Die Verschmelzung von Menschen und Maschinen rückt durch Gehirn-Computer-Schnittstellen näher. Gesellschaftliche Risiken sind programmiert.
Grenzen des technologischen Fortschritts
Dennoch sind dem wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt Grenzen gesetzt: Vor allem, weil weite Teile des Gehirns noch unerforscht sind. Die Grundlagen dafür könnte das Human Brain Project schaffen. Es ist eines der grössten von der EU finanzierten Forschungsprojekte und die europäische Antwort auf die Brain Initiative aus den USA, die mit rund 3 Milliarden Dollar von der US-Regierung gefördert wird.
Das mit 1 Milliarde Euro finanzierte Human Brain Project bündelt die europäische Hirnforschung mit dem Ziel, das menschliche Gehirn im Computer zu simulieren, um Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson zu bekämpfen. Acht Schweizer Forschungseinrichtungen und Universitäten sind daran beteiligt, europaweit arbeiten über 500 Forscher mit.
Die Europäische Kommission finanziert zwischen 2013 und 2023 die Hälfte des Projekts, das von der ETH Lausanne (EPFL) initiiert wurde und koordiniert wird. Allerdings ist das Projekt nicht ganz unumstritten: Immer wieder kritisierten die beteiligten Hirnforscher den einseitigen Ansatz des Forschungsprogramms. Erst vor kurzem wurde es neu ausgerichtet und auch die Führungsstruktur neu aufgestellt.
In Zukunft werden immer mehr Lebensbereiche von künstlicher Intelligenz bestimmt. Um dieser Konkurrenz standzuhalten, wird der Mensch zunehmend versuchen, die eigene Leistungsfähigkeit zu verbessern. Die Gehirnleistung des Menschen lässt sich dank Neurotechnologie, insbesondere Produkten für den Massenmarkt, optimieren.Doch es stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft überhaupt bereit dafür ist. Die Verschmelzung von Menschen und Maschinen hat radikale gesellschaftliche Folgen. In einigen Jahren könnte der technologische Fortschritt neue Kommunikationswege mit dem Gehirn eröffnen, indem Menschen, Computer und vernetzte Gegenstände – das Internet of Things – miteinander verbunden sind.
Gleichzeitig entstehen damit neue Probleme, doch es geht nicht nur um Datenschutz, Privatsphäre und Sicherheit, wenn das Gehirn über das Internet erreichbar ist und somit auch gehackt werden kann. Auch der gerechte Zugang zur Technologie müsste sichergestellt werden, denn es besteht die Gefahr von Ungleichheiten, wenn übermenschliche kognitive Fähigkeiten nur einigen wenigen vorbehalten wären.
Und auch diese Vorstellung ist unheimlich: wenn unsere Gedanken nicht mehr privat sind, wenn Maschinen auf Knopfdruck Gedanken lesen können oder für andere sichtbar machen, wenn Entscheidungen beeinflusst oder gar manipuliert werden können. Für einige Wissenschaftler sind diese Eingriffe in die menschliche Gehirn- und Gedankenwelt kein fernes Zukunftsszenario.
Marcello Ienca vom Health Ethics & Policy Lab der ETH Zürich setzt sich daher für neue Menschenrechte, sogenannte Neuro-Rechte, ein, damit unsere Gedanken geschützt werden und nicht ohne unsere Zustimmung ausgelesen oder heruntergeladen werden können. «Das Gehirn ist die letzte Zuflucht der persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung.» Um Missbrauch zu vermeiden, seien gesetzliche und ethische Rahmenbedingungen zur Kontrolle der Neurotechnologie ausserhalb von Spitälern und Forschung notwendig.