Niklaus Traber trägt Sicherheitsschuhe zu Anzugshosen und ist sich auch nicht zu schade, eine Arbeiterjacke und Helm anzuziehen. Auf dem Gelände des Zementwerks von Siggenthal folgt er den Anweisungen seines Standortleiters Michael Suter. Sonst sei es umgekehrt, scherzt der Produktionschef. Die beiden kennen und duzen sich. Traber heisst «Nick», Suter ist «Mike».
Im Büro trägt der Zementmanager dann wieder die polierten Schuhe zum feinen Zwirn. Traber ist wandelbar. Das musste er auch sein. Seine Karriere startete er als Consultant bei Holcim. Er blieb im Konzern, übernahm Verantwortung für ein Werk in Spanien, begleitete den Merger mit Lafarge und leitete das Business von Ecuador. Anfang dieses Jahres beorderte LafargeHolcim-Chef Jan Jenisch den Schweizer schliesslich zurück ins Heimatland und machte ihn zum Länderchef für die Region Schweiz und Italien.
Seit seinem Amtsantritt sind mittlerweile über sechs Monate vergangen. In der Zwischenzeit hat der Konzern angekündigt, seinen Hauptsitz zu verlegen und zahlreiche Jobs abzubauen. Was das für das Geschäft von Traber in der Schweiz bedeutet, erklärt er im ersten Mediengespräch seit seiner Rückkehr in die Schweiz.
Sie sind seit Frühling Schweiz-Chef von LafargeHolcim. Wo haben Sie erste Pflöcke eingeschlagen?
Niklaus Traber: Wir haben uns fokussiert auf die Umsetzung der neuen Strategie unseres CEO Jan Jenisch. Das heisst: Wir haben die Organisation stärker dezentralisiert und Hierarchie herausgenommen.
Als Schweiz-Chef haben Sie eine spezielle Position. Umsatztechnisch ist die Region relativ klein. Aber der Sitz ist hier. Gewichtige Aktionäre leben im Land. Welche Relevanz nimmt die Schweiz wirklich ein?
Wir repräsentieren den Heimatmarkt des Konzerns. Und unser Anspruch ist es, dass wir eine Vorreiterrolle innerhalb der Gruppe in Sachen Nachhaltigkeit und Innovation einnehmen.
Die Schweiz als Versuchslabor, das Geschäft passiert woanders?
Das ist etwas zugespitzt, aber ja: Wir sind bereit, gewisse Ideen, welche im Konzern entwickelt wurden, hier umzusetzen und Pionierarbeit zu leisten. Die Schweiz ist führend beim Thema Nachhaltigkeit. So etwas wie das Nest bei der Empa ist weltweit einzigartig. Wir unterstützen auch innovative Projekte an der ETH Zürich und der EPFL in Lausanne.
Der Umsatz von Holcim Schweiz lag im letzten Jahr bei 673 Millionen Franken. Wie läuft das Geschäft aktuell?
Wir bewegen uns in einem stabilen und robusten Markt. Die Importe haben in der Vergangenheit zugenommen, was zu einem hohen Preisdruck führte. Das haben wir vor allem in den vergangenen Jahren gespürt. Jetzt konzentrieren wir uns auf die Kostenseite. Logistik, Brennstoffe, Rohmaterial und Strom sind Faktoren, die wir optimieren können.
LafargeHolcim schraubt auch woanders. In der Schweiz kommt es zu einem Jobabbau, die Niederlassung in Zürich wird verkleinert, der Hauptsitz verlegt. Inwiefern sorgt das für Unmut bei der Belegschaft?
Hier ging es um die Konzernstandorte in Paris und Zürich. Bei Holcim Schweiz war das Ausmass geringer. Wir haben genauso wie die Gruppe versucht, alles möglichst schnell und in einvernehmlicher Weise abzuschliessen. Die Holcim-Schweiz-Ländergesellschaft bleibt in den Räumlichkeiten in Zürich Oerlikon.
Sie sind seit 2002 im Konzern. Warum halten Sie der Firma die Treue?
Holcim ist ein spannendes Unternehmen. Mir wurden immer wieder neue herausfordernde Aufgaben anvertraut. Ich habe das Geschäft von Grund auf gelernt und hatte in jungen Jahren Verantwortung für ein Zementwerk. Das war eine grossartige Schule, von der ich noch heute profitiere.
Wie haben Sie den Merger mit Lafarge erlebt?
Ich war im Merger-Team engagiert. Es war eine intensive Zeit und auch interessant zu erleben, wie zwei Kulturen zueinander finden. Und heute kann ich sagen: Wir sind eine neue Firma.
Ein heisses Thema im Konzern ist die Arbeitssicherheit. Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 keine tödlichen Arbeitsunfälle mehr zu haben. Wie steht die Schweiz da?
Wir haben gute Fortschritte erzielt in den letzten Jahren. Das gilt vor allem für schwere Unfälle. In der Schweiz und Italien gab es seit mehr als drei Jahren keinen Todesfall mehr. Aber natürlich ist jeder Arbeitsunfall einer zu viel. Der Verkehr im Werk ist ein schwieriges Thema. Wir haben auch zahlreiche Betonfahrzeuge auf der Strasse. Und wir arbeiten mit Materialen in hohen Temperaturen, grossen Förderbändern und teilweise in beträchtlicher Höhe. Es gibt also sehr spezifische Themen.
Sie waren Länderchef von Ecuador. Hat Holcim in der Schweiz weniger Unfälle? Gelten andere Sicherheitsstandards?
Das Land ist diesbezüglich auf europäischem Niveau. Da gibt es bei uns keine Ausnahmen. Man muss sich auch vor Augen halten, dass Ecuador kein armes Land ist. Ich habe dort eine der modernsten Anlagen des Konzerns in Betrieb genommen.
Zum Thema Diversity: In der Zementindustrie sind Frauen chronisch unterrepräsentiert. In der Geschäftsleitung von Holcim Schweiz sitzen nur zwei Damen. In der Konzernleitung und im Verwaltungsrat der Gruppe sogar nur eine.
Das ist sicher nicht genug. Wir arbeiten am Nachwuchs. Die Leiterin des Geschäfts in der Romandie ist eine Frau. Noch besser: eine Frau mit Wurzeln in der Region. Und viele weitere Talente fördern wir gezielt. Das reicht von Praktika bis hin zu Führungsprogrammen. Hoffentlich geht es aber schneller als 10 Jahre, bis Frauen in führenden Positionen in unserer Industrie selbstverständlich sind.
Viele sagen, es gäbe ein Kulturproblem, weil die Branche männerdominiert sei.
Das ist eine Hemmschwelle. Das Diversitätsproblem beginnt aber schon in der Schule und in der Ausbildung. Hier müssen wir als Firma und als Gesellschaft einen Extra-Effort leisten. Eine kritische Masse ist wichtig.
Ein letztes Reizthema: LafargeHolcim will die Umweltbilanz verbessern. Im Werk im aargauischen Siggenthal setzen Sie aber seit Jahren auf Braunkohle statt auf Steinkohle. Wie passt das in die Strategie?
Wir haben in den letzten Jahren vor allem den Anteil an alternativen Brennstoffen merklich erhöht, um Kohle zu ersetzen. Für uns als Firma und für die Gesellschaft ist es am besten, dass diese Stoffe weder deponiert noch exportiert werden. Sie sollten bei uns im Land Verwertung finden. Wir verarbeiten auch verunreinigten Bauschutt und fördern damit die Kreislaufwirtschaft.
Trotzdem: Braunkohle produziert mehr CO2 als andere Stoffe. Ist das Reduktionsziel des Konzerns nur ein Lippenbekenntnis?
Ganz und gar nicht. Wir sind in der Schweiz sehr gut unterwegs. Einerseits auf der Brennstoffseite, weil wir viel mehr alternative Brennstoffe verwenden. Da investieren wir auch jedes Jahr einen hohen Millionenbetrag, aktuell gerade in unserem Werk in Untervaz. Andererseits suchen wir beim Transport unseres Produkts ständig nach Verbesserungen. In der Schweiz bringen wir mehr als 50 Prozent des Zements mit der Bahn zu unseren Kunden. Den im internationalen Vergleich hohen Bahnanteil wollen wir in Zukunft sogar noch ausbauen.
Zementstandort Schweiz: Ein Markt unter Druck
- Umfeld Höllische Temperaturen von 1450 Grad herrschen im Innern des Drehofens. Er stammt aus den siebzigerJahren und ist das Herzstück des Zementwerks im aargauischen Siggenthal. Die Anlage ist eine von drei Stätten, wo Holcim Schweiz die Grundzutat von Zement herstellt: Klinker. Die anderen beiden sind in Eclépens VD und Untervaz GR. Gemeinsam produzieren die drei Werke mehr als 2,5 Millionen Tonnen Zement pro Jahr. Das ist ein Grossteil der Inlandsproduktion. Holcim Schweiz und die anderen Zementproduzenten hatten in den letzten Jahren aber ein Problem: Überkapazitäten im EU-Raum. Das hat die Preise für Importprodukte gedrückt. Die Aufwertung des Frankens hat die Situation zusätzlich angeheizt.
- Absatzdelle Das Resultat ist ein Rückgang bei den Inlandlieferungen der schweizerischen Zementindustrie. Das Minus liegt im letzten Jahr bei über 4 Prozent. Die Summe aller Schweizer Zementlieferungen betrug knapp 4,3 Millionen Tonnen. Mitverursacher der Absatzschwäche ist auch das Ende grosser Infrastrukturprojekte im Inland und ein Abflauen des Booms beim Bauen von neuen Wohnungen.