Durchs Band weg nehmen führende Branchenvertreter harte Worte in den Mund: Sie haben nach dem historischen SNB-Entscheid Angst vor Jobverlusten, Insolvenzen und sehen wichtige Schweizer Produktionsstätten ins Ausland abwandern.

Noch vor wenigen Tagen hatte Thomas Jordan, Präsident der Schweizer Nationalbank, die Verteidiung des Kursuntergrenze als absolut zentral bezeichnet. Das Ende des Mindestkurses kam darum gestern absolut überraschend. Der Aktienmarkt reagierte panisch, die Branchenvertreter schwanken zwischen Entsetzen und Schock. Die wichtigsten Fragen zu den Folgen für die Schweizer Wirtschaft:

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Wie ändert sich der Ausblick für Preisentwicklung und Wachstum?

Mit dem Wegfall des Mindestkurs wird eine negative Preisentwicklung stärker Thema werden. Die Inflation könnte im Vergleich zum Vormonat um bis zu 0,9 Prozent zurückgehen, berechntet die UBS. Die Preisstabilität lasse sich vielleicht nicht mehr erreichen, fürchtet der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse.

Auch die Konjunkturforscher der Kof der ETH Zürich gehen von einer negativen Inflation aus. Ausserdem rechnen sie mit einem Wachstum der Schweizer Wirtschaft von weniger als 1 Prozent im Jahr 2014, wenn sich der Euro-Franken-Kurs bei 1.10 Franken einpendelt. Heute liegt er knapp über Parität - pendelt also rund um 1 Franken. Bisher lagen die Prognosen für das Wirtschaftswachstum für dieses Jahr zwischen 1,5 Prozent und 2 Prozent.

Langfristig rechnet Bak Basel mit noch stärkeren Konsequenzen. Bei einem Kurs von 1.05 Franken pro Euro erwarten die Ökonomen für 2016 einen Wachstumverlust von 1.5 bis 2 Prozentpunkten. Damit stünde die Schweiz knapp vor einer Rezession. Gleichzeitig sagen die Basler Wirtschaftsexperten eine Arbeitslosigkeit von bis zu 3.6 Prozent statt 3.1 Prozent im Jahr 2016 voraus.

Was sind die Auswirkungen im Tourismus?

Wenn der Franken aufwertet, werden Reisen in die Schweiz noch teurer. «Die Stärkung des Schweizer Frankens bringt eine massive Verteuerung des Ferienlands Schweiz mit sich und trifft uns im Kern» sagt Christoph Juen, Chef des Branchenverbandes Hotelleriesuisse. Bereits vor der Entscheidung der SNB waren für viele Touristen die hohen Kosten ein Grund, die Schweiz zu meiden.

Eine weitere Folge teurer Skiferien ist, dass auch viele Schweizer Fernreisen ins Ausland bevorzugen, die nun billiger und zu einem ähnlichen Preis zu haben sind. Arbeitnehmervertreter fürchten jetzt um Jobs: Bei einer unkontrollierten Frankenaufwertung drohe ein Kahlschlag bei den Stellen, sagt der  Arbeitnehmerdachverband Travailsuisse. Auch die Gewerkschaft Unia sieht Tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr, im Tourismus und der Exportbranche.

Was droht der Uhrenbranche?

Schweizer Exporteure dürften durch die Aufwertung des Frankens rund fünf Milliarden Franken oder 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukt verlieren, so die UBS. Die Uhrenbranche ist davon stark betroffen, weil sie 95 Prozent ihrer Produkte ausführt. «Tief besorgt» zeigt sich denn auch Jean-Daniel Pasche, Präsident des Schweizer Uhrenverbandes. Die Aufhebung des Mindestkurses treffe die Hersteller in einer ohnehin schwierigen Zeit, in der die Absätze in wichtige Abnehmerländer wie Deutschland und Frankreich bereits schwächeln.

Es sei leicht, der Industrie zu sagen, sie müsse sich anpassen, monierte Pasche. Die Produktionskosten würden aber in Franken anfallen, weil man sich für den Industriestandort und «Swiss made» einsetze. Bei einem starken Franken kosten Schweizer Produkte im Ausland mehr – das drückt Absatz und Margen. Laut Andreas Steffes,  Chefökonom von Handel Schweiz, droht darum allgemein eine Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland. Die Uhrenhersteller können das aber nicht.

Womit rechnet die Industrie?

Die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) zeigt sich stark verunsichert, heisst es in einer Mitteilung des Branchenverbandes. Die MEM-Industrie exportiert fast 80 Prozent ihrer Güter. Mit einem Exportanteil von rund 60 Prozent ist Europa der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt. Die Unternehmen der Branche stehen in diesen Märkten in einem harten Wettbewerb. Eine anhaltende und spürbare Aufwertung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro und dem Dollar könnte viele Unternehmen in ihrer Existenz bedrohen, so der Verband.

Wie reagieren die Banken?

Auch für die Schweizer Banken ist der SNB-Entscheid ein Schock. Die Nationalbank habe immer wieder betont, dass sie den Franken für überwertet hält, sagt etwa Grossbank UBS. Der Schritt sei völlig überraschend gekommen. Der sprunghafte Euro-Franken-Kurs veranlasste einige Geldhäuser, die Auszahlung von Euro zu stoppen. An den Geldautomaten der Postfinance konnten zwischenzeitlich keine Euro-Noten mehr bezogen werden. Auch die Valiant-Bank stoppte am Morgen vorübergehend den Devisenverkauf. «Die Volatilität war einfach zu gross. Wir wollten uns und die Kunden so schützen», sagt Sprecher Stephan Michel. Nach 13:30 Uhr konnte man aber wieder Euro kaufen.

Die Nationalbank zahlt drauf: Der Kurssturz des Euro kostete die SNB rein rechnerisch fast vollständig ihren Rekordgewinn: Sie hatte bis Ende 2014 einen Devisenberg von 495 Milliarden Franken aufgetürmt. Mit dem Fall des Euro von gut 1,20 auf 1,03 Franken am Donnerstag erleidet die SNB auf ihren Euro-Anlagen – als Momentaufnahme – einen Kursverlust von rund 14 Prozent. Gestützt auf die September-Bestände bedeutet dies eine vorläufige Einbusse auf den Euro-Anlagen um rund 30 Milliarden Franken.

Was folgt für Dienstleister und die Baubranche?

Dienstleister und Baufirmen sind von den den Kursabstürzen des Euro weniger stark betroffen, da sie weniger stark von Exporten abhängig sind. Die Kof hatte in einer Studie im Jahr 2012 ausgerechnet, welche Folgen die Auswirkungen vom Mindestkurs in den einzelnen Branchen hätte. Dienstleister rechneten damals innert sechs Monaten mit einem Umsatzrückgang von 1.7 Prozent, die Baubranche sogar nur um 0.4 Prozent, sollte sich der Kurs 1.10 Franken einpendeln.

Gibt es auch positive Stimmen?

Der Gewerbeverband (SGV) kommt zu einer anderen Einschätzung als viele der besorgten Branchenvertreter. Er meint, den Entscheid der SNB sei zu respektieren. Man habe schon bei der Einführung der Untergrenze 2012 darauf hingewiesen, dass dies nur eine zeitlich begrenzte Massnahme sein könne, teilte der Verband mit. Die Politik könne aber die Konsequenzen des Entscheids abfedern, indem sie nun «konsequent die Regulierungskosten senkt». Damit werde es für die gesamte Schweizer Wirtschaft leichter, sich auch international zu positionieren.