Eigentlich ist die Frage, die die Genossenschafter der Migros zu beantworten haben, ein No-Brainer. Warum fragen, ob die Migros Alkohol verkaufen soll, wenn sie es längst tut? Im Denner, im Migrolino, im Online-Shop. Dass sie es künftig auch in den Supermärkten tun könnte, ist entsprechend keine fundamentale Frage, sondern bestenfalls ein minimaler Unterschied. Das Gerede vom Herumpfuschen in der Migros-DNS, vom Bruch mit den tradierten Werten des Gründers Gottlieb Duttweiler ist also vor allem eines: fadenscheinig.

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Die Alkohol-Abstimmung entlarvt die Verlogenheit des Migros-Selbstverständnisses

Man könnte es auch – zutreffender, aber härter – verlogen nennen. Wobei das dann immerhin zur Migros passen würde, einer Organisation, die sich förmlich in ihren Lebenslügen suhlt. Das Theater um Bier und Wein ist dabei nur ein harmloses Symptom einer Wahrnehmungsstörung. Standhaft verteidigt die Migros etwa ihre viel zu komplizierte Struktur mit viel zu vielen unkooperativen Kleingärtnern als zeitgemäss, sinnvoll und nützlich. Obwohl allen, die kein M vor dem Kopf haben, klar ist, dass die Struktur längst gestrafft, die Macht konzentriert, das Business zentralisiert gehörte. Aber nein: Die Migros steht sich lieber selbst im Weg und zelebriert ihren Sonderfall.

Womit wir bei der zweiten orangen Lebenslüge wären: Eisern hält die Migros daran fest, ein ganz besonderes Unternehmen zu sein, ein einzigartiges Gebilde. Wer sonst habe so viele Eigenmarken? Wer sonst eine so grosse Industrie? Wer sonst ein Kulturprozent? Und so weiter. Die Gegenfragen stellt unter den Genossen offensichtlich niemand: Welcher Lebensmittelretailer hat heute kein ausgebautes Sortiment an Eigenmarken? Welches Unternehmen engagiert sich heute nicht gemeinnützig in Kultur, Sport oder Kunst? Welche Firma ist in der Produktion nicht längst vertikalisiert? Die Antworten sind klar, werden am Limmatplatz aber gerne unter die staubigen Teppiche der idealisierten Tradition gekehrt.

Die Migros ist ein Retailer wie viele andere, nur merkt sie es nicht

Insofern wäre die Alkoholabstimmung eigentlich eine Gelegenheit, mit den orangen Lebenslügen aufzuräumen. Die Migros könnte sich endlich eingestehen, dass sie ein Retailer ist wie viele andere. Sie macht einen guten Job, zweifellos. Sie könnte aber einen noch viel besseren machen. Indem sie – statt sich selbst – die Kundinnen und Kunden ernst nehmen, sich deren Bedürfnissen anpassen würde. Wäre das für die Migros wirklich relevant, gäbe es in der Alkoholfrage nur eine Antwort: Oui!