Ihr Büro liegt direkt beim Eingang. Nathalie Felber ist gerne als Erste informiert, wenn Besuch naht. Überhaupt will die Chefin des Möbelkonzerns Dietiker in Stein am Rhein über alle Abläufe in ihrem Unternehmen Bescheid wissen. Als sie 2010 als neue Geschäftsführerin anfing, gefiel ihr junger, dynamischer Führungsstil nicht jedem. Die damals 31-Jährige stiess auf festgefahrene Strukturen, veraltete Produktionsabläufe und langjährige Mitarbeiter, die Veränderungen gegenüber skeptisch waren. Felber musste sich beweisen und durchsetzen: «Die ersten zwei Jahre waren sehr schwer. Ich war jung, eine Frau und sprach kaum Deutsch.»
Klar untervertreten
Frauen sind in Schweizer Führungsetagen immer noch klar untervertreten, das hat sich in den letzten zehn Jahren kaum verändert. Die Problematik ist vielfältig. Es geht um die Schaffung frauenfreundlicherer Strukturen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den Willen der Frauen, Karriere zu machen, und die Frauenquote, über die das Parlament noch in diesem Jahr befindet.
Laut dem «Schillingreport 2016 – Transparenz an der Spitze», der die 100 grössten Arbeitgeber der Schweiz analysiert und vom Executive-Search-Unternehmen Guido Schilling herausgegeben wird, sind nur 16 Prozent der VR-Mandate in der Schweiz von Frauen besetzt. 23 Prozent der Neuzugänge im letzten Jahr waren weiblich, 2014 waren es noch 33. Damit rangiert die Schweiz im europäischen Vergleich auf einem hinteren Platz: Im EU-Durchschnitt sind 21 Prozent der Verwaltungsräte von Frauen besetzt, in Deutschland 25, in Italien 26 und in Frankreich 33. Noch schlechter als die Schweiz stehen Ungarn mit 11 oder Griechenland mit 10 Prozent da.
Wirft man einen Blick in Schweizer Geschäftsführungen, muss man genau hinsehen, um Frauen zu finden. Deren Anteil liegt heute bei sechs Prozent, im letzten Jahr waren unter den neu gewählten Mitgliedern nur vier Prozent Frauen. Viele Unternehmen haben es bis heute nicht geschafft, Massnahmen zu ergreifen oder Ziele zu setzen, um mehr Frauen in ihre Führungsetagen zu holen. Headhunter Guido Schilling weiss, warum: «Wenn es um Neubesetzungen geht, ist die Schweiz sehr performanceorientiert: Oft wird ein Nachfolger mit einem ähnlichen Profil wie jenem des Vorgängers gesucht. Dieser ist dann meist ein Mann.»
Frauen müssen sich beweisen
Doch Schilling sieht in den letzten Jahren eine Veränderung. Ein Drittel der Unternehmen sehe den Vorteil, den Gender Diversity auf den Teamerfolg habe. Bei seiner Arbeit als Berater treffe er heute keinen Arbeitgeber mehr an, der nur einen Mann in der Führungsetage einstellen wolle. Zudem verfolgt Schilling mit seinem Unternehmen das Ziel, mehr Frauen in die Schweizer Führungsriegen zu holen: «Wir setzen alles daran, mindestens eine Frau unter den besten vier Namen auf unserer Shortlist zu haben.» Um genügend Frauen bei einer externen Stellenbesetzung in den Prozess integrieren zu können, sei es wichtig, dass der Auftraggeber die Anforderungskriterien breiter fasst.
Nathalie Felbers Vater Urs Felber kaufte die 1873 gegründete Firma Dietiker vor 15 Jahren von der Migros. Er präsidierte den Verwaltungsrat, war wenig ins operative Geschäft involviert. Als er 2010 verstarb, musste die Tochter eine Entscheidung treffen: «Ich war mir unsicher, ob ich CEO werden wollte, denn du verantwortest alles – wenn du einen Fehler machst, fällt es auf dich zurück.»
Wenig Vertrauen entgegengebracht
Als sie dann als neue Chefin ins Unternehmen kam, wurde ihr von den Mitarbeitern erst wenig Vertrauen entgegengebracht: «Ich lebte bis zu meinem 18. Lebensjahr in Monaco, viele haben mir nichts zugetraut, dachten, ich sei eh bald wieder weg.» Felber implementierte neue Strukturen und Abläufe. «Ich wollte alles sehen: Rechnungen, Offerten, alles. Viele Mitarbeiter hatten das Gefühl, ich kontrolliere sie, dabei wollte ich nur verstehen, wie das Geschäft läuft.»
Die junge Chefin musste sich durchsetzen, um ihre Vision zu verwirklichen. Dass der Vater ehemaliger Eigentümer und Präsident war, half nicht. Heute hat die 36-Jährige neue Mitarbeiter eingestellt, das alte Team kennt und unterstützt sie inzwischen zu hundert Prozent. Auch ihr Führungsstil komme nun gut an. Zudem liefen die Geschäfte trotz starkem Franken gut, sagt sie.
Gewinnzuwachs dank Frauen
Dass Frauen in der Geschäftsleitung gut fürs Geschäft sind, zeigt die Wissenschaft. Eine globale Studie vom Februar 2016, die vom Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY) mitinitiiert wurde, untersuchte fast 22'000 Unternehmen und kam zum Schluss, dass Firmen mit über 30 Prozent Frauen in der Geschäftsleitung einen Anstieg des Reingewinns um bis zu sechs Prozent erzielen könnten. Dazu zitieren lässt sich Bruno Chiomento, CEO von EY Schweiz: «Unternehmen mit mehr Frauen in Führungspositionen haben Vorteile auf dem Markt. Ihre Mitarbeitenden sind engagierter, ihre Unternehmenskultur wird offener, und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit steigt.»
Für den Berater Guido Schilling stellt sich die Lage in der Schweiz derzeit so dar, dass es diese Leuchtturmunternehmen schon vereinzelt gibt: die sogenannten «Early Adopters, die die Relevanz der Gender Diversity in allen Hierarchieebenen erkennen und umsetzen». Top-Nachwuchsfrauen würden bald bei diesen Unternehmen Schlange stehen. Die «Men only»-Unternehmen hätten längerfristig einen Nachteil, da kein gut ausgebildeter Mann bei einem Unternehmen arbeiten wolle, das Frauen nicht optimal integriere, sagt Schilling. Unternehmen müssten zudem attraktiver für Frauen werden. Aus Sicht des Headhunters müssten sich die staatlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf Kitas und Steuererleichterungen verbessern, die Gesellschaft müsse endlich akzeptieren, dass Frauen Kinder haben und gleichzeitig arbeiten können.
Dieses Jahr wird das Parlament über eine Frauenquote in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten befinden. Für die Konzernleitungen soll ein Frauenanteil von 20 Prozent, in den Verwaltungsräten von 30 Prozent vorgeschrieben werden. Guido Schilling steht nicht für von aussen gesetzte Quotenregelungen. «Zukunftsorientierte Unternehmen werden sich eine Zielsetzung geben, sie veröffentlichen und jährlich darüber berichten», sagt er. Dies steigere die Arbeitgeberattraktivität für ambitionierte Frauen wie Männer.
Erfolg ohne Quote
Auch Nathalie Felber erscheint eine Quote wenig attraktiv. Bei Dietiker seien derzeit rund 20 Prozent Frauen angestellt. «Ich stelle niemanden ein, nur weil es eine Frau ist. Für mich spielt das Geschlecht keine Rolle.» Sie selber habe wenig weibliche Bewerber.
Im europäischen Vergleich gibt es bereits einige Länder, wie Holland, Belgien oder Italien, die seit 2011 eine Frauenquote für börsenkotierte wie staatlich kontrollierte Unternehmen vorschreiben. Frankreich will bis 2017 mindestens 40 Prozent Frauen in börsenkotierten Unternehmen sowie allen Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten oder 50 Millionen Euro Umsatz haben. Das Nicht-EU-Land Norwegen gilt in Sachen Frauenquote als Vorreiter. Dort müssen die Verwaltungsräte staatlicher und börsenkotierter Unternehmen zu 40 Prozent mit Frauen besetzt sein. Seit Januar 2016 ist in deutschen Aufsichtsräten eine Frauenquote von 30 Prozent bindend.
Es geht auch ohne Quote
Dass es auch ohne Quote geht, zeigen die SBB. Seit Jahren setzen die Bundesbahnen alles daran, den Frauenanteil in den Top-Kaderpositionen zu erhöhen, und das mit Erfolg. Markus Jordi, seit 2007 Personalchef der SBB: «Als ich kam, lag der Frauenanteil beim Kader bei sechs Prozent, heute bei zwölf.» Dafür lanciert er verschiedene Massnahmen, setzt Ziele im Gender Management, in der Rekrutierungspolitik und bei internen Schulungen. So muss bei der Besetzung von Schlüsselpositionen zwingend eine Frau auf der Shortlist stehen.
Auch an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird seit Jahren gearbeitet – Teilzeitstellen im Top-Kader sind keine Seltenheit mehr. «Ein gutes Beispiel ist eine Frau Mitte dreissig mit Familie und einem 70-Prozent-Pensum – unterm Strich klappt es sehr gut», sagt Jordi. Aber ohne die Männer ginge es nicht, hier müsse ein Umdenken stattfinden, denn Teilzeit bei Männern sei immer noch nicht akzeptiert. Vor acht Jahren arbeiteten drei Prozent der Männer im Top-Kader in Teilzeit, heute seien es zehn, so Jordi. «Eine Krippe ist schön, aber letztendlich geht es nur über die Männer, davon bin ich überzeugt.»
Frauenanteil soll weiter wachsen
Nun soll der Frauenanteil weiter wachsen: «Bis 2020 soll er um ein Drittel steigen.» Er habe dazu ein Programm lanciert und einen Aufruf im Intranet veröffentlicht, der heftige Diskussionen auslöste. «Die Frauen wollen nicht aufgrund eines vorgegebenen Ziels befördert werden, und die Männer halten das Thema für veraltet.» Eine Veränderung müsse von beiden Seiten forciert werden: Frauen müssten mehr Forderungen stellen und die Chefs mehr Frauen zulassen. «Die Veränderung muss von oben gewollt sein, anders geht es nicht», sagt Jordi.
Statt einer Quote sollten Unternehmen Ziele setzen, veröffentlichen und diese überprüfen lassen. Dies betreffe auch die Lohnungleichheit. Unternehmen, die nicht für eine Veränderung bereit seien, würden in Zukunft abgestraft. «Entweder die Unternehmen wollen die Veränderung, oder die Politik wird sie implementieren.»
Zu Kundentreffen mit einem Mann
Der Bund ist da nicht untätig: Für KMUs stellt das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) seit 2009 Fördergelder von rund vier Millionen jährlich für die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zur Verfügung. Wenig erfolgreich: Bis Ende 2014 flossen davon nur 900 000 Franken in entsprechende Initiativen der Unternehmen. Ob es an mangelhafter Informationspolitik oder am Desinteresse der Firmen liegt, ist unklar. Fakt ist: Das Projekt läuft Ende Jahr aus.
Nathalie Felber hat es geschafft, sich als Geschäftsführerin zu behaupten. Ein Relikt aus ihrer Anfangszeit bei Dietiker hat sie beibehalten: Um an wichtigen Kundentreffen das ideale Umfeld zu schaffen, gehe sie zum ersten Termin immer zusammen mit einem älteren, erfahrenen Mann aus der Führungsetage. Manchen Kunden sei es einfach angenehmer, mit einem Mann zu sprechen als mit einer jungen Chefin. «Es ist ein bisschen wie ein taktisches Rollenspiel.» Frauen, die sich in einer ähnlichen Position wie sie befänden, empfiehlt sie, sich von Anfang an den Rat älterer, erfahrener Kollegen einzuholen. Dies wirke sich mit Sicherheit positiv auf die Firmenentwicklung aus.