François-Henry Bennahmias wird Ende 2023 nach elfjähriger Amtszeit als Chef von Audemars Piguet zurücktreten. Das hat er in einem Interview mit «Le Temps» gesagt. Damit bestätigt er, was die Spatzen der Uhrenindustrie bereits seit dem Jahreswechsel von den Dächern pfeifen.

Als Freigeist in der Branche, der es wagte, laut auszusprechen, was viele im Stillen dachten, gab Bennahmias einer Marke, die etwas schlummerte und von aggressiveren Konkurrenten herumgeschubst wurde, neuen Schwung. In zehn Jahren hat sie ihren Umsatz und ihre Betriebsgewinnmarge mehr als verdoppelt. Gleichzeitig hat es Bennahmias geschafft, die Marke begehrlich zu behalten – für Sammler und Kunden. Das ist seinem Genie, aber vor allem seinem gesunden Menschenverstand und seiner Fähigkeit, Teams zu vereinen, zu verdanken. Das Unternehmen aus dem waadtländischen Dorf Le Brassus, das oft für seine Abhängigkeit von einer einzigen Produktfamilie – der legendären Royal Oak – kritisiert wird, die mehr als 90 Prozent zum Umsatz und noch mehr zur Rentabilität beiträgt, hat es geschafft, ein Flaggschiffprodukt neu zu erfinden, das heute eine Ikone in der Welt der Uhrmacherei ist.

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Olivier R. Müller ist selbstständiger Berater in der Uhren- und Luxusindustrie. Sein Unternehmen Luxeconsult veröffentlicht jedes Jahr mit der Bank Morgan Stanley eine viel beachtete Studie zur Uhrenbranche.

Der Weg zum Erfolg und die wichtigsten Zutaten für eine solche Turbo-Neulancierung einer Uhrenikone in der Welt der Uhrmacherei sind vielfältig, aber sie sind alle mit menschlichen Faktoren verbunden. Marken werden von Menschen gemacht, nicht von Excel-Tabellen. Bei einer Luxusmarke ist die Persönlichkeit des Geschäftsführers oder des Kreativdirektors entscheidend.

Bennahmias – eine starke Persönlichkeit mit Zügen, die zu einem Boxer passen könnten – hat ein starkes Charisma, das es ihm ermöglicht, seine Angestellten zu motivieren und ihnen den Weg zu weisen. Es ist ihm gelungen, ein Team aus hochrangigen Spezialisten in allen Bereichen aufzubauen, die für den Erfolg der Marke notwendig sind. Eher ein Showman als ein diskreter Manager, hat Bennahmias seine Rolle manchmal übertrieben, aber immer zum Wohle der Marke.

Mutige Zusammenarbeit einer historischen Manufaktur mit den Marvel-Helden der Gegenwart

Bennahmias hat – um nur ein Beispiel zu nennen – eine Zusammenarbeit zwischen AP und der Disney-Superhelden-Franchise von Marvel gewagt. Der Erfolg und der Rummel, der vor allem in den USA entstand, machen jede Diskussion über die Relevanz dieser Zusammenarbeit überflüssig. Die erste Uhr aus der Zusammenarbeit wurde für 5,2 Millionen Dollar für wohltätige Zwecke versteigert, und die 250 weiteren Stück zum Preis von je 165’000 Dollar waren schnell vergriffen.

Die wichtigsten Themen beim Wiederaufbaus der Marke Audemars Piguet seit 2012 waren:

  • Eine starke Forcierung des Verkaufs mit weniger Händlern und eine bessere Verfügbarkeit der Produkte in den Geschäften bei gleichzeitiger Wahrung einer angemessenen Knappheit auf den Märkten. In wenigen Jahren ist die Marke von 30’000 Stück auf 45’000 im Jahr 2021 gewachsen, mit dem Ziel, innerhalb von fünf Jahren 65’000 Stück zu erreichen (2022 wird eine Steigerung auf 50’000 verkaufte Uhren erfolgen).
  • Knappheit zu managen, ohne die bestehenden Kundinnen und Kunden zu frustrieren, ist wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe, um erfolgreich zu sein. Bennahmias sagte kürzlich, dass es sein Ziel sei, mindestens 35 Prozent der Produktion für die bestehende Kundschaft der Marke bereitzustellen.
  • Eine Bereinigung der Kollektion mit dem Auslaufen der Kollektionen Millenary und Jules Audemars, die keine grossen kommerziellen Erfolge waren und aus einer Zeit stammten, als AP versuchte, sein Produktangebot zu diversifizieren.
  • Die Straffung der Royal-Oak-Familie, die 1972 mit einem völlig neuen Marketingkonzept (eine Uhr aus Stahl, die teurer ist als eine aus Gold) auf den Markt gebracht wurde, auf Modelle mit höherem Mehrwert.
  • Eine radikale Verkleinerung des Vertriebsnetzes um 75 Prozent in weniger als 10 Jahren, von 470 auf 120 Händler im Jahr 2021. Ziel ist es, bis 2026 weltweit 80 Läden zu haben, von denen etwa die Hälfte zur Marke gehören wird.
  • Die Schaffung eines neuen Ladenkonzepts namens AP Houses, zu denen der Besucher nicht nur als Kunde, sondern vor allem als Gast des Hauses kommt; um etwas zu trinken oder andere Fans zu treffen.
  • Eine viel klarere und spezifischere Kommunikation über die Werte des Unternehmens in Verbindung mit einer der Wiegen der Uhrmacherei, dem Vallée de Joux, und seiner Tradition der Feinuhrmacherei.
  • Massive Investitionen in die Produktion, nicht nur, um das Etikett der Manufaktur zu erhalten, sondern vor allem, um die Legitimität der Feinuhrmacherei zu stärken.
  • Der Bau eines neuen Museums mit einem modernen Ansatz, nicht nur durch seine Architektur, sondern vor allem durch eine Szenografie, welche die Entwicklung eines Hauses zeigt, das hauptsächlich Stücke in limitierten Serien herstellte, ohne den Wunsch, eine Kollektion aufzubauen, um schliesslich zu einer Einzelproduktmarke zu werden.

Die elfjährige Markenentwicklung (bis Ende 2023) wird sicherlich Teil der Fallstudien in Marketingschulen werden. Sie veranschaulicht, wie man eine Marke neu erfinden kann, ohne viel zu verändern.

Selbst der Misserfolg der Code 11.59 ist im Kern ein Erfolg

Kritiker von Bennahmias verweisen gerne auf die umstrittene Einführung der neuen Produktfamilie Code 11.59 im Jahr 2019. Sicher: Die Verkaufszahlen der neuen Uhrenfamilie sind noch nicht sehr hoch. Aber sicherlich wesentlich höher, als die Kritiker, die bei der Markteinführung zahlreich und lautstark in den sozialen Medien auftraten, erwartet hatten. Hinzu kommt: Die Code 11.59 sollte nicht nur die Abhängigkeit von AP von der Royal Oak verringern. Sie hat es auch ermöglichen sollen, eine ganz neue Familie von Uhrwerk-Kalibern einzuführen, die vollständig im eigenen Haus entwickelt und hergestellt werden. Die geringen Stückzahlen der Code 11.59 haben es AP ermöglicht, gleich drei Kaliber auf kontrollierte Weise einzuführen, was bei der Royal-Oak-Familie und ihren wesentlich höheren Stückzahlen nicht möglich gewesen wäre. Die Kaliber sind nun für beide Produktfamilien gemeinsam.

Kurz: Die Steigerung des Umsatzes von 630 Millionen im Jahr 2012 auf 2 Milliarden Schweizer Franken in diesem Jahr bei gleichzeitiger Beibehaltung der Marktknappheit, die Stärkung des Markenwerts und Erzielung höherer Margen ist eine Leistung, von der viele Chefs von Uhrenmarken träumen. Bennahmias hat den Traum realisiert.

Dieser Text ist auf Französisch auf dem Blog von Olivier R. Müller bei «Le Temps» erschienen.