UBS-Chef Sergio Ermotti ist mutig. Bei der Vorstellung der Jahreszahlen am Dienstag legte er neue Finanzziele vor: Die Grossbank soll bis 2028 eine Rendite von nicht weniger als 18 Prozent auf das regulatorische Eigenkapital erreichen. Das ist eine steile Ansage, lag dieser Wert 2024 doch bei gerade mal 7,2 Prozent. Und das mit 5 Milliarden Dollar Reingewinn. Vor allem aber: Ob und wie die grösste Bank der Schweiz die Rendite erreichen wird, hängt zu einem guten Teil von jemandem ab, auf den Ermotti gar keinen Einfluss hat: Finanzministerin Karin Keller-Sutter.

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Sie will bis Ende Mai den Entwurf der neuen Eigenmittelverordnung vorlegen. Auf dem Menü steht dicke Post: Die UBS soll ihr Stammhaus, die UBS AG, mit mehr Kapital ausstatten, um Verluste und Wertminderungen der Auslandstöchter abfangen zu können.

Derzeit muss die UBS 60 Prozent des Wertes einer ausländischen Tochter mit Eigenkapital unterlegen. Finma und SNB fordern, den Wert auf 100 Prozent zu erhöhen – beziehungsweise den Wert der Töchter komplett vom Eigenkapital abzuziehen. Auch Keller-Sutter stützt die Forderung nach mehr Eigenkapital, aber sie hat sich bisher davor gehütet, eine Zahl zu nennen.

Der Effekt wurde schon von vielen durchgerechnet: Bis zu 25 Milliarden Franken mehr müsste die Bank demnach vorhalten. Das wäre über ein Drittel mehr als heute.

Emotti frotzelt über die «Intelligenzia» 

In der Streitfrage tobt ein öffentlicher Schlagabtausch zwischen der UBS und dem Bankenverband auf der einen Seite und Gelehrten wie dem emeritierten Zürcher Wirtschaftsprofessor Urs Birchler und dem Berner Volkswirtschaftsprofessor Aymo Brunetti auf der anderen. Forderungen wischt Ermotti schon mal barsch zur Seite mit solchen Sätzen: «Das ist die Propaganda einer Intelligenzia und der Medien, die sich keine Gedanken zu den Konsequenzen machen», wie er beim Bankenforum der «Finanz und Wirtschaft» erklärte.

Trotz solch lautem Powerplay: Im stillen Kämmerlein wird diskutiert, lobbyiert und verhandelt. Nach Informationen der «Handelszeitung» wird eine Art Plan B gesucht: ein gutschweizerischer Kompromiss zwischen der geforderten vollen Kapitalunterlegung der Auslandstöchter und dem Status quo.

Laut den Informationen könnte der Plan B mehrere Elemente beinhalten. Zum einen soll die UBS ihre Auslandstöchter grundsätzlich konservativer bewerten und so Luft aus der Bilanz lassen. Vor allem bei der einstigen CS und ihren Töchtern war die Luft grosszügig vorhanden. Im Fokus der Diskussion steht eine umstrittene Bewertung: Dabei werden die Töchter nicht über ihre Bilanz bewertet, sondern über eine Discounted-Cashflow-Rechnung (DCF), die von künftig anzunehmenden Erträgen ausgeht – und damit viel Spielraum für Annahmen enthält. 

Noch Ende 2019 standen die CS-Töchter mit stolzen 73 Milliarden Franken in den Büchern – mehr als das Doppelte der damaligen Börsenkapitalisierung der ganzen Bank. Dass das nicht werthaltig war, weiss man heute.

10 Milliarden weniger 

Auch die UBS bewertet ihre wichtige US-Tochter derzeit noch per DCF-Verfahren. Würde sie auf eine konservativere Nettobuchwert-Methode umstellen, würde das den Wert der Tochter deutlich senken – und dafür die Bilanz insgesamt resilienter machen. Auch immaterielle Vermögenswerte wie Goodwill sollen nicht mehr berücksichtigt werden, so die Überlegungen. Das senkt den Wert der Auslandstöchter insgesamt von heute 45 auf noch rund 35 Milliarden Dollar. 

Der zweite Punkt des Plans sieht vor, die Abschreibedauer für Software zu verkürzen. Von der Bank selbst entwickelte Software soll also weniger lange die Vermögenswerte der Bilanz aufblasen. Auch die aggressive Bewertung der eigenen Software war bei der CS ein Schwachpunkt in der Rechnungslegung.

Trotz alledem wird sich die UBS einer höheren Eigenkapitalunterlegung der Auslandstöchter kaum entziehen können. Das Kalkül der Bank: Dank den übrigen Massnahmen die 100 Prozent auf einen deutlich tieferen Wert drücken – um wie viel, das ist noch einer der Streitpunkte beim Seilziehen.

Unter dem Strich würden diese drei Elemente laut Berechnungen von Experten und Expertinnen dazu führen, dass die UBS einige Milliarden Franken mehr Eigenkapital brauchen wird – vermutlich im zweistelligen Bereich. Aber deutlich weniger als die 25 Milliarden, welche die Vorschläge von Finma und SNB kosten würden. 

Experte Andreas Ita kritisiert und bringt eigenen Vorschlag

«Ich halte den vollständigen Abzug des Wertes der Auslandstöchter vom harten Eigenkapital für eine zwar einfache, aber übertrieben konservative Massnahme», sagt Andreas Ita, Bankexperte vom Beratungsunternehmen Orbit 36. Entscheidend sei, was in diesen Töchtern drin ist und ob Gelder im Krisenfall in die Schweiz zurückgeführt werden könnten. 

Der Experte hat einen eigenen Kompromissvorschlag erarbeitet. Ita würde es als sinnvoll erachten, dass sich der Kapitalbedarf für die Beteiligungen im Stammhaus am Kapitalbedarf der Auslandstöchter nach Schweizer Vorschriften orientiert, analog zu den für internationale Banken in den USA und innerhalb der EU geltenden Regeln. Ein Kapitalerfordernis darüber hinaus sei dann gerechtfertigt, wenn für die Schweiz im Abwicklungsfall spezifische Risiken bestehen.

Ein Beispiel: Die Auslandstochter A der UBS benötigt nach Schweizer Regeln 8 Milliarden Franken hartes Eigenkapital und 4 Milliarden Wandelanleihen (zum Beispiel AT 1). Die UBS AG muss dann als Mutter spiegelbildlich 8 Milliarden hartes Eigenkapital und 4 Milliarden Wandelkapital halten, um die Verlustrisiken der Tochter A abzudecken. Aber eben nicht 12 Milliarden hartes Eigenkapital, wie es die Finma fordert.

Bestehende Regeln kosten die UBS 17 Milliarden 

Hinzu kommt: Auch ohne die Verschärfungen muss die UBS ihr Eigenkapital schon um 17 Milliarden Dollar erhöhen. Der Grund: Da die UBS nach der Übernahme der CS eine grössere Bilanz fährt und einen höheren Marktanteil hat, steigen mechanisch die Eigenmittelanforderungen. Zudem profitiert die UBS bei der Bewertung von Auslandstöchtern nicht von den Erleichterungen, wie sie die Aufsicht der CS gewährte. 

Ermotti stört, dass die gesamte Kapitaldebatte zu technisch geführt werde. Niemand stelle die Frage, welche Kosten den erhöhten Eigenmittelanforderungen gegenüberstehen. Im Extremszenario des Vollabzugs würden die Eigenmittelanforderungen von derzeit 14 Prozent auf Gruppenebene auf 18 Prozent steigen – das wäre weltweit der Spitzenwert. 

Das zusätzliche Kapital von 25 Milliarden müsste verzinst werden, was die UBS bereits einmal mit Kosten von rund 2,5 Milliarden pro Jahr taxierte. Um das wieder reinzuholen, müsste die UBS die Preise erhöhen und die Kosten senken. Ein weiterer Jobabbau wäre die Folge, wie Ermotti vergangene Woche sagte. Vor den Medien forderte er am Dienstag eine saubere Kosten-Nutzen-Analyse.

Heikle politische Konstellation zwischen Finma, SNB und Keller-Sutter

In der Kapitalfrage geht es längst nicht mehr nur um die Frage, was angemessen wäre und was nicht. Der Streit ist politisch aufgeladen, sodass am Ende nur noch die Frage zu sein scheint, wer hierbei gewinnt und wer verliert. Wie weit kann sich Keller-Sutter gegen Ermotti durchsetzen?

Der Handlungsspielraum der Ministerin wird dadurch eingeschränkt, dass sich die Finma und die SNB bereits öffentlich festgelegt haben: Beide Institutionen plädieren für Härte und den Vollabzug der Auslandstöchter. Verlangt Keller-Sutter nun eine weniger starke Erhöhung der Eigenmittel, kommt sie unter Rechtfertigungsdruck. Die Kritikerinnen und Kritiker von SNB und Finma argwöhnen daher, dass beide mit ihrem Vorpreschen in der Kapitalfrage nur von ihrem Versagen in der CS-Krise ablenken wollten. 

Auch die UBS ist nicht untätig. Laut Teilnehmern und Teilnehmerinnen lud sie jüngst alle UBS-Mitarbeitenden ein, die ein politisches Mandat haben. Und rechnete ihnen bei einer Veranstaltung vor, wie teuer die Kapitalforderungen der Finma werden. Die Idee scheint klar: Mit einem gemeinsamen Effort soll das Schlimmste für die Bank verhindert werden. 2025 steht nun das Endspiel in der milliardenschweren Streitfrage an.