Vielleicht sitzen Sie bald einmal vor einer Tasse Cappuccino in einem unbekannten Lokal und fragen sich, wie Sie dort hineingeraten sind. Und falls Sie zum Schluss kommen, das Ganze sei purer Zufall, könnten Sie falsch liegen. Vorher sind Sie, ohne es zu merken, an einer elektronischen Anzeigetafel vorbeigekommen, die für das Café geworben hat.
Das Display war ausgestattet mit Kameras, Sensoren und einer Menge künstlicher Intelligenz (KI). So wurden Ihr Geschlecht, Ihr Alter, Ihre Laufrichtung und Ihre aktuelle Gemütsstimmung erkannt. Aufgrund dieser Daten wurde eine auf Sie zugeschnittene Werbung auf dem Display angezeigt. Als Sie dann tatsächlich in dem beworbenen Café um die Ecke einen Cappuccino bestellten, wurden Sie von den dort platzierten KI-Sensoren wiedererkannt. Die Werbung hat funktioniert, es hat eine sogenannte Conversion stattgefunden. Die Werbefirma, die die Anzeigentafel betreibt, wird vom Cafébetreiber eine Kommission erhalten.
Unternehmen nützen bereits heute künstliche Intelligenz
Noch fehlen solche Displays in unseren Innenstädten. Die Technologie dahinter ist aber keine Zukunftsvision. Bereits wird mithilfe von Gesichtsanalyse, Sensorik und künstlicher Intelligenz zielgruppenspezifisches Marketing betrieben. Verschiedene grosse Schweizer Unternehmen nutzen solche Systeme. Unter anderem werden damit Ladeneinrichtungen optimiert. So haben die Unternehmen etwa die Möglichkeit herauszufinden, wie viele Frauen im Alter von 20 bis 25 sich wann und wo im Laden aufhalten, um anschliessend sogenannte Heat-Maps zu erstellen und Angebote für diese Zielgruppe optimal zu platzieren.
Die zugrunde liegende KI-Technologie ist bereits so weit ausgereift, dass Maschinen das Alter von sich bewegenden Menschen in Sekundenbruchteilen mit einer Abweichung von weniger als drei Jahren korrekt schätzen. Ein St. Galler Startup ist in diesem Gebiet führend.
Aus der Verbindung von künstlicher Intelligenz und Sensortechnik eröffnen sich für Unternehmen komplett neue Möglichkeiten für personalisiertes Marketing. So können sie ihre potenziellen Kunden auch offline genau im richtigen Moment, abgestimmt auf ihre persönlichen Bedürfnisse ansprechen. Marketingexperten sprechen hier von sogenannten Micro-Moments. Der ineffiziente Schrotflinten-Ansatz – man berieselt möglichst viele Kunden mit Werbung, in der Hoffnung, einige würden darauf ansprechen – wird im digitalen Zeitalter zunehmend abgelöst.
Datenschutzgesetze werden Technologie nicht massgeblich einschränken
Im Rahmen des Datenschutzgesetzes sind die genannten Beispiele legal, solange die Gesichter der Kunden lediglich als Datenpunkte und in anonymer Form analysiert werden. Manche Konsumenten wird der Einsatz solcher Technologien dennoch befremden. Dies war nicht anders, als die Migros vor 21 Jahren die Cumulus-Karte einführte, um das Kaufverhalten ihrer Kunden zu analysieren. Der Aufschrei damals war gross, heute stört sich fast niemand mehr daran.
Was in Zukunft alles möglich sein wird, lässt sich nur erahnen. Dass Datenschutzgesetze diese Technologien massgeblich einschränken werden, ist eher nicht zu erwarten. Sich dem technologischen Wandel zu entziehen, ist kaum oder nur mit grossem Aufwand möglich.
Animiert Sie demnächst ein Display dazu, im Laden um die Ecke Blumen für Ihre Frau zu kaufen, ist es also gut zu wissen, dass dies möglicherweise nicht ganz zufällig passiert. Vielleicht hat ein Algorithmus erkannt, dass Sie in letzter Zeit meist sehr spät abends in Anzug und Krawatte hier vorbeigekommen sind.