Luzern hat in den letzten Jahren viele Touristen empfangen. Begann die Stadt an Overtourismus zu leiden?
Es gab in den letzten Jahren tatsächlich Diskussionen in diese Richtung, etwa über die Cars am Schwanenplatz: Anwohner empfanden sie als störend.
Was haben Sie dagegen unternommen?
Es wurde die Tourismusvision 2030 entwickelt, bei dem die Bevölkerung aktiv mit einbezogen wird. Luzern hat eine lange Tourismustradition und profitiert wirtschaftlich und gesellschaftlich davon.
Trotzdem sind vielleicht einige Luzerner froh über das Wegbleiben der Touristenscharen?
Der Tourismus ist eine Pflanze, zu der man Sorge tragen muss. Er kann ganz schnell vorbei sein, wie wir jetzt sehen. Dann bricht auch die komplette Wertschöpfung ein. Das spüren nicht nur die Hotels oder Restaurants, sondern auch Handwerker, Metzger, Bäcker. Wenn der Tourismus nicht läuft, dann haben auch sie weniger Aufträge, Einnahmen und Kunden.
Sehen Sie nun auch eine Chance, wieder «bei Null» anzufangen?
Natürlich gibt uns die Coronakrise die Möglichkeit, unsere Positionierung neu auszurichten. Klar ist, dass Luzern weiterhin vom Tourismus profitieren und Gäste willkommen heissen möchte. Auch nach Corona.
Bedeutet ein Neuanfang auch eine Neupositionierung der Marke Luzern?
Unser Claim ist «Stadt, See, Berge». Das sind unsere Assets, und das werden sie auch bleiben. Luzern Tourismus ist aber auch nicht alleine für die Wahrnehmung von Luzern zuständig. Die Uhren- und Schmuckbranche kommuniziert direkt mit Gästen aus China. Social Media hat heutzutage ebenfalls einen grossen Effekt. Viele Gäste aus Asien nehmen Luzern als «Traumdestination» wahr, weil das Image auf verschiedenen Kanälen verbreitet wird. Wir gestalten unser Angebot mit dem, was wir haben: See, Berge, Kultur – im Herzen der Schweiz.
Also bleibt alles wie gehabt – auch nach Corona?
Luzern bedeutet nicht nur die Stadt. Es ist eine Region. Es ist der Vierwaldstättersee. Es geht nicht nur um das Bild der Chinesen, die in der Stadt shoppen. Ein Viertel aller Übernachtungsgäste stammt aus der Schweiz, der stärkste ausländische Markt sind die USA. In der Region fühlen sich zum Beispiel auch Familien wohl. Wir wollen diese Vielfalt in Zukunft noch mehr betonen. Die Destination Luzern umfasst auch die Kantone Schwyz, Uri, Obwalden und Nidwalden.
Aber Luzern hat auch ein klares Image...
Das ist die Wahrnehmung. 77 Prozent der Touristen sind Individualreisende, 23 Prozent sind Gruppen. Beides bietet Vor- und Nachteile. Der Trend ist jedoch klar: Gruppenreisen nehmen ab, Individualreisen nehmen zu. Auch in Luzern. Nach Corona wird sich das noch verstärken. Da bin ich mir sicher.
Welche Art von Touristen wollen sie wieder in der Stadt haben?
Jetzt im Sommer werden es wohl Gäste aus der Schweiz sein, im Herbst wieder aus ganz Europa und im Frühjahr 2021 allenfalls wieder Gäste aus aller Welt. Aber eine richtige Entspannung wird erst kommen, wenn man einen Impfstoff gegen das Coronavirus gefunden hat. Das dürfte kaum vor dem Frühjahr 2021 sein. Es wird sogar drei bis vier Jahre dauern, bis wir das Niveau der Logiernächte aus den Fernmärkten wieder erreichen.
Warum wollen Sie nicht auf andere Gäste setzen?
Es ist nicht so, dass wir uns davor verschliessen. Wir verfügen aktuell über einen guten Gästemix. Und auch die Wertschöpfung stimmt, denn von je weiter weg ein Gast kommt, desto mehr gibt er aus.
Das Städtemarketing von Budapest hat eine Kampagne lanciert mit dem Motto «Budapest wartet auf Sie». Gibt es ähnliche Kampagnen von Luzern Tourismus, die spezifisch die Corona-Situation thematisieren?
Luzern Tourismus besteht aus 35 Partnern als eigene Aktiengesellschaft. Alle können sich einbringen und das Marketing mit gestalten. Aktuell hätten wir kein entsprechendes Budget.
Der Verband «European Cities Marketing» hat kürzlich einen Leitfaden veröffentlicht, wie sich Städte auf die Zeit nach Corona vorbereiten sollen (siehe Box). Ist der Leitfaden auch ein Input für Sie?
Das sind spannende Überlegungen. Wir denken in Luzern auch über die Gestaltung von öffentlichem Plätzen nach – und wie man diese so konzipieren könnte, um Engpässe zu vermeiden. Weitere Fragen sind: Wie lenken wir die Touristenbusse ins Zentrum? Wie können wir eine gewisse Monostruktur von Läden aufbrechen?
Was sind weitere Überlegungen?
Wir versuchen die Besucher vermehrt aus der Stadt hinauszuführen, in die Peripherie zu lenken. Wir arbeiten an einem digitalen Reiseführer, der aufzeigt, dass es rund um Luzern noch Dutzende anderer Berge gibt, die man bestaunen kann als immer die gleichen. Und dort das Erlebnis anders ist, weil es weniger Leute hat.
Die Detailhandels-Landschaft wird sich ebenfalls verändern. Was bedeutet das für Luzern?
Die Coronakrise wird auf alles einen Einfluss haben. Die Leute bestellen jetzt mehr online, auch solche, die davor noch Bedenken hatten. Das wird sich auf die Läden in Luzern auswirken.
Der Verband «European Cities Marketing» hat kürzlich einen Leitfaden zur Wiederbelebung von Städten veröffentlicht. Darin skizziert er, wie Städte wieder Besucher anziehen können. Der Bericht verweist aber auch auf eine zentrale Frage: Welche Art von Gästen möchte eine Stadt anziehen? Und welche Arbeitsplätze und Unternehmen entstehen daraus?
Ein Auszug von Punkten bei der Gestaltung einer Stadt:
- Anpassung von öffentlichen Plätzen, damit sich die Menschen in der Gegenwart von Fremden wohl fühlen können.
- Massnahmen zur Verbesserung der Menschenströme und zur Vermeidung von Engpässen, einschliesslich digitaler Wegweisung.
- Gute Luftqualität als wesentlicher Bestandteil der Lebensqualität.
- Strukturelle Probleme angehen, beispielsweise die Veränderung des Detailhandels.
- Wege, um Kreative und Kleinunternehmer zu unterstützen, indem man ihnen die Nutzung von öffentlichem Raum oder brachliegendem Eigentum gewährt.
- Routen nutzen, um Besucher zu verteilen und Ausflüge in die Natur oder im Freien rund um die Stadt zu fördern.
Den detaillierten Leitfaden gibt es hier.
Was ist mit den Uhren- und Schmuckgeschäften in Luzern?
Wir gehören weltweit zu den Top-5-Destinationen von Uhren- und Schmuckgeschäften. Es wird damit fast eine Milliarde umgesetzt. Aber vielleicht ist der Zenit jetzt überschritten. Uhren- und Schmuckgeschäfte werden für Luzern aber weiterhin Relevanz haben. Aber allenfalls nicht mehr auf diesem hohen Niveau.
Überlegen sich die Geschäfte ebenfalls neue Wege?
Einige müssen wohl erst mal aus dieser Schockstarre aufwachen, sie konzentrieren sich nun darauf, dass der Betrieb läuft. In einer zweiten Phase können sie sich um neue Konzepte kümmern.
Befürchten Sie zahlreiche Pleiten in Luzern?
Luzern hat in den letzten 10 bis 15 Jahren sehr erfolgreich Tourismus betrieben. Viele Unternehmen haben sich dadurch ein Polster anlegen können. Ich bin selbst aber auch neugierig, wie sich das entwickeln wird in den nächsten Monaten: Wann gehen die Leute wieder ins Restaurant? Stimmt dann das Ambiente trotz Hygienemassnahmen? Ich bin aber zuversichtlich, dass es Luzern weniger trifft als andere Regionen, weil viele Betriebe gut aufgestellt sind.
Was haben Sie Schweizer Gästen zu bieten? Warum sollten Berner nach Luzern kommen?
Eins ist klar: 2020 wird sehr anspruchsvoll. In Luzern finden tolle Festivals statt – sie sind jetzt alle abgesagt. Wir sind aber auch keine typische Bergregion wie das Wallis oder Graubünden.
Also fällt Luzern zwischen Stuhl und Bank?
Es gibt viele Gründe, Luzern zu besuchen. Wir versuchen die Vielfalt aufzuzeigen. Innerhalb von einer Stunde ist man in über 50 verschiedenen Bergregionen und Berggipfeln. Wenn man nicht ans Mittelmeer gehen möchte, kann man auch Badeferien am Vierwaldstättersee verbringen. Trotzdem bietet Luzern als Stadt auch ein reiches Kulturangebot. Wenn das Wetter schlechtes ist, dann kann man auch ein Museum besuchen. Die aktuelle Situation ist eine gute Gelegenheit für die Schweizer, das Schöne in der Nähe zu entdecken.
Wie locken Sie die Leute an?
Wir werden unseren Gästen attraktive und günstige Pauschalen mit Hotelübernachtungen bieten.