Es ist ein ungleiches Paar, das sich da im Saal des Kulturforums Amriswil vor dem Publikum aufgebaut hat: Peter Spuhler, Thurgauer SVP-Nationalrat und Besitzer der erfolgreichen Schienenfahrzeugfirma Stadler Rail, ein 1,88 Meter grosser 100-Kilo-Mann, in elegantes Tuch gekleidet, mit gewinnendem Lächeln, und Rudolf Keller, Kantonsrat der Schweizer Demokraten aus Baselland, einen Kopf kleiner, schmächtig, blass und angespannt wirkend.

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Im Verlauf des Podiumsgesprächs zur erweiterten Personenfreizügigkeit verfestigt sich der erste Eindruck: Keller kann die Handbremse nicht lösen. Seine heruntergebeteten Warnungen vor der «Flut kaum assimilierbarer Einwanderer», vor Lohndumping und hoher Belastung für die Sozialwerke kontert Spuhler mit persönlichen Erfahrungen aus dem Unternehmeralltag. Das wirkt authentischer.

Etwa wenn er erzählt, dass Stadler Rail kürzlich über zwanzig Aluminiumschweisser aus Ostdeutschland anheuern musste, weil sie in der Schweiz nicht zu finden waren. Oder dass nach einem Nein zur Personenfreizügigkeit der Druck für Produktionsverlagerungen zunehme. Während er argumentiert, geht er leicht in die Knie und schraubt seinen Körper nach vorne. So verleiht man den eigenen Worten Gewicht. Keller wird optisch erdrückt.

Spuhler ist ein Alphatier, und er zeigt es. Auch wenn er an diesem Abend sein Mienenspiel im Zaum hält und seinem Kontrahenten nur einmal kurz ins Wort fällt. Ansonsten eine der Schwächen des Debattierers Spuhler, mit dem das Temperament immer wieder mal durchgeht. Wie zwei Tage später in der «Arena» des Schweizer Fernsehens zum Thema, wo er seinen Gegnern hörbar genervt ganz in blocherscher Manier mehrmals dazwischenfunkt. «Wenn Unsinn verzapft wird, kann ich doch nicht still sein», meint er.

In Amriswil läuft der Turbo der Bilateralen hingegen auf niedriger Drehzahl. «Ich musste nicht mehr Gas geben.» Wenn man da zu stark aufdrehe, kippe die Stimmung. Vor allem Frauen – Veranstalter war das örtliche Frauenforum – reagierten auf zu viel Dominanz sensibel.

An Übungsmöglichkeiten in Sachen öffentliche Wirkung mangelt es Spuhler zurzeit nicht. Bis zur Abstimmung am 25. September über die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die zehn neuen EU-Länder wird er an dreissig Podien aufgetreten sein. Eine Ochsentour quer durchs Land. Etwa im Rheinausaal in St. Margrethen, wo die Gewerkschaften ihr Häuflein Getreue und eine Hand voll interessierte Gäste versammeln. Auf den Tischen liegt «Weizengebäck mit einem Zettel im Inneren» – so steht es auf der Kleinpackung. Wer auf den trockenen Blätterteig beisst, legt einen Papierstreifen mit allerlei Nettigkeiten zu den zehn neuen EU-Ländern frei.

Spuhler, kein Freund der Gewerkschaften, zeigt keine Berührungsängste und knabbert am linken Gebäck. Für einmal sitzt man im gleichen Boot und wirbt für ein Ja am 25. September. Ein Gegner liess sich für das Podium offenbar nicht auftreiben, sodass sich der Moderator angestrengt bemüht, wenigstens Gegensätzliches in der Zustimmung zu provozieren. Bei jedem anderen Thema wären sich die beiden Podiumsteilnehmer Peter Spuhler und Paul Rechsteiner, SP-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, wohl auf die Zehen getreten. Spuhler hat zu seinem Ratskollegen ein «Nichtverhältnis», er ist ihm zu sehr Ideologe und zu wenig Pragmatiker.

An diesem Abend bleibt es bei ein paar Sticheleien Rechsteiners, der sich über SVP-Exponenten auslässt, die Schwarzarbeiter beschäftigen. Spuhler zieht nur den Mundwinkel leicht hoch und quittiert mit einem Lächeln. Auch Rechsteiner hält sich zurück, als Spuhler gegen einen EU-Beitritt wettert und linken Postulaten eine Absage erteilt.

Spuhlers Bekenntnis zum Werkplatz («Ich beschäftige in der Schweiz fast tausend Mitarbeitende und kaufe jährlich für einen dreistelligen Millionenbetrag bei Zulieferern hierzulande ein») kommt bei den Genossen gut an, ebenso wie sein selbstbewusstes Bekenntnis zur wirtschaftlichen Öffnung («Nützen wir doch die Chancen, die sich in den Märkten der neuen EU-Länder bieten»). Auch dass er den Moderator korrigiert, der ihn als Boss ankündigt, wird hier goutiert: «Ich bin Unternehmer, kein Boss.»

Spuhler weibelt nicht nur an Podien, er ist auch in den Medienkanälen als Wirtschaftslokomotive für das Ja omnipräsent. Kommunikationsberater Iwan Rickenbacher wertet dies als clevere Strategie: «Der Auftritt Spuhlers ist sehr markant und auch notwendig, um möglichst viele Sympathisanten seiner Partei zu überzeugen.» Die SVP-Delegierten haben bekanntlich die Nein-Parole zur erweiterten Personenfreizügigkeit beschlossen, Spuhler ist der Leader der Ja-Minderheit. Sein Engagement habe zur Folge – so Rickenbacher –, dass die «Gegner die Befürworter nicht diabolisieren können in Richtung Landesverkäufer». Sie würden sonst prominente Mitglieder in den eigenen Reihen treffen.

Die wirtschaftsliberale Elite der SVP ist für die Personenfreizügigkeit. Gleichwohl will man die wertkonservative Wählerklientel bei der Stange halten – ein heikler Spagat und die Erklärung dafür, dass sich die SVP insgesamt erstaunlich zahm verhält und die Führung der Nein-Kampagne meist den politischen Leichtgewichten der Schweizer Demokraten überlässt. Sowohl Parteipräsident Ueli Maurer als auch sein Aushängeschild Spuhler wollen nichts von einer Zerreissprobe für die SVP wissen. Aber nicht alle haben sich gleich lieb. Mit dem «Rammbock-Stil» von Auns-Einpeitscher Hans Fehr habe auch er Mühe, sagt Spuhler.

Warum tut sich Spuhler, der mit seiner expandierenden Schienenfahrzeugfirma und seinem Nationalratsmandat plus Wirtschaftskommission bereits voll ausgelastet ist, diese aufwändige Pro-Tour an? In seinem Büro am Firmensitz in Bussnang muss er sich seine Antwort nicht lange überlegen: «Wenn ich mich engagiere, dann zu hundert Prozent. Beim Eishockey habe ich gelernt, immer auf Sieg zu spielen.» Der Erfolg hat dem 46-Jährigen bisher Recht gegeben. 1999 schaffte er auf Anhieb als Quereinsteiger den Sprung in den Nationalrat. Bei seiner Wiederwahl im Herbst 2003 stand sein Name gar auf zwei Dritteln der gültigen Wahlzettel. Ein Glanzergebnis.

Spuhler reklamiert, dass zu wenige seiner Unternehmerkollegen Flagge zeigten. Es genüge nicht, Inserate in den Medien zu schalten: «Die Argumente der Gegner zielen auf den Bauch, wecken Ängste vor Arbeitsplatzverlusten, tieferen Löhnen und höheren Sozialkosten. Wir müssen hinstehen und dagegenhalten.» Explizit erwähnt er Swissmem-Präsident Johann Schneider-Ammann, von dem er ein grösseres Engagement erwartet habe.

Spuhlers Credo zur Personenfreizügigkeit tönt in leichten Nuancierungen stets ähnlich: Der einzige Sektor, der in der Schweiz noch Wachstum generiere, sei die Exportwirtschaft. Jeder zweite Franken werde mit dem Export von Gütern und jeder dritte Franken direkt mit der EU verdient. Die EU nähme es nie hin, dass die fünfzehn alten Mitglieder in Sachen Personenfreizügigkeit anders behandelt würden als die zehn Neumitglieder. Innerhalb der EU gelte nämlich das Prinzip der Nichtdiskriminierung. Die Folgen eines Neins: «Teile der Exportwirtschaft wären wohl zur Auslagerung gezwungen, mit negativen Folgen für die Arbeitsplätze und die Zulieferbetriebe.» Zudem fürchtet er, dass ein Nein die Schweiz wirtschaftlich in die EU triebe, bekanntlich der Super-GAU für einen SVP-Vertreter.

Da schluckt Spuhler doch lieber die «kleinere Kröte» der flankierenden Massnahmen. Aus wirtschaftsliberaler Sicht machen Regulierungsmassnahmen die Vorteile der erweiterten Freizügigkeit nämlich wieder zunichte. Der Druck auf die Löhne ist seit langem spürbar. Staatliche Eingriffe in den Arbeitsmarkt können da nur das Tempo der Anpassung mindern.

Die Gewerkschaften haben die Gunst der Stunde genutzt und mit den flankierenden Massnahmen – vereinfachte Allgemeinverbindlichkeit von Gesamtarbeitsverträgen, mehr Kontrollinspektoren, Mindestlöhne – langjährige Postulate durchgesetzt. Im Parlament hatte sich Spuhler noch gegen die flankierenden Massnahmen gewehrt: «Dazu stehe ich.»

In der eigenen Firma hat er einem individuellen Gesamtarbeitsvertrag ohne Begeisterung zugestimmt. Weil Stadler mit den SBB geschäftet, bekamen die Gewerkschaften den Fuss in die Tür. Eigentlich habe sich für seine Mitarbeiter dadurch nichts verändert, ausser einer monatlichen Zwangsabgabe wegen des GAV, wie er spitz anmerkt. Genüsslich erzählt er die Anekdote, als er nach Vertragsabschluss mit dem Gewerkschaftsvertreter vor die Belegschaft trat. Da sei einer seiner Mechaniker aufgestanden und habe gefragt, ob dem «Herrn Spuhler durch den GAV irgendein Nachteil entstehe». Der Gewerkschafter sei sprachlos gewesen. In Bussnang gehen die Uhren anders.