Peter G. Kurath, für Einzelunternehmer und Selbständige greifen die Massnahmen des Bundes nicht. Was halten Sie davon?
Wir haben bei uns im Verband Kreativwirtschaft Mitglieder in Not. Deshalb richten wir drei kurzfristige Forderungen an den Bundesrat:

  • Ein fairer Zugang zu Erwerbsersatz-Taggeldern für Einzelunternehmer und Selbständige, die glaubhaft Umsatzeinbussen nachweisen können. 
  • Ein fairer Zugang zu Kurzarbeit im Rahmen der versicherten Lohnsumme. Dabei sollen ebenfalls 80 Prozent der AHV-Lohnsumme für arbeitgeberähnliche Arbeitnehmer wie freie Fotografen, Texter oder Architekten bezahlt werden.
  • Eine Weisung, dass die Miete von Geschäftsräumen bei hohen Umsatzeinbussen zu 100 Prozent erlassen werden soll. Und zwar für mindestens ein bis zwei Monate.
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Es gibt doch bereits eine Pauschale von 3300 Franken für Selbständige.
Das ist willkürlich. Unternehmer und Selbständige bezahlen schliesslich auch die regulären ALV-Beiträge. Deshalb sollten sie 80 Prozent ihrer Lohnsumme erhalten, die sie bei der AHV angegeben haben. 

Dazu gibt es bereits auch Mieterlasse für Geschäftsräumlichkeiten, beispielsweise die von der Stadt Zürich
Ja, aber dieser Mieterlass muss in der ganzen Schweiz für alle gelten. Deshalb muss eine solche Weisung in die Notverordnung des Bundesrats. Es gibt zwar bereits Mieterlasse, aber diese gelten nicht überall gleich. Das bewirkt letztlich Ungleichheit. Die einen erhalten eine Mietermässigung, während die anderen immer noch zahlen müssen. Dann schafft Vorteile – und ist nicht gerecht. 

«Ich hätte kein Problem damit, wenn das Opernhaus nach der Krise für zwei Jahre geschlossen bleibt.»

Sie sind ebenfalls Vermieter von Geschäftsräumen und an mehreren Immobilienfirmen beteiligt. Verzichten Sie selbst auf die Mieten?
Ich habe all meinen Mietern die Miete für zwei Monate erlassen. Man sollte jetzt solidarisch sein. Solidarität darf aber trotzdem keine Ungerechtigkeiten schaffen. Die Vermieter haben mit dem Niedrigzinsumfeld der letzen Jahren ein grosses Geschäft gemacht. Alle, die jetzt Kündigungen aussprechen, sind Abzocker. Vermieter haben genug verdient in den letzten Jahren. Wer jetzt nicht solidarisch ist, soll gefälligst das Land verlassen. 

Gibt es noch noch weitere Forderungen vom Verband Kreativwirtschaft?
Es wird bereits jetzt über Konjunkturprogramme für die Zeit nach der Krise nachgedacht. Wer kommt in welches Konjunkturprogramm für den Wiederaufbau? Da wäre es aus unserer Sicht wichtig, dass man sich überlegt, ob man die Kulturförderung im klassischen Sinne weiter unterstützt oder ob man einen Investitionsprogramm für die Kreativwirtschaft für die Weiterentwicklung aufsetzt. 

Im Klartext: Man soll nicht wieder das Opernhaus unterstützen, sondern andere Kulturbetriebe?
Ich hätte kein Problem damit, wenn das Opernhaus nach der Krise für zwei Jahre geschlossen bleibt. 

Sind Ihre Mitglieder nicht wütend auf den Bund, weil er sie bei der Notverordnung vergessen hat?
Der Bund hat sie nicht vergessen. Er macht eins nach dem anderen. Der Bund reflektiert den Druck, der von verschiedenen Seiten entsteht. Der erste Druck war die Liquidität, da haben sie eine Lösung gebracht. Der zweite Druck lag auf den Arbeitnehmern. Dafür haben sie Kurzarbeit eingeführt – zumindest für die meisten.

Wer zwischen die Maschen der Notpakete fällt

März 2020: Der Bundesrat spannt einen Rettungsschirm für die ganze Schweizer Wirtschaft. Die ganze? Nicht ganz. Die Details lesen gibt es hier

Die meisten, aber nicht alle.
Deshalb kommt jetzt der Druck der Selbständigen, dafür braucht es jetzt eine Lösung. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass der Bund nicht am ersten Tag eine Gesamtlösung für alle Teilnehmer der Volkswirtschaft parat hatte. 

Was sind sonstige Stimmen Ihrer Mitglieder?
Sie sind verunsichert und haben Angst. Deshalb haben wir vom Verband aus einige Checklisten gemacht, wie man jetzt gegenüber Kunden und anderen Interessenvertretern vorgehen soll. Eine Art «Mini-MBA» in Ökonomie. Es gibt einige Mitglieder, die sich in der Vergangenheit zu wenig darum kümmerten.  

«Wer jetzt nicht solidarisch ist, soll gefälligst das Land verlassen.»

Viele Selbständige sind indirekt von der Krise betroffen. Eine Fotografin kann kein Modeshooting mehr machen, weil keine Models mehr verfügbar sind und sich nicht mehr als fünf Personen treffen dürfen. Die Situation für solche Betroffenen ist nicht so klar wie bei jemandem, der ein Café betreibt und jetzt schliessen musste.
Alle diese Selbständige haben Steuern und ALV. Die Situation ist meiner Meinung nach klar: Es ist wie bei der Kreditvergabe. Die Fotografin muss lediglich das Verdienst einreichen, das sie bei der AHV angegeben hat. Das ist die Basis für die Auszahlung eines gewissen Betrags. Ganz einfach. 

Nehmen Ihre Mitglieder keine Kredite auf?
Sie sind vorsichtig. Eine Fotografin hat nach der Krise nicht plötzlich doppelt so viele Aufträge, damit sie ihren Lebensunterhalt finanzieren und gleichzeitig einen Kredit abzahlen kann. Zudem hatten viele Selbständige in der Vergangenheit kaum etwas mit Banken zu tun. Sie haben oft noch nie einen Kredit in Anspruch genommen. Es ist nicht wie bei einem klassischen Produktionsbetrieb, der einen neuen Maschinenpark anschaffen muss. Dort macht ein Kredit Sinn. Aber für was musste eine Fotografin vorher einen Kredit aufnehmen?

Dachverband Kreativwirtschaft Schweiz

Der Dachverband Kreativwirtschaft Schweiz repräsentiert 71'000 Unternehmen mit 483'000 Arbeitnehmenden. Sie erwirtschaften eine Wertschöpfung von rund 22 Milliarden Franken. Das sind rund vier Prozent des BIP. Der Verband hat seinen Sitz in Zürich und wird von Peter G. Kurath präsidiert. 

Was ist besser: Kredit aufnehmen oder Konkurs anmelden?
Einen Kredit aufnehmen. 

Weshalb?
Ich gehe davon aus, dass irgendwann der Punkt kommen wird, an dem der Staat entscheidet, die 20 Milliarden Bürgschaft für die Kredite abzuschreiben. Ich gehe nicht nur davon aus, ich fordere es.

Der Bund will doch verhindern, dass er einen a-fonds-perdu-Kredit sprechen muss.
Das stimmt so nicht. Kehren Sie die Situation doch mal um: Wenn der Bund jetzt von Anfang an eine a-fonds-perdu-Lösung gebracht hätte, wäre das ein total anderes Zeichen gewesen. Ich befürworte es, dass der Bund eine Hürde geschaffen hat. 

Weshalb?
Ein Beispiel: Ein Unternehmen hat zwei Millionen Franken Umsatz. Es würde wissen, dass es dafür einen Kredit von 200'000 Franken erhält - und zwar a-fonds-perdu. Wäre das so, würden einige bestimmt das Maximum an Kredit holen und Investitionen tätigen. Das ist nicht korrekt. Niemand in der Schweiz erwartet, dass jetzt schon a-fonds-perdu-Kredite gesprochen werden.

Sind Sie sicher?
Wenn man wüsste, dass die Krise in einem Monat ausgestanden ist, könnte man planen, 40 Milliarden Franken dafür auszugeben. Aber gehen Sie davon aus, dass die Krise bis im September dauert. Dann kann man doch nicht schon am Anfang 100 Milliarden Franken Kredit geben. Ich bin überzeugt, dass a-fonds-perdu noch kommen wird. Zum Anfang hat der Bundesrat jetzt mal die Liquidität sichergestellt.

Aber nicht für alle.
Der Bundesrat kann nicht auf einmal 500'000 Individuallösungen präsentieren. Viele jonglieren derzeit mit Zahlen. Der Verband Kreatiwirtschaft macht gerade eine Umfrage unter 5000 Mitgliedern, um herauszufinden, wo der Schuh genau drückt. Wo wird konkret Unterstützung benötigt? Liegen die Resultate vor, kann man danach besser individuelle Massnahmen ergreifen. Jetzt ging es erstmal darum, den grossen Schirm mit den 20 Milliarden zu öffnen. Das hat der Bund und die Banken meiner Meinung nach gut gemacht. Ein Drittel des Geldes ist übrigens nach einer Woche schon weg. Das darf man nicht vergessen.

«Jetzt ist der Zeitpunkt der Solidarität, nicht der Revolution.»

Fordern Sie ihre Mitglieder aktiv auf, keine Mieten mehr zu zahlen?
Nein, das tun wir nicht. Der Bundesrat soll das verordnen. Alles andere schafft Fronten.

Also ist es keine Lösung, die Rechnungen nicht mehr zu bezahlen.
Nein, wir haben eine klare Forderung: Zwei Monate Mieterlass für Selbständige und Unternehmer, die 80 bis 90 Prozent Umsatzeinbussen vorweisen können. Man muss auch berücksichtigen: Es gibt nichts Teureres als eine leere Liegenschaft. Wenn man jemanden jetzt rausschmeisst, der nicht mehr zahlen kann, ist das keine Lösung. Schlussendlich erhöhen solche Kurzschlusshandlungen den Druck auf den Immobilienmarkt. Auf der anderen Seite ist es auch nicht angebracht, jetzt pauschal keine Rechnungen mehr zu bezahlen. Wo hört das denn auf? Zahlt man die Handyrechnung noch?

Was raten Sie?
Wir haben ein Paper aufgesetzt, wo klar steht, wie man als Selbständiger oder Unternehmer mit offenen Rechnungen umgehen soll. Das Wichtigste in der Krise ist nicht Geld, sondern Kommunikation. Die verschiedenen Parteien sollen miteinander reden und dann kommt man zu einer passenden Lösung – zusammen. 

Massnahmen für die Mitglieder der Kreativwirtschaft

Der Verband hat eine Liste von Massnahmen für Selbständige und Unternehmer veröffentlicht:

  • Treuhänder und Buchhalter: Sprich mit deinem Treuhänder/Buchhalter und lass dich beraten. Viele Massnahmen sind zu unternehmensspezifisch, als dass wir diese hier aufführen könnten. In der Einschätzung, ob ein Liquiditätskredit für dich sinnvoll ist oder du besser darauf verzichtest, dein Treuhänder/Buchhalter sollte der erste sein, der dich hier in deinem Interesse beraten kann. Entwickle Szenarien und ermittle deine benötigte Liquidität inkl. deiner Lebenshaltungskosten kurzund mittelfristig.
     
  • Bank: Kredite im Rahmen von 10% deines letztjährigen Jahresumsatzes und bis zu CHF 500‘000, sollten vereinfacht für KMU zur Verfügung stehen, mit einem Zins von 0%, Laufzeit 5 Jahre. Für die genauen Konditionen sprich mit deiner Bank.
     
  • Kultursektor: Massnahmen zur Abfederung wirtschaftlicher Folgen des Coronavirus finden sich hier. Das BAK und Pro Helvetia arbeiten an konkreten Massnahmen, den Corona Infopoint von Pro Helvetia bietet laufend aktualisierte Informationen.
     
  • Kurzarbeit: Beschäftigst du Mitarbeitende und kannst Ausfälle nachweisen, dann melde lieber früher als spät Kurzarbeit an. Informiere dich hier und bei den zuständigen kantonalen Stellen für Wirtschaft und Arbeit hier.
     
  • Erwerbsersatzordnung Selbständige: Für selbständig Erwerbende (Einzelunternehmen) besteht die Möglichkeit Taggelder zu beantragen, falls die Voraussetzungen erfüllt sind. Wir empfehlen zur Zeit, dass ihr euch um Taggelder bemüht, selbst wenn nicht alle Voraussetzungen erfüllt sind und die Absagen sammelt, um weitere Massnahmen voranzutreiben. Wende dich an deine AHV Ausgleichskasse/SVA deines Kantons und informiere dich hier. Falls alle Stricke reissen und du dich in einer Notsituation befindest, wende dich bitte an das Sozialamt deiner Gemeinde.
     
  • Miete: Bitte siehe dazu die neuste Medienmitteilung des Bundes hier. Der Bundesrat hat die Frist bei Wohn- und Geschäftsmieten von 30 auf 90 Tage, sofern die Mieterinnen und Mieter aufgrund von behördlich angeordneten Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus mit der Bezahlung der Mietzinse in Rückstand geraten. Eine zusätzliche Task Force wird dem Bundesrat bei Bedarf weitere Massnahmen vorschlagen. In der Zwischenzeit lohnt es sich das Gespräch mit dem Vermieter zu suchen.
     
  • Kommunikation: Führe eine offene Kommunikation mit deinen Partnern, Lieferanten und Kreditoren, wir sitzen alle im gleichen Boot. Sie sind oft bereit zu individuellen Lösungen und Ratenzahlungen.
     
  • Inkasso: Verrechne sofort erbrachte Dienstleistungen. Rede notfalls mit deinen Kunden. Bestehe gerade bei Grosskonzernen auf der Zahlungsfrist und fordere Solidarität ein.
     
  • Rechnungen: Bezahle die kleinen Rechnungen (bis CHF 500.00) zuerst, die mittleren (bis CHF 5’000.00) einen Monat später und bei den grossen Rechnungen wende dich an die Kreditoren, um die Raten zu besprechen.
     
  • Staatsabgaben: Inkassostellen bei Bund, Kanton und Gemeinden sind angehalten grosszügig beim Einziehen von Staatsabgaben (z.B. MwSt.-Steuern, Akontozahlungen an die Ausgleichskasse und Stromrechnungen) zu agieren. Verlange eine Verlängerung der Zahlungsfrist oder vereinbare eine Ratenzahlung. Diese sind zur Zeit gestundet ohne Verzugszinsen.
     
  • Leasingverträge: Mit der Leasinggesellschaft reden und die monatlichen Raten reduzieren. Dann den Vertrag neu abschliessen und die Laufzeit insoweit verlängern, dass der reduzierte Betrag einfach später bezahlt wird.
     
  • Versicherungsprämien: Bitte um einen Nachlass oder eine Verlängerung der Zahlungsfrist, falls du die Jahresprämie noch nicht bezahlt hast.
     
  • Abgesagte Veranstaltungen/Messen: Prüfe inwiefern du eine Rückerstattung beantragen kannst.
     
  • Denke an Morgen: Welche Investitionen sind jetzt notwendig, damit du nach der Krise wieder durchstarten kannst. Priorisiere diese Investitionen. Auch hier sind Lieferanten und Partner oft bereit mit dir nach Lösungen zu suchen. Erlerne neue Kompetenzen und teile deine Kompetenzen grosszügig mit anderen aus deinem Umfeld.
     
  • Dokumentiere deine Ausfälle: Welche Umsatzeinbussen hast du zu verkraften und warum? Stehen diese in Zusammenhang mit dem Coronavirus und warum? Diese Angaben werden eventuell später notwendig, damit du ein Gesuch schnell einreichen kannst.