Es wurde spät am 14. März. Wieder einmal. Seit Anton Scherrer, designierter Präsident des Telekomriesen Swisscom, als Wanderprediger für die Privatisierung unterwegs ist, kehrt er häufig erst um Mitternacht in sein Zuhause am unteren Zürichsee zurück. Wie an diesem Dienstagabend, als draussen dicke Schneeflocken vom Himmel der Bundesstadt fielen und Anton Scherrer und sein oberster Angestellter, Swisscom-CEO Carsten Schloter, den zwei Dutzend anwesenden Parlamentariern die vollständige Abspaltung ihres Unternehmens vom Staat anpriesen.
Der Ex-CEO Jens Alder habe in Bern energisch lobbyiert, meint Scherrer, etwa bei der – am Ende erfolglosen – Verteidigung des Swisscom-Monopols der Hausanschlüsse, der so genannten letzten Meile. In der neuen Konstellation aber will Scherrer sich um die politische Arbeit kümmern, damit Schloter den Rücken für die Implementierung der zukünftigen Strategie frei hat.
Erfolg oder Misserfolg der Swisscom-Privatisierung hängen somit massgeblich von der politischen Überzeugungsarbeit Anton Scherrers ab. In Bern ist der in Zell bei Luzern gross gewordene Scherrer kein Unbekannter. Bis 2005 war er Chef des Detailhändlers Migros und unterhielt enge Kontakte zu CVP-Agrarminister Joseph Deiss. Schwieriger war Scherrers Verhältnis zu Pascal Couchepin, Deiss’ freisinnigem Vorgänger im Volkswirtschaftsdepartement. Mit ihm hatte sich der Migros-Chef ein paar Mal gestritten, so beim Aufbrechen des Fleischimportmonopols der Grossverteiler. Das Gerangel blieb folgenlos: Im Sommer 2004 kürte der Bundesrat Scherrer ohne Gegenstimme zum Vizepräsidenten und zukünftigen Präsidenten der Swisscom.
Drei Gründe hätten den Ausschlag gegeben, glaubt Scherrer: seine Erfahrung im Führen eines grossen Unternehmens, sein Marketingansatz und seine Kenntnis der politischen Fallstricke. «Die Migros hat auch eine politische Seite, deshalb bleibt auch ein politisches Restrisiko», sagt Scherrer. Das Wissen darum habe ihm geholfen, seine Niederlage im Kampf ums Migros-Präsidium im Frühling 2004 gegen den welschen Platzhirsch Claude Hauser rasch wegzustecken. «Damals sagte ich mir: Ja gut, das ist halt Migros.»
Auf die eigene Stärke vertrauen, neue Chancen beim Schopf packen können – diese Fähigkeiten hätten ihm den Weg zum Erfolg geebnet, sagt Anton Scherrer. Unerheblich hingegen sei sein Beziehungsnetz gewesen. Im Jahr 1984, als Präsident Rudolph Sprüngli aus der Schokoladendynastie Lindt & Sprüngli einen Sanierer für seine Brauerei Hürlimann suchte, fiel die Wahl auf den technischen Direktor Scherrer, der weder viel von Sanierungen noch von Finanzen verstand. «Du kannst das», sei alles gewesen, was ihm der Patron, den Scherrer zuvor kaum gekannt hatte, gesagt habe. Er sei eben kein typischer Netzwerker, der viele Kontakte für die eigene Karriere brauche. «Meine Beziehungen nutze ich vor allem, damit das Unternehmen vorankommt.»
Auch Scherrers nächster Karriereschritt war nicht Kalkül, sondern Folge seines beruflichen Tuns: Der Hürlimann-Chef verkaufte den Migros-Oberen Jules Kyburz und Eugen Hunziker das Löwenbräu-Areal in Zürch. Die Detaillisten waren derart beeindruckt von Anton Scherrers Verhandlungsgeschick, dass sie ihn zu sich in die Geschäftsleitung holten.
Die Swisscom-Connection
Der scheidende Swisscom-Präsident Markus Rauh und sein Nachfolger Anton Scherrer lernten sich zu einem besonderen Zeitpunkt kennen: am 12. September 2001. Am Tag nach den Terroranschlägen in den USA besiegelten sie den Verkauf der Schaffhauser Migros-Möbelfabrik Dietiker an eine Schweizer Investorengruppe, zu der auch Rauh gehörte. Nach der Vertragsunterzeichnung und einer Schweigeminute für die Terroropfer schritt man zu Tisch, wo sich Rauh und Scherrer die nächsten zwei Stunden intensiv austauschten. Der Kontakt riss nicht mehr ab, und 30 Monate später sondierte Rauh bei Scherrer, ob dieser Interesse an seiner Nachfolge auf dem Swisscom-Präsidentenstuhl habe. Klar, sagte Scherrer. Auch deshalb, weil es sich mit dieser Rückversicherung leichter um das Migros-Präsidium kämpfen liess.
Der Klassiker
Für die Mitglieder ist er nur der «Club Nummer eins». Die Rede ist vom Rotary Club im Zürcher Kreis 1 mit Sitzungslokal im Hotel Widder, nur wenige Schritte von der Bahnhofstrasse, der Shopping- und Bankenmeile, entfernt. Hier trifft sich Scherrer einmal pro Woche mit Zürcher Wirtschaftskapitänen und – vornehmlich freisinnigen – Spitzenpolitikern. Aushängeschilder sind Andreas Schmid, designierter Präsident des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, und dessen beruflicher Ziehvater Ulrich Bremi, Ex-FDP-Nationalrat und Ex-Swiss-Re-Präsident. 2003 und 2004 amtete Scherrer als Präsident des «Clubs Nummer eins». Viele Rotarier kennt Scherrer aus seiner Zeit im Militär. Er war Oberst im Alpenkorps und dort zuständig für den Schutz vor atomaren und chemischen Angriffen.
Der Jäger der Sinne
Ehefrau Irene Scherrer liebt das Klavierspiel. Er selber bevorzugt die Treibjagd. Dazu braucht er weder nach Russland noch in die Prärie zu reisen. Ihm genüge das Schweizer Mittelland, wo das Erlegen von Rehen und Füchsen zur Revierbewirtschaftung gehöre, sagt er. Auf der Jagd vollziehe sich jedes Mal eine bemerkenswerte Bewusstseinsveränderung. Weit weg vom Alltag, konzentriert auf die Natur, spüre man plötzlich wieder seine Sinne. Dann, so Scherrer, sei man sich wirklich nah.