Nein, zufrieden sein kann Jérôme Lambert nicht. Jedenfalls nicht mit der Halbjahres-Bilanz des von ihm geführten Luxusgüter-Konzerns Richemont. Das Umsatzplus von 21 Prozent auf 6,8 Milliarden Euro sieht zwar gut aus, ist aber vor allem das Resultat von Zukäufen. Und der Rückgang bei der betrieblichen Marge von 20,7 auf 16,6 Prozent ist heftig.
Analysten hatten ohnehin mehr erwartet: Sie rechneten im Schnitt mit einem Umsatz von 6,9 Milliarden Euro und einem Betriebsgewinn von 1,3 Milliarden statt den erreichten 1,1 Milliarden Euro.
Bereits vorbörslich geriet die Richemont-Aktie in der Folge deutlich unter Druck. Und auch im frühen Handel zeigte der Aktienkurs steil abwärts (siehe Chart). Kurz nach 10 Uhr notierte die Aktie bei 69.20 Franken oder 6,2 Prozent tiefer als am Donnerstag.
Aber sind die Zahlen von Richemont wirklich so schlecht, wie das Gros der Investoren meint? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Ergebnis.
1. Warum ist die Profitabilität so stark gesunken?
Auf Konzernstufe ist die operative Marge von Richemont von 20,7 Prozent auf 16,6 Prozent gesunken. Der Rückgang ist gross, aber erklärbar. Präsident Johann Rupert baut das Unternehmen im Eilzugstempo zu einem E-Commerce-Powerhouse um. In der Berichtsperiode hat Richemont sämtliche Anteile des weltgrössten Luxus-Onlinehändlers YNAP übernommen und zudem den Secondhand-Uhrenhändler Watchfinder gekauft.
Diese strategisch wichtigen M&A-Deals – hinzu kommt die ebenfalls relevante Partnerschaft mit Alibaba – hinterlassen deutliche Spuren in der Bilanz und in der Erfolgsrechnung. Denn: Richemont verliert Geld mit dem Online-Geschäft. Konkret belief sich das Minus im Halbjahr auf 115 Millionen Euro, bei einem Umsatz von knapp 900 Millionen Euro.
Im Klartext: Um sich optimal auf das E-Commerce-Zeitalter vorzubereiten, nimmt Johann Rupert in Kauf, vorübergehend weniger zu verdienen. Das mag nicht allen Investoren schmecken. Aber diese Investoren haben nicht begriffen, was es – auch im Luxus-Sektor – geschlagen hat: Die Zukunft ist Online.
2. Wie robust ist das Kerngeschäft?
In der Schweiz wird Richemont – ähnlich wie die Swatch Group – hauptsächlich als Uhren-Unternehmen wahrgenommen. Das ist zwar nicht falsch, schliesslich gehören bekannte Marken wie IWC, Piaget oder Jaeger-LeCoultre zum Konzern. Faktisch aber ist Richemont – im Gegensatz zur Swatch Group – im Kern ein Schmuckunternehmen.
Richemonts Mega-Marke ist Cartier. Und dieses «Maison», wie Richemont seine Konzerngesellschaften nennnt, läuft und läuft und läuft. Konkret: Der Umsatz im Schmucksegment, das auch die Marke Van Cleef & Arpels umfasst, stiegt um 9 Prozent auf fast 3,5 Milliarden Euro. Der Betriebsgewinn stieg um 19 Prozent auf 1,2 Milliarden. Die Marge stieg um 280 Basispunkte auf gegen 34 Prozent.
Im Klartext: Das Kerngeschäft von Richemont ist robust – äusserst robust. Und das ist relevant: Alle drei grossen Luxus-Konglomerate verfügen alle über eine Kernmarke. Kering hat Gucci, LVMH hat Louis Vuitton und Richemont eben Cartier. Ohne eine solche lässt sich im Luxusbereich nicht wirtschaften.
3. Wie läufts bei den Uhren?
Nicht so gut. Der Umsatz mit Uhren hat bloss um zwei Prozent zugelegt. Konkret auf 1,55 Milliarden Euro. Das ist enttäuschend. Noch enttäuschender ist, dass das Betriebsergebnis um drei Prozent auf 286 Millionen Euro gesunken ist. die Marge in der Folge ebenfalls.
An die Begründung von Richemont hat man sich mittlerweile bereits gewöhnt: Der Konzern musste erneut Uhren von Händlern und Grosshändlern zurückkaufen. Offensichtlich haben die Uhrenmarken von Rupert derzeit erhebliche Mühe, bei Kunden Anklang zu finden. Als positive Ausnahmen nennt Richemont unter anderem die Nobel-Manufaktur Vacheron Constantin und die Marke Jaeger-LeCoultre. Letztere hat ihr Sortiment preislich spürbar nach unten abgerundet – eine Strategie, die offenbar ankommt.
4. Wo auf der Welt die Post besonders ab?
Auf den ersten Blick hat Richemont insbesondere in Europa und auf dem amerikansichen Markt massiv zugelegt. Fakt aber ist: In Europa laufen die Geschäfte schleppend; sie haben konkret um bloss ein Prozent zugelegt. Denn das Plus von 27 Prozent, das Richemont für Europa ausweist, und das Plus von 36 Prozent, welches das Unternehmen für die «Americas» zeigt, sind wesentlich durch die vollständige Integration von YNAP beeinflusst. Weiterhin am besten laufen die Geschäfte in Asien – und dort vor allem in Hongkong, Macau und Korea. Von der eben aufgegleisten Partnerschaft mit Alibaba erhoffen sich Patron Rupert und Chef Lambert neue Impulse auch für den chinesischen Markt.
5. Der Reingewinn hat sich mehr als verdoppelt. Also wo ist das Problem?
Unter dem Strich weist Richemont einen Reingewinn von 2,3 Milliarden Euro aus, 131 Prozent mehr als in der Vorjahresperiode. Warum also schmiert die Aktie ab?
Weil das Gewinnplus vor allem ein buchhalterisches Plus ist. Satte 1,4 Milliarden Euro hat eine Neubewertung der YNAP-Aktien beigetragen, die Richemont bereits vor der vollständigen Übernahme besessen hatte. Ohne diese Aufwertung wäre der Reingewinn von Richemont gesunken.