Die mir oft gestellte Frage, wie man innerhalb weniger Jahre vom Leiter eines Unternehmens mit 213 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 30 Millionen Franken zum Leiter von zwei Unternehmensgruppen mit knapp 6000 Mitarbeitenden und rund 1,2 Milliarden Franken Umsatz werden könne, ist berechtigt. Für mich stellt sich dann jeweils umgehend die Gegenfrage, wie man ein Unternehmen mit 30 000 oder sogar 40 000 Mitarbeitenden als CEO leiten und gleichzeitig in mehreren Verwaltungsräten grösserer und börsenkotierter Unternehmen sitzen kann.
Jeder der Betroffenen hat seine eigene Antwort. Für mich ist wichtig, dass ich die Übersicht bewahre, mich nicht in Details und Einzelheiten verliere sowie auf vertrauenswürdige, verantwortungsbewusste, einsatzbereite und dynamische Leitende zählen kann – Mitarbeitende also, die nicht nur Empfangsstationen, sondern auch Sendemasten für eigene Ideen sind. Ich bevorzuge dabei Führungskräfte, die, bildlich gesprochen, an Stelle von schwarzen oder platinfarbigen Haaren Sende- und Empfangsmasten auf dem Kopf tragen. Mit diesen Stationen erfahren sie, was sich auf dem Markt tut. Damit einher geht meine Erwartung, dass diese Führungskräfte bei den Kunden und bei den Lieferanten sind – und zwar nicht nur zum Mittag- oder Abendessen, sondern vor allem auch, um Trends in Erfahrung zu bringen.
Ich mag keine leitenden Mitarbeitenden, die den überwiegenden Teil ihrer Arbeitszeit im Büro und vor dem PC verbringen. Um dies zu vermeiden, gibt es einfache Mittel: die Computer über das Netz ausschalten, die Büros im Sommer nicht kühlen und im Winter nicht heizen zu lassen. Ebenso trägt es bei mir wenig zur täglichen Freude bei, wenn der Wochenkalender von Sitzungsterminen, so genannten Workshops, geradezu strotzt. Unvorbereitete Sitzungen lasse ich platzen. Die Arbeit um 7.30 Uhr mit einer Sitzung bei Kaffee, Brötchen oder Gipfeli zu beginnen, wurde abgeschafft, denn auch der Arbeitnehmer an der Werkbank und in der Produktion beginnt seine Arbeit an der Maschine nicht mit einem Frühstück, sondern mit echter Leistung.
So wie ich in diesen Dingen möglicherweise als kleinlich abqualifiziert werde – dies stört mich indes überhaupt nicht –, kritisiere ich die Spesen. Mitarbeiter, die im Aussendienst keine Unkosten geltend machen, am liebsten das eigene Bett aufsuchen und schon die Zeitung gelesen haben, wenn sie abends nach Hause kommen, kritisiere ich hart und direkt. Bereits mitten am Nachmittag stehen bei diesen Aussendienstlern nicht mehr Arbeit und Verkauf oder Beratung im Zentrum der Gedankenwelt, sondern das Erreichen des Fluges, der Bahn oder die zeitgerechte Ankunft zu Hause. Die vermeintlich tiefe Spesenabrechnung kann für das Unternehmen letztlich sehr teuer werden.
Aber eben, man kennt seine Pappenheimer. Um sich Kenntnisse solcher Art zu verschaffen, ist für mich der Dialog auf allen Ebenen sehr wichtig. Er muss immer wieder gesucht werden. Dabei geht es nicht nur um Gespräche mit Führungskräften, sondern noch mehr um den Dialog mit den Mitarbeitenden auf allen Stufen. Von der Raumpflegerin erfährt man, wie es in den Büros zugeht. Die Ordnung auf dem Schreibtisch, im Dienstfahrzeug, im Nachführen, in der Verwaltung und der Kundenkartei sagt mehr aus als ein langes Gespräch.
Sehr viel entnehme und lerne ich aus Reklamationen von Kunden. Gerade deshalb will ich Einsicht in alle Kundenreklamationen bestimmter Unternehmen haben. Sie sind sehr aussagekräftig. Die Bearbeiter lernen von den Reklamationen, wo etwas schief gegangen ist, wo das Unternehmen Geld zum Fenster hinauswirft und was man besser machen kann. Fehler passieren genauso wenig zufällig, wie sich Betriebsunfälle zufälligerweise ereignen. In jedem Fall, sei es bei Betriebsunfällen oder bei Fehlern in der Produktion, werden Mittel des Unternehmens verbrannt. Und dies kann, so meine ich, weder Zielsetzung noch Aufgabe eines Unternehmens sein.
Als aktiver Leiter eines börsenkotierten und eines nicht börsenkotierten Unternehmens macht man so seine Erfahrungen mit Medien und der Finanzwelt. Ich konnte als ehemaliger Journalist nie ganz verstehen, warum man in den Medien kaum Notiz von der Surface Technologies International (STI) und deren grösster Tochterfirma, der Hartchrom, nimmt. Die STI und die Hartchrom haben weltweit in vielen Bereichen monopolartige Produkte. Mit sichtlichem Stolz halten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fest, dass mindestens jeder Europäer und jeder Amerikaner jeden Tag Kunde eines Kunden von uns ist. Ohne unsere Leistungen kämen verschiedene Produktionsunternehmen nicht über die Runden. Das interessierte bis zur Übernahme meiner AFG-Aktienmehrheit niemanden. Man konnte eben keine Story daraus machen.
Ganz anders mit der AFG: Seit September 2003 erfreuen wir uns einer sehr grossen Medienpräsenz. Zugegeben, die AFG ist in den vergangenen zwei Jahren massiv gewachsen, überraschte immer wieder und wird auch in Zukunft weiterhin überraschen. Die Begründung ist einfach: Während die AFG alle Zahlen veröffentlicht, die Börse und ihr breit gestreutes Aktionariat zu informieren hat, ist die STI ein Privatunternehmen. Gesamtwirtschaftlich aber hat die STI eine weit grössere Bedeutung, zumal weltweit Zehntausende von Arbeitsplätzen direkt und Hunderttausende indirekt von dieser Unternehmungsgruppe abhängen. Dies gäbe gute Geschichten her, sie können aber eben nicht in Franken und Rappen umgerechnet werden. Umgekehrt würde mich allerdings interessieren, was wäre, wenn ich an Stelle von Namen- und Inhaberaktien eine Einheitsaktie schaffen würde. Auch so genannte Private-Equity-Gesellschaften haben ihre Vorschläge in Bezug auf die Zukunft der beiden Unternehmungsgruppen und die Geldvermehrung.
Bei der Beantwortung solcher Fragen kommt immer wieder der Politiker in mir zum Vorschein. Für mich sind dabei die volkswirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Monate in der Schweiz von grösster Bedeutung. Dabei denke ich an die Veränderungen bei Leica in meiner Wohngemeinde Balgach, an Unaxis in der Nachbarschaft, aber auch an Forbo – da lobe ich mir Michael Pieper! –, Saia-Burgess, Danaher Motion in La Chaux-de-Fonds usw. Alles Unternehmen, die in den vergangenen Monaten für Unruhe und Schlagzeilen sorgten. Ich denke an die Verwaltungsräte und vor allem an die Belegschaft, an die Hunderte von Milliarden von Euros und Dollars, die täglich weltweit Anlagepositionen suchen. Ich denke an die Gewinner und an die Verlierer, vor allem an die betroffenen Arbeitnehmer. Dabei ist sattsam bekannt, dass ich während meiner 24 Jahre im Parlament beileibe kein Linker, sondern ein Vertreter des Gewerbes und der Industrie gewesen bin. Mit Stolz erinnere ich mich an die Tausende von Stimmen, die ich von Arbeitnehmern und Gewerkschaftern immer wieder auf meinem Konto verbuchen durfte. Ich denke nicht an die persönliche wundervolle Geldvermehrung, sondern an die Entwicklung unseres Landes, an die Haltung unserer abstimmenden (oder leider nicht abstimmenden) Mitbürger, an die Entwicklung der Sozialwerke. Seit 40 Jahren bin ich weltweit unterwegs und kenne die wirtschaftliche Entwicklung vor allem im Fernen Osten und in Nordamerika aus eigener Erfahrung. Ich gehöre damit nicht auf jene angeblich vaterländische Seite, die gemäss dem Motto «Ich höre, sehe und sage nichts» lebt. Ganz im Gegenteil: Wir dürfen nicht sehend ins offene Messer rennen. Der so genannte Ausverkauf der Heimat findet nicht über den Immobilienhandel statt. Mit der Abschaffung der Lex Koller und der Freigabe des Verkaufs von Grund und Boden können wir nur vordergründig Arbeitsplätze schaffen.
Ich erachte es als meine Aufgabe – als die Aufgabe aller Chefs –, mich für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen in unserem Land einzusetzen.
Edgar Oehler ist Besitzer, Präsident und Delegierter des Verwaltungsrates der Surface Technologies International. Im Jahr 2003 übernahm der Sankt Galler die AFG Arbonia-Forster, der er später die Küchen- und Fensterhersteller Bruno Piatti und EgoKiefer einverleibte. Zwischen 1971 und 1995 sass der ehemalige Chefredaktor der Tageszeitung «Die Ostschweiz» im Nationalrat.