Was haben die Rhätische Bahn, Mobiliar, Verkehrsbetriebe Luzern und Cisco gemeinsam? Sie zählen zu den Top 10 der Schweizer Arbeitgeber.
Delegationen von Unternehmen pilgern immer öfter zur Mobiliar nach Bern. Nicht etwa, um sich versichern zu lassen, sondern um auf der Suche nach der Arbeitswelt von morgen Anschauungsunterricht zu geniessen. Am Hauptsitz an der Bundesgasse hat in den letzten Jahren Etage um Etage eine Metamorphose zum Office 4.0 stattgefunden, die zumindest räumlich mittlerweile fast abgeschlossen ist.
Einzig in einem Seitenflügel im 3. Stock zeigt sich die Mobiliar noch im alten Gewand, mit Flur und vielen Türen, die in kleine und grössere Büros münden.
Diese auf strikte Trennung setzende Raumnutzung widerspiegelt die alte Arbeitswelt, bei der «in Silos gedacht» und jedes Produkt und jede Dienstleistung in kleinen Abteilungen separat entwickelt und verfolgt wurde.
Dieses Vintage Office muss nun ebenfalls bald der sonst deutlich vorherrschenden neuen Welt weichen. «Wir haben uns hier in Bern vom alten Bereichsdenken verabschiedet; Austausch in interdisziplinären Teams steht heute im Zentrum», erklärt Nathalie Bourquenoud, Leiterin Human Development. Die Mobiliar steht auf Platz 4 im Ranking der 250 besten Arbeitgeber der Schweiz. In das Urteil flossen mehr als 100'000 Arbeitnehmerurteile ein.
Office wie eine Wohnlandschaft
Das traditionelle Büro mit dem festen Arbeitsplatz für jeden einzelnen Angestellten hat definitiv ausgedient. Stattdessen migrieren und flottieren die Mitarbeitenden durch offene Zonen, die eine vielfältige Nutzung erlauben. Es gibt einladende Holztische mit Bildschirmen, gepolsterte Sitzecken, kleine «Amphitheater», farbige Stellwände für die flexible Raumaufteilung, Nischen für den Rückzug und dazwischen immer wieder Kaffeeecken.
Dieses vielfältige Raumkonzept ermöglicht – je nach Arbeitssituation – Begegnung und Kommunikation, Kreativität und Inspiration, Ruhe und Konzentration. Geschwungene Formen, dezente Farben und viel Holz strukturieren diese Offices, die fast schon einer futuristischen Wohnlandschaft ähneln.
Diesen Eindruck verstärkt der Umstand, dass die geleistete Arbeit auch kaum mehr Spuren wie beispielsweise mit Papieren übersäte Tische oder mit Aktenordnern gefüllte Regalschränke hinterlässt. Und Arbeiten lässt sich auch unten, in der Cafeteria, beim Pendeln im Zug, im Sommer im Schwimmbad oder im Homeoffice.
Denn die Mobiliar ist zeitlich und räumlich flexibel unterwegs. Bourquenoud räumt ein, dass die Reaktionen auf die neue Arbeitswelt bei vielen langjährigen Mitarbeitenden im ersten Moment gemischt ausgefallen seien.
Sie lässt aber keinen Zweifel daran, dass die räumliche Umgestaltung zwingend war. Denn die Versicherung befindet sich in einem Prozess der fundamentalen digitalen Transformation. Die agilen Arbeitsformen und die damit verbundene Arbeitskultur lassen sich nur in einer entsprechend gestalteten Umgebung verwirklichen.
Wünsche und Bedürfnisse der Digital Natives
Am Hauptsitz in Bern arbeiten, abgesehen von der ganzen Bandbreite von Versicherungsspezialisten, mittlerweile mehr als 550 IT-Spezialisten. Allein im letzten Jahr wurden rund 120 neue Kräfte für diesen Bereich eingestellt. Dass die Mobiliar im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen die benötigten Stellen besetzen konnte, hat laut Bourquenoud einen triftigen Grund: «Wir sind eben ein sehr guter Arbeitgeber.» Ähnlich würden wohl auch alle jene Personalchefs antworten, die bei der Rekrutierung der begehrten Spezialisten weitaus weniger erfolgreich waren.
Was also macht die Mobiliar besser als die Mitbewerber? «Wir wissen um die Wünsche und Bedürfnisse der Digital Natives. Sie schätzen Flexibilität hinsichtlich der Arbeitszeit und des Arbeitsortes und tun sich schwer mit Hierarchien. In unserer neuen Arbeitswelt finden sie, was sie suchen. Sie können gleichberechtigt und sehr flexibel in Netzwerken arbeiten, und zwar im Rahmen von spannenden Aufgaben und einem Konzept, das wir konsequent mit neusten Technologien und für alle umsetzen», erzählt die Personalchefin. Die Botschaft kommt offenbar auf dem Arbeitsmarkt an.
Die Mobiliar kann es sich sogar leisten, auf teure Kampagnen zu verzichten. Stattdessen ermuntert sie ihre Mitarbeitenden, ihre Erfahrungen in der neuen Arbeitswelt auf Social Media unverblümt zu kommunizieren.
Mittlerweile sind mehr als die Hälfte der knapp 2000 Beschäftigten am Hauptsitz bereits nach dem agilen Arbeitsmodell tätig. «Weil wir die perfekte Lösung dafür anderswo noch nicht angetroffen haben, versuchen wir unsere eigene Form von Agilität zu entwickeln», lässt Bourquenoud durchblicken.
Das Unternehmen bezahlt gute branchenübliche Löhne
Klar wird, dass die Mobiliar die Digitalisierung nicht einfach als technischen Prozess empfindet, sondern sie mit einer völlig neuen Arbeitskultur verknüpft. Die Mitarbeitenden sind gefordert, in unterschiedlichen Rollen, wechselnden Teams und flachen Hierarchien projektbezogen und möglichst eigenverantwortlich zu handeln. Sie kommen um eine ständige Weiterbildung mittels E-Learning, On-the-Job-Trainings und Präsenzschulungen gar nicht herum.
Dass die Transformation bei der Mobiliar bis jetzt besser gelungen ist als in vielen anderen Firmen, dürfte vermutlich auch mit den Werten des genossenschaftlich organisierten Unternehmens zusammenhängen. Menschlichkeit ist dabei der zentrale Begriff. Übersetzt auf die Rekrutierung heisst das laut Bourquenoud: «Wir suchen gezielt Leute, die kommunikativ, kompromissbereit, mutig und offen sind und unsere Werte durch ihre Persönlichkeit mittragen.»
Soziale Kompetenzen werden damit angesprochen, wie sie eben auch im agilen Arbeitsprozess besonders gefragt sind. Das Rad nicht neu erfinden muss die Versicherung in Bezug auf die Arbeitsbedingungen.
Das Unternehmen bezahlt gute branchenübliche Löhne. Lohngleichheit bedeutet in diesem Fall, dass gleiche Aufgaben auch tatsächlich gleich entlöhnt werden, unabhängig von Geschlecht und Alter. Alle Mitarbeitenden partizipieren ausserdem am Unternehmenserfolg.
«Wir wollen als Genossenschaft keine bonusgetriebene Kultur fördern», betont Bourquenoud. Für die flexibilisierte Arbeitszeit gilt die 42-Stunden-Woche. Ab dem fünfzigsten Altersjahr gibt es eine sechste Ferienwoche. Bei der Pensionskasse übernimmt die Mobiliar 60 Prozent der Arbeitgeberbeiträge.
«Perfekt ist auch bei uns nicht alles»
Überdies hat sie in den letzten Jahren rund eine halbe Milliarde Franken investiert, um den Umwandlungssatz und die Renten zu stützen. Zu den überdurchschnittlichen Sozialleistungen gehören weiter die unentgeltliche Unfallversicherung sowie Beiträge des Arbeitgebers an die Krankenkasse. Hinzu kommen eine grosszügige Regelung des Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaubs (zwei Wochen) sowie eine eigene Kindertagesstätte in Bern.
Die Mitglieder der Mobiliar-Familie geniessen selbstverständlich Vergünstigungen auf Versicherungsprämien, auf Reka-Checks, kulturelle Veranstaltungen. Nicht zu vergessen das Mittagessen im Personalrestaurant, das 7.50 Franken kostet.
Angesichts dieser attraktiven Benefits erstaunt die geringe Fluktuationsrate von gerade mal 5 Prozent wenig. Auch die durchschnittliche Anstellungsdauer von mehr als zehn Jahren ist ein deutliches Zeichen einer hohen Mitarbeiterzufriedenheit, ebenso das stattliche Durchschnittsalter von 43 Jahren.
«Perfekt ist auch bei uns nicht alles», meint Bourquenoud selbstkritisch, «aber wir nehmen unsere soziale Verantwortung wahr und bieten jedem Mitarbeitenden verschiedene Perspektiven.» Mit der beinahe vollendeten Umwandlung ihres Hauptsitzes ist die Mobiliar zumindest räumlich fast am Ziel.
Doch damit ist der Prozess der Transformation noch längst nicht abgeschlossen. «Wir befinden uns weiterhin auf dem Weg, sowohl im Wandlungsprozess zur agilen Organisation als auch bei der Entwicklung unseres digitalen Geschäftsmodells», so Bourquenoud.