesondere in der Informationstechnologie (IT), in der Finanzbranche oder im Gesundheitswesen, werde KI oft als ein wertvoller Partner oder Kollege angesehen, der die Effizienz steigern kann. «In einigen Blue-Collar-Berufen, die stärker automatisierungsgefährdet sind – etwa wenn die Verknüpfung mit Robotik stark ist –, wird KI dagegen häufiger als Bedrohung für die eigene Rolle erlebt», so Quaquebeke. 

 

KI ist eine geduldige Mentorin

Erste Forschungen zeigen, dass KI in der Rolle einer Mentorin durchaus Potenzial hat, erklärt Quaquebeke. Durch personalisierte Empfehlungen, basierend auf grossen Datenmengen und Verhaltensanalysen, könnte die KI helfen, bessere berufliche und persönliche Entscheidungen zu treffen und sich zum Beispiel auf Bewerbungsinterviews oder konkrete berufliche Herausforderungen vorzubereiten. «Eine Freundin von mir macht das gerade ausgiebig, und die KI hat natürlich viel Zeit und Geduld für sie und ihre Anliegen», berichtet Quaquebeke. «Zudem kennt sich die KI meistens besser aus als die meisten ihrer Freunde, die sie sonst zu den Fragen konsultieren würde.» Es besteht also nicht nur die Möglichkeit, dass KI in Zukunft als Beraterin für Weiterbildung und Karriereentwicklung agiert, sondern es ist bereits Realität und viele nutzen die Chance, die sich bietet. 

Zusätzlich könne eine KI emotionale Unterstützung geben, insbesondere in Bereichen, in denen persönliche Mentoren oder vielmehr Unterstützung fehlen. «Studien zeigen etwa, dass Menschen sich nach Interaktion mit der KI-Replika weniger einsam fühlten und danach auch wieder eher bereit für menschliche Interaktionen waren», sagt Quaquebeke. «Entsprechend werden zunehmend standardisierte KI-Lösungen im psychotherapeutischen Bereich eingesetzt.» 

Zukünftig stelle sich eher die Frage, welche neuen Rollen die Menschen übernehmen werden. «Basierend auf dem, was ich bisher weiss und in der Forschung als Möglichkeiten sehe, würde ich von einem grossen paradigmatischen Wandel der menschlichen Rolle bei der Arbeit ausgehen», erwartet Quaquebeke. «In vielen Bereichen, in denen wir bisher dafür bezahlt werden, Antworten zu liefern, wird eine KI diese Antworten bereitstellen. Und zwar besser, schneller und kostengünstiger.» Gute Antworten werden nicht mehr das rare und wertvolle Gut sein, sondern die guten Fragen. «Ich glaube, wir müssen auf allen Ebenen umsteuern und (wieder) besser darin werden, neue und gute Fragen zu stellen.»