Sie geben Ihre Doppelführung beim Zurich Film Festival (ZFF) ab. Eine Zäsur?

Nadja Schildknecht: Wir werden dieses Jahr das Festival letztmals operativ verantworten, aber wir wissen, dass wir unsere Prinzipien, unsere Werte und unser Know-how in den letzten Jahren an unsere Mitarbeiter weitergeben konnten. 

Karl Spoerri: Das Festival hat sich in den letzten 15 Jahren fest im internationalen Filmfestivalkalender etabliert und ist heute eine wichtige Plattform für filmische Entdeckungen, welche ins Oscar-Rennen einsteigen. So wie beispielsweise „Green Book“. Der Film feierte letztes Jahr seine Europapremiere am ZFF. 

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Schildknecht: Auch in der Umsetzung des Events ist das Festival  hoch professionell aufgestellt - wir haben in den letzten Jahren ein sehr gutes und starkes Team aufgebaut, welches unsere DNA weiterträgt. Wir hinterlassen also ab dem Jahr 2020 einen geebneten Weg für unsere Nachfolger.

Sie beide sind die Aushängeschilder des Festivals - Ihr Abgang ein Verlust.

Schildknecht: Wir werden uns künftig im Verwaltungsrat einbringen und über ein Beratungsmandat am Anfang die neue Geschäftsleitung mitunterstützen. 

Spoerri: Christian Jungen wird mit der künstlerischen Leitung beauftragt. Christian hat sich neben seiner Arbeit als Kulturchef und Filmkritiker bei der «NZZ am Sonntag» auch als Autor zahlreicher Filmfestivalbücher und Chefredakteur der Filmzeitschrift «Frame» einen hervorragenden Namen geschaffen. 

Schildknecht: Die Nachfolge für die Geschäftsführung, also meine Funktion, ist noch nicht bestimmt. Zur Zeit prüfen wir intern und extern die besten Optionen. 

Die NZZ ist seit 2016 Eignerin des ZFF, Sie beide halten mit Thomas Sterchi 48 Prozent. Wann verkaufen Sie den Rest?

Spoerri: Zurzeit bleiben wir alle noch Aktionäre.

Die Frage war: Wann geben Sie Ihre Restbeteiligung ab?

Schildknecht: Wenn man die Mehrheit an einer Unternehmung abgibt, hat man einen Plan für eine optimale Übergabe. 

Spoerri: Wir wollen nicht mit achtzig Jahren auf dem grünen Teppich einen Herzinfarkt erleiden und dann abdanken (lacht). 

Der Kaufpreis fürs Festival soll 8 Millionen Franken betragen. Richtig?

Schildknecht: Falsch. Grundsätzlich gilt, dass der Kaufpreis davon abhängt, wie viel jemand zu zahlen bereit ist.

Spoerri: Der Kaufpreis ist das eine. Das Wichtigste ist aber die Wertschöpfung für Gastronomie, Hotellerie, Nachtleben und das Kino selbst. ZFF bedeutet elf Tage Dauerwerbung fürs Kino. Die mediale Wirkung ist auch für unsere Partner, Filmemacher sowie Verleiher und Produzenten wichtig. 

Sie meinen: 8 Millionen sind zu wenig?

Schildknecht: Zahlen nennen wir keine. Wahr ist aber, dass ein Filmfestival nicht einfach zu entwickeln ist, gerade in einer teuren Stadt wie Zürich. Auch geniessen andere Filmfestivals national wie international mehr Unterstützung der öffentlichen Hand. Wir haben im Vergleich ein kleines Budget und müssen trotzdem mit den weltweit bekannten Filmfestivals mithalten können. Zum Glück haben wir das Vertrauen vieler Partner gewinnen können und mit unserem Marketing das Festival zu dem entwickelt, was es nun ist. 

Sie haben das ZFF 2005 als Startup gegründet und konnten schalten und walten, wie Ihnen beliebt. Wie ist dies nach der Übernahme?

Spoerri: Als wir 2016 die NZZ-Mediengruppe als neuen Partner für uns gewinnen konnten, war uns bewusst, dass sich nun einiges ändern wird. Ziel war und ist es, Synergien zu schaffen, so dass sich das ZFF optimal weiterentwickeln kann.

Schildknecht: Eine Übernahme klingt auch so, als ob es keine Zusammenarbeit gibt. Es ging nicht darum, das Festival zu sanieren. Vielmehr stand eine Partnerschaft im Vordergrund. Der neue Besitzer trat nicht als Befehlshaber auf, sondern wollte von unseren Erfahrungen lernen und umgekehrt.

Mit Ihrem Abgang geht die DNA des Festivals verloren. 

Schildknecht: Das ist Ihre Aussage.  

Spoerri: Klar, die neue Führung muss sich entfalten und das Festival prägen. Das ist immer auch eine Chance. In unserer Branche ist der Wandel die einzige Konstante. 

Jahrelang hat die NZZ das ZFF ignoriert oder belächelt. Im ersten Bericht wurde Co-Gründerin Schildknecht als «Mediensprecherin» bezeichnet.

Schildknecht: Mediensprecherin? Karl und ich waren in den ersten Jahren eigentlich alles. Am Anfang hatten wir nur wenige Mitarbeiter und mussten fast alles selbst umsetzen. Mittlerweile ist dies mit 24 Festangestellten und 30 Teilzeitmitarbeitenden sowie Hunderten von Helfern während des Festivals eine andere Firma.

Zitat aus einem Zeitungsbericht: «Spoerri, der Schmächtling und Talentagent.» Und: «Schildknechts Luxuskörper ist das einzige glaubwürdige Zukunftsversprechen.»

Schildknecht: (lacht) Das ist 15 Jahre her, was wir erreicht haben, spricht für sich.

Spoerri: Gerade die Schweizer Filmbranche war anfangs sehr skeptisch. Heute ist das Festival gerade für den Schweizer Film ein sehr wichtiger Ort. «Wolkenbruch» von Michael Steiner, der erfolgreichste Schweizer Film 2018, feierte bei uns seine Weltpremiere. 

Schildknecht: Die anfängliche Kritik und die vielen Hürden, die uns nebst den Medien und der Branche auch die Politik in den Weg legte, machten uns stärker. Wir gaben nie auf und konnten mit harter Arbeit viele Kritiker vom Festival überzeugen.

Sie haben über 14 Jahre gemeinsam ein Unternehmen aufgebaut. Wie haben Sie Differenzen gelöst?

Schildknecht: Wir haben in Diskussionen Konsens gesucht. Manchmal ging es zügig, gelegentlich sind wir aneinandergeraten. Was uns stets vorwärtsbrachte, war die gemeinsame Vision für das Festival. Unsere unterschiedlichen Fähigkeiten helfen uns, weil wir uns bestens ergänzen. 

Spoerri: Wir sind vielleicht kein besonders harmonisches Duo. Aber über Reibung mit Respekt funktioniert es. Wir verstehen uns als Team und zehren auch von den Inputs unserer Mitarbeitenden. 

Welche Hürden gab es zu überwinden?

Schildknecht: Wir sind schnell gewachsen mit wenig Erfahrung. Wir hatten am Anfang keine wirkliche Firmenstruktur und auch der Businessplan wurde nie geschrieben. Finanzielle Probleme waren schnell da und mussten gelöst werden. Wir haben Lehrgeld bezahlt, aber wir haben es geschafft, die Firma mit Elan und Ausdauer so zu bauen, dass sie nun funktioniert. 

Aufgeben war keine Option?

Schildknecht: Nein. Das Baby ZFF war mir sehr wichtig, auch wenn ich zu dieser Zeit sogar in Wirklichkeit schwanger war und eigentlich hätte aufgeben können. Das war für mich nie eine Option und wir haben alles darangesetzt, einen Weg zu finden, das ZFF nachhaltig wettbewerbsfähig aufzustellen, was gelungen ist.

Spoerri: Wir waren vielfältig investiert. Mit hohem Engagement, aber auch mit unserem Ersparten. 

2008 stand das Festival also kurz vor dem Aus.

Schildknecht: Es gab immer wieder kritische Momente. 

Spoerri: Nach ein paar Jahren konnten wir auf erste Erfahrungen zurückgreifen und sowohl interne Prozesse wie auch unser Team entwickeln. 

Das ZFF sei ein «Sponsorenfestival», weil Sie 90 Prozent des Budgets von 7,5 Millionen durch Sponsoren abdecken. 

Schildknecht: Wie sollten wir das Festival sonst finanzieren? Wir schliessen und setzen über 200 Verträge pro Jahr um; gerade diese Breite stärkt das Festival und erlaubt uns, auf künstlerischer Seite frei zu sein. Unsere Aufgabe ist es, Angebote zu machen, die spannend und überraschend sind, und Plattformen zu bieten, die es Sponsoren ermöglichen, sich in einem neuen Licht zu zeigen. So gewährleisten wir den Return on Investment. Ich habe zudem mit einer Umstrukturierung der Firma die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Zusammenarbeit zwischen der neuen Trägerschaft und den Kulturabteilungen von Stadt, Kanton und Bund fortgeführt werden kann. Mit diesen Geldern werden die Kulturprojekte finanziert. Wir sind also keineswegs ein Sponsorenfestival. 

What’s next?

Schildknecht: Derzeit bin ich noch voll mit der Durchführung des 15. ZFF beschäftigt. Wir organisieren für den September wieder über 120 Events, betreuen 600 Gäste aus dem In- und Ausland, 500 Journalisten werden sich wieder akkreditieren und wir zeigen 160 Filme. Das Team gibt alles, damit es auch dieses Jahr wieder ein tolles ZFF für die hoffentlich wieder über 100 000 Besucher wird.

Spoerri: 2019 steht auch bei mir das ZFF im Fokus. In der Vergangenheit habe ich einige Filme mitproduziert und finanziert. Nun verfüge ich über ein breites, spannendes Netzwerk im In- und Ausland. Nächstes Jahr werde ich mich noch stärker auf diesen Bereich konzentrieren. Die Content-Branche ist höchst interessant. Mein Ziel bleibt es, weiter unternehmerisch tätig zu sein, zu lernen und mich zu entwickeln. 

Keine Verwaltungsratskarriere?

Schildknecht: Ich sitze im Verwaltungsrat der AG Hallenstadion und sicherlich sind weitere VR-Sitze spannend. Mir behagt aber auch Unternehmertum oder operative Führung. Themen wie Markenentwicklung, Immobilien, Innendesign, Events interessieren mich. Ich lasse es auf mich zukommen.