Die Verschmelzung von Menschen und Maschinen rückt durch Gehirn-Computer-Schnittstellen näher. Gesellschaftliche Risiken sind programmiert.
Wer träumt nicht davon, seine E-Mails zu denken – ganz ohne Tippen. Das könnte bald Wirklichkeit werden, denn Facebook entwickelt eine Anwendung namens Silent Speech, mit der Nutzer ihre E-Mails per Gedanken schreiben können, und zwar hundert Wörter pro Minute. Mit dieser Idee steht Facebook-Chef Mark Zuckerberg nicht alleine da. Im Silicon Valley wächst das Interesse an Neurotechnologie.
Auch Tesla-Chef Elon Musk mischt mit: Seine Firma Neuralink entwickelt eine Schnittstelle, die das Gehirn mit einem Computer verbindet. Anders als Facebooks nichtinvasive Technik, will Musks Startup Neuralink Elektroden ins Hirn implantieren, damit Menschen Computer oder Roboter steuern können – und das Ganze soll innerhalb von nur vier Jahren möglich sein.
Der US-Investor Bryan Johnson steckte jüngst 100 Millionen Dollar in das Startup Kernel, das ein Hirnimplantat entwickeln will, mit dem sich Gedächtnisstörungen oder Krankheiten wie Alzheimer oder die Folgen eines Schlaganfalls lindern lassen. Johnson ist davon überzeugt, dass die menschlichen Fähigkeiten aufgerüstet werden müssen, um mit der künstlichen Intelligenz mithalten zu können.
Solche Projekte zeigen, dass die Verschmelzung von Mensch und Maschine zwar wie Science-Fiction klingt, doch zunehmend zur Realität wird. Denn Neurowissenschaft und -technologie schreiten immer weiter voran. Doch trotz medizinischem Fortschritt stellt das Gehirn die Wissenschaft immer noch vor ein Rätsel – nicht nur weil es hochkomplex ist, sondern weil die Forschung am Menschen nur sehr begrenzt möglich ist.
Wenn das menschliche Gehirn in Zukunft direkt an Internet und Computer angeschlossen ist, entstehen zudem ganz neue Risiken im Zusammenhang mit Datenschutz, Privatsphäre und Sicherheit. Was im Silicon Valley einen regelrechten Hype ausgelöst hat, wird auch an Schweizer Universitäten erforscht. In den vergangenen Jahren wurden hierzulande mehrere Startups gegründet, die sich der Neurotechnologie widmen.
Entsprechend ist weltweit auch die Finanzierung gestiegen: Seit dem Jahr 2016 wurden laut einer Untersuchung der Silicon-Valley-Bank 1,9 Milliarden Dollar in Firmen investiert, die an der Verschmelzung von Gehirn und Maschinen arbeiten. Rund dreissig Firmen sollen weltweit an Neurotechnologie für den Konsum oder die Medizin arbeiten. Der Markt für solche Produkte soll laut Neurotech Reports bis 2020 jährlich um 12 Prozent auf 12 Milliarden Dollar weltweit anwachsen.
Die wenigsten Unternehmen, die sich der Neurotechnologie widmen, entwickeln allerdings rein medizinische Anwendungen. Vielmehr geht es um die Erweiterung des Denkens durch Neurostimulation, Apps oder Gehirn-Computer-Schnittstellen. Die Zahl der Erfindungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt: Derzeit gibt es 800 neurotechnologische Patente – etwa ein Dutzend Produkte sind auf dem Markt und für Konsumenten erhältlich.
Als Neurokapitalismus bezeichnet die Publizistin und Professorin an der Universität St. Gallen Miriam Meckel die Eroberung des Gehirns als neuen Markt in ihrem Buch «Mein Kopf gehört mir». Die unternehmerische Neurorevolution findet in den USA statt, wo auch ein Grossteil des Geldes herkommt, das in die neuen Technologien fliesst. «Die Erneuerung des Denkens könnte so auch zu einem neuen Kampfplatz um regionale Vorherrschaft, um die wirtschaftliche und kulturelle Überlegenheit im Neurokapitalismus werden», schreibt Meckel.