Herr Aemmer, wo sehen Sie Zusammenhänge zwischen betrieblicher Gesundheitsförderung und langfristigem Unternehmenserfolg?
Jürg Aemmer: Langfristiger Unternehmenserfolg setzt überdurchschnittliche Leistungen der Mitarbeitenden in allen Unternehmensbereichen voraus. Dies bedingt einerseits, dass die Mitarbeitenden die Fähigkeiten und das entsprechende Potenzial haben müssen. Andererseits muss die Unternehmung den Raum bereitstellen und die Voraussetzungen schaffen, damit die Mitarbeitenden ihr Potenzial entfalten können. Alle diesbezüglichen Massnahmen fassen wir unter dem Begriff «betriebliche Gesundheitsförderung» zusammen. Oder anders ausgedrückt: Ohne betriebliche Gesundheitsförderung kein langfristiger Unternehmenserfolg.
Die Kernkriterien der betrieblichen Gesundheitsförderung sind unumstritten, aber gibt es Ihrer Meinung nach weitere Massnahmen, die man noch einführen müsste?
Die Summe aller Massnahmen im BGM steht im Einklang mit unserer Unternehmenskultur und unseren Werten. Es geht deshalb für uns vor allem darum, das hohe Niveau zu halten und dabei ständig sehr gezielt weitere Verbesserungen umzusetzen.
Mehr Lohn und weniger Arbeit – wäre das nicht die ehrlichste Gesundheitsförderung?
Diese Formel ist zu einfach. Arbeitszeit und Lohn sind für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden nicht die wichtigsten Faktoren – natürlich wollen und sollen alle für ihre Leistung fair entlohnt werden. Indes ist vielmehr entscheidend, dass die Mitarbeitenden einen Sinn in ihrer Arbeit sehen, sich identifizieren können und spüren, dass sie und ihre Arbeit geschätzt und geachtet werden. Auch die persönlichen und fachlichen Entwicklungsperspektiven und das kollegiale Arbeitsumfeld sind wichtig. Dies sicherzustellen ist die Aufgabe eines «gesunden Arbeitgebers».
Gesundheitsförderung wird oft mit Blick auf die Mitarbeitenden der unteren und mittleren Hierarchiestufen gedacht. Wie sieht die Gesundheitsförderung im Kadersegment aus?
Wir betrachten die Gesundheitsförderung nicht hierarchisch. Unsere Massnahmen und Angebote gelten für alle Mitarbeitenden. Im Kaderbereich wird das Augenmerk verstärkt auf gewisse Themen wie hohe Belastung und Work-Life-Balance gerichtet.
Wie lautet Ihr Rezept für eine vernünftige Work-Life- Balance?
Das ist eine Frage der Unternehmenskultur. Für die «gefühlte» Belastung eines Mitarbeitenden ist nicht die reine Arbeitszeit massgebend. Die Führungskultur, die Wertschätzung, das Betriebsklima, der persönliche Gestaltungsfreiraum, die Entwicklungsmöglichkeiten, die Identifikation mit der Arbeit sind hier wichtiger.
Wir haben das Glück, in diesen Bereichen sehr weit entwickelt zu sein. Im Gegenzug erwarten wir von unseren Mitarbeitenden – nicht nur auf Kaderstufe – eigenverantwortliches Handeln. Gute Zusammenarbeit ist immer ein Geben und Nehmen. Die positiven Ergebnisse in unseren Mitarbeiterbefragungen zu diesem Themenbereich zeigen, dass diese Haltung im Einklang mit den Bedürfnissen unserer Mitarbeitenden steht.
Wie bringen Sie in Erfahrung, ob es Bedürfnisse nach Gesundheitsförderung gibt?
Alle zwei Jahre führen wir eine externe Umfrage zur Mitarbeiterzufriedenheit durch. Wir haben damit sehr gute
Erfahrungen gemacht, da wir so unsere Ergebnisse immer im Vergleich zu den anderen teilnehmenden Unternehmen und in der zeitlichen Entwicklung sehen. Weitere Kennzahlen sind für uns die Anzahl und Entwicklung der Unfälle und Krankheitsabsenzen. Die Mitarbeitenden können zudem über das Vorschlagswesen Anregungen, Ideen und Verbesserungsvorschläge einbringen, die wir dann prüfen und gegebenenfalls umsetzen.
Soziale Verantwortung, die sogenannte Corporate Social Responsibility, ist eines der sechs Kernkriterien des Labels Friendly Work Space®. In welchen Bereichen ist Kambly hier ein Vorbild?
Kambly steht seit seiner Gründung vor über 100 Jahren und über alle drei Generationen der Familie Kambly für Wertschätzung und Mitarbeiterorientierung. Wenn man diese Werte wirklich lebt, nimmt man allein dadurch schon eine grosse soziale Verantwortung wahr. Drei konkrete Beispiele: Zum einen stellen wir einen bestimmten Prozentsatz unserer Arbeitsplätze für Menschen zur Verfügung, die nicht (mehr) voll in den Arbeitsprozess integrierbar sind.
Zum andern versuchen wir mit sogenannten Schonarbeitsplätzen und in enger Zusammenarbeit mit Ärzten und Versicherungen, Mitarbeitende nach schwerer Krankheit oder nach einem Unfall rasch wieder zu integrieren, um so die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und einer drohenden Invalidität vorzubeugen. Schliesslich bildet Kambly 20 Lernende aus und leistet so einen Beitrag zur Berufsbildung im Emmental.
Was war für Sie die grösste Herausforderung beim Erlangen des Labels?
Basierend auf der seit der Firmengründung gelebten Unternehmenskultur entwickelte sich unser BGM schritt- weise aus dem Themenbereich Arbeitssicherheit. Seit vielen Jahren folgen wir dem EFQM-Modell für Business Excellence. Darum war das Erlangen des Labels Friendly Work Space® für uns ein recht kleiner Schritt. Das Assessment bot uns die Chance, unser BGM zu bündeln und von einer kompetenten, externen Stelle im Sinne des Prozess-Regelkreises beurteilen zu lassen als Basis für weitere Verbesserungen. Damit stellte sich die vermutlich grösste Herausforderung auf dem Weg zum Label – nämlich den richtigen Einstieg zu finden – für uns gar nicht erst.