Kann der Chef einer Gang zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden, wenn Hunderte von seinen Leuten Banken überfallen haben? Der Banden-Chef sagt, er habe die Raubüberfälle nicht befohlen. Aber er gesteht, dass er sie auch nicht verhinderte, nachdem er davon erfahren habe.
Na, was denken Sie?
Ein Gericht ist erst kürzlich zum Schluss gekommen, dass es dafür nicht unbedingt Gefängnisstrafe gibt. Sogar die Staatsanwaltschaft meinte, es sei zweifelhaft, ob es einen Hauptverantwortlichen geben könne, wenn so viele Beteiligte in die falsche Richtung gelaufen seien.
Im betreffenden Gerichtsfall ging es nicht um Bankraub, sondern um den Dieselskandal, in den Rupert Stadler (60) als ehemaliger Audi-Chef und Mitglied des VW-Konzernvorstandes verwickelt ist. Ihm galt der Satz der Staatsanwaltschaft.
Im Dieselskandal sind ab dem Jahr 2008 Motoren für 400’000 Autos von Audi, Volkswagen und Porsche manipuliert worden, damit sie Abgastests bestanden, obwohl sie mehr Stickoxid als erlaubt ausgestossen haben. So konnte man sich nachträgliche Einbauten für die Abgasreinigung sparen, nachdem sich die Techniker der Konzerne verrechnet hatten. So muss man festhalten, dass das Ziel des Betruges höhere Gewinne waren und damit natürlich auch höhere Boni.
Der ganze Dieselskandal flog im Jahr 2015 in den USA auf. Nun, 8 Jahre später, fand der erste Strafprozess in Deutschland statt. Stadler wies lange alle Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurück, bis er von der drohenden Gefängnisstrafe erfuhr. Dann machte er einen Deal mit der Staatsanwaltschaft. Er gab zu, dass er den Verkauf von Autos mit manipulierten Abgaswerten in Europa viel zu spät gestoppt habe. Angesichts der Hinweise auf Tricksereien hätte er als Vorstandschef eingreifen und für Aufklärung sorgen müssen.
Nun ist Stadler wegen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe – also kein Gefängnis – von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Zudem muss er 1,1 Millionen Euro in die Staatskasse und an mehrere gemeinnützige Organisationen zahlen.
Den Geldbetrag kann Stadler locker begleichen. Er wird auf ein Vermögen von weit über 100 Millionen Euro geschätzt und verdiente zuletzt 7,7 Millionen Euro pro Jahr.
Gerade der hohe Verdienst von Managern wird oft mit ihrer enormen Verantwortung begründet. Aber das wird ad absurdum geführt, wenn sie im Krisenfall die Schuld von sich weisen. Dazu gibt es auch in der Schweiz Beispiele – man denke an einen langjährigen Verwaltungsratspräsidenten und Chef im Bankwesen.
Besonders bedenklich am Urteil in Deutschland um den Dieselskandal ist, dass die Staatsanwaltschaft die Sichtweise befördert, dass Manager nicht wirklich verantwortlich sein können, wenn Hunderte Mitarbeitende in die falsche Richtung laufen. Natürlich sind sie gerade dann besonders verantwortlich. Viel mehr als wenn ein einziger, einzelner Mitarbeiter irgendwo im Unternehmen betrügt.