Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Besonders zu Herzen genommen zu haben scheint sich diesen Spruch Fabrice Zumbrunnen. Der Migros-Chef forciert die Expansion des Detailhändlers in die margenträchtigere Gesundheitsbranche seit Jahren. Bereits als Leiter des Departements HR, Kulturelles & Soziales liess er nichts unversucht, die Migros ein M gesünder zu machen. Er kaufte Fitnessketten in Serie, er lancierte die Online-Gesundheitsplattform iMpuls und machte den orangen Riesen zum grössten Anbieter von Hausarztpraxen in der Schweiz – mit über 40 Standorten und über 500 Ärzten und Therapeuten.
Doch damit ist Zumbrunnens gesunder Appetit noch längst nicht gestillt. Auch als oberster Chef der Migros hält er «sein» Gesundheitsdossier fest in den Händen. Und er baut den Fussabdruck der Migros im Gesundheitsbereich weiter aus.
Starke Knochen, scharfe Augen
Jüngster Coup von Zumbrunnen: der Einstieg ins Geschäft mit Nutraceuticals. Der Begriff – eine Zusammensetzung der englischen Wörter «nutrition», also Ernährung, und «pharmaceuticals», also Medikamente – umschreibt Lebensmittel an der Grenze zum Heilmittel. Nutraceuticals versprechen starke Knochen, gesunde Babys, scharfe Augen oder eine bessere Verdauung. Und vor allem: gute Geschäfte.
Der weltweite Markt für Nutraceuticals wird von Frost & Sullivan, einem Marktforschungsunternehmen, auf aktuell rund 200 Milliarden Dollar geschätzt. In drei Jahren soll der Umsatz bereits bei 280 Milliarden Dollar liegen. Seit der Jahrtausendwende haben sich die Verkäufe in diesem Bereich fast verfünffacht. Und im Durchschnitt der letzten drei Jahre lag das Wachstum bei deutlich über 7 Prozent.
Das ist genau der Stoff, den Zumbrunnen braucht. Einerseits, um seine Mission Gesundheit ins nächste Level zu hieven. Anderseits, um die seit Jahren lahmenden Verkäufe in seinen Supermärkten zu vitalisieren.Ergo hat Zumbrunnen dieser Tage ein Sortiment von Nutraceuticals in die Regale seiner grösseren Supermärkte gestellt. Zehn Produkte sind es. Alle sind von der European Food Safety Authority EFSA zugelassen, ihre Wirkversprechen wissenschaftlich erhärtet und abgesegnet. Sie ergänzen das bestehende Angebot von Vitaminen und Nahrungszusätzen. Und sie sollen – auf minimaler Fläche – für maximalen Umsatz und maximale Marge sorgen.
Beste Beziehungen seit Duttis Zeiten
Produziert werden die Nutraceuticals vom Familienunternehmen F. Hunziker mit Sitz in Dietikon Zürich. Es ist bereits eng mit der Migros verbunden. Die Firma produziert etwa die im ganzen Land bekannten Cassis-Bonbons der Migros, die Gummibärchen der Migros-Eigenmarke sowie das Pulver für den kultigen Migros-Eistee. Firmengründer Fritz Hunziker war der erste Lieferant überhaupt, der die Migros mit Bonbons, Zuckerwaren und Biscuits belieferte. Hunziker senior verhandelte damals noch mit Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler höchstpersönlich.
Auch die Firma Halter Bonbons – bekannt als Produzentin der Haschi-Zältli – gehört zur Gruppe. In den letzten Jahren hat das Unternehmen neben der Produktion von klassischen Süsswaren ein weiteres Standbein aufgebaut und sich zu einem der international führenden Produzenten in den Bereichen funktionelle Produkte wie Nahrungsergänzungsmittel, Medizinprodukte, rezeptfreie Arzneimittel und Lebensmittel entwickelt.
Pläne auch ausserhalb der Migros
Mit den neuen Nutraceuticals, die unter dem Label Health-iX verkauft werden, wagt sich die Firma Hunziker nun erstmals mit einem eigenen Brand in den Schweizer Markt.
Verwaltungsratspräsident Christoph Richterich – der insbesondere als Kommunikationsberater bekannte Unternehmer ist der Schwiegersohn von Fritz Hunziker junior und führt das Unternehmen seit sieben Jahren in der dritten Generation – hat grosses vor mit der neuen Marke. «Im Schweizer Detailhandel hat die Migros Exklusivität und wir sind stolz, mit der Migros starten zu können.»
Richterich möchte seine Produkte aber auch an Flughäfen oder in Apotheken- und Drogerieketten verkaufen. Er glaubt an den Erfolg seiner Neuheiten: «Gesunde, funktionale Gummies und Gummibärchen, die schmecken, und Pastillen, die Allergikern erwiesenermassen helfen, passen perfekt in die Zeit», sagt Richterich. «Moderne Konsumenten wollen für sich und ihre Kinder möglichst Produkte kaufen, die nicht nur gut schmecken, sondern auch einen Zusatznutzen bringen.»
Rosige Aussichten mit Zur Rose
Wachsen will Fabrice Zumbrunnen aber nicht nur mit Heilmittelgummis und Verdauungspastillen, sondern auch mit richtigen Medikamenten. Im kommenden November eröffnet Europas grösste Versandapotheke Zur Rose am Zürcher Limmatplatz ihre dritte, in eine Migros-Filiale integrierte Apotheke. Bereits offen sind Standorte in Bern und Basel.
Und das Geschäft brummt, wie die aktuellen Zahlen von Zur Rose zeigen. Fast 13 Prozent hat der Umsatz im Retail-Geschäft zugelegt, wie Zur Rose am Mittwoch mitteilte: «Das stationäre Geschäft erwies sich als wesentlicher Treiber», ist im Halbjahresbericht nachzulesen.
Doch Medikamente verkaufen will Zumbrunnen nicht nur mit Zur Rose, sondern auch im Supermarkt-Regal. Die Migros gehört zu den treibenden Kräften bei der Revision des Heilmittelgesetzes, die Ende August abgeschlossen sein soll. Bereits ab 2019 könnten dann – so wie es aktuell aussieht – rund 640, bislang apothekenpflichtige Medikamente auch in Drogerien verkauft werden. Weitere 400 Arzneien könnten sogar bei Migros und Co. landen: Mittel gegen Rheuma, Tabletten gegen Erkältungen, Hustensaft. Zwar stemmen sich die Apotheker nach wie vor dagegen und warnen vor Medikationsproblemen, wenn Pillen und Pülverchen wie Äpfel und Cola verkauft werden. Doch sie scheinen zu verlieren.
Gegen Doktor Zumbrunnen.