Dreimal war Valentina Mariotti während ihrer zweijährigen Tätigkeit im Starbucks-Wagen der SBB krank. Jedes Mal meldete sie sich nicht bei ihrem Chef, sondern bei einer externen Firma ab. Die 28-jährige Tessinerin hatte jeweils eine Erkältung, fiel nur für ein paar Tage aus. Jedes Mal bekam sie einen Anruf von Synaps Care, der Firma, bei der sie sich krankgemeldet hatte. «Ich habe die Anrufe als angenehm empfunden, nicht als Kontrolle vom Chef», sagt Mariotti.

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Täglich greift Yvette Froidevaux zum Telefonhörer, um Arbeitnehmer wie Mariotti anzurufen. Seit Gründung des Absenzen-Managers Synaps Care 2006 betreut sie unter anderem die Mitarbeiter von Elvetino, die als SBB-Tochter für das Catering in den Zügen zuständig ist. «Als wir das Absenzen-Management bei Elvetino 2007 übernahmen, trafen wir auf erstaunlich wenig Widerstand. Rund 98 Prozent der Mitarbeiter geben uns gerne Auskunft», sagt sie.

Abwesenheiten als Marktlücke

Dass Unternehmen ihr Abwesenheits-Management an externe Firmen weiterdelegieren, ist relativ neu und nicht ganz unumstritten. Normalerweise meldet sich der kranke Mitarbeiter bei seinem Vorgesetzten ab, reicht nach drei Tagen ein ärztliches Attest ein und kommt nach seiner Genesung zurück ins Unternehmen.

Was einfach klingt, bedeutet für die Firmen jedoch einen hohen finanziellen Aufwand, denn der Mitarbeiter bekommt trotz Arbeitsunfähigkeit den Lohn weiter ausbezahlt. Firmen wie Synaps Care in Lachen sehen in dem Management der Abwesenheiten eine Marktlücke. Sie wollen Unternehmen helfen, durch sogenanntes Absenzen-Management die Abwesenheitsquote ihrer Mitarbeiter zu senken und dadurch Geld einzusparen.

Die vom Bundesamt für Statistik erhobene Ausfallquote der Arbeitnehmer mit Vollzeitpensum verdeutlicht das Sparpotenzial: Im Schnitt fiel ein Arbeitnehmer im Jahr 2014 rund 8,8 Tage aus, 2013 waren es 9,5. Frauen fehlen dabei öfter als Männer. Bei rund 4,9 Millionen Erwerbstätigen in der Schweiz ergibt das einen Gesamtausfall von rund 43,1 Millionen Arbeitstagen jährlich.

Absenzen kommen teuer

Der Ausfall eines jeden Mitarbeiters hat finanzielle Auswirkungen auf den Arbeitgeber, der laut Artikel 324a des Obligationenrechts verpflichtet ist, diesem über einen bestimmten Zeitraum den vollen Lohn zu zahlen. Zusätzlich kann der Arbeitgeber eine Krankentaggeldversicherung abschliessen. Ist dies nicht der Fall, dienen die Basler, die Berner und die Zürcher Skala als Richtlinien. Sie regeln die Dauer der Lohnzahlung bei Absenz.

So oder so: Je schneller ein Mitarbeiter wieder am Arbeitsplatz ist, desto besser für Unternehmen und Versicherung. Bei einer regulären Absenzen-Betreuung durch Versicherer wie die Suva, Helsana oder Swica wird der erkrankte Mitarbeiter erst relativ spät kontaktiert.

Schnell reagieren

Zu spät, weiss Chris Holzach, CEO und Gründer von Synaps Care. Chronische oder psychische Erkrankungen würden so viel zu spät erkannt. «Oftmals geht der Mitarbeiter mit diesen Problemen nicht zum Vorgesetzten, aus Angst, gekündigt zu werden», sagt Holzach, der mit seiner Firma grössere Unternehmen unterstützt und berät. Besonders in den ersten zwei Wochen einer Absenz bestehe eine Grauzone: Der Arbeitgeber könne aus Zeitgründen nicht immer reagieren und die Versicherer würden erst ab dem 30. Absenztag aktiv, sagt Holzach.

Diese Grauzone will der Firmengründer abdecken. Das Hauptaugenmerk liegt dabei in der Früherkennung, der Krankheitsfallerfassung und der Betreuung. «In den ersten 30 Tagen ist die Glut noch klein, danach brennt ein riesiges Feuer – dann ist es meist zu spät.»

Gespräche führen

Die von Holzach erhobenen Daten gehen an die Unternehmen, allerdings ohne Angaben zu Namen und Krankheit der Mitarbeiter – Synaps Care unterliegt strengen Datenschutzrichtlinien, die Mitarbeiter der Schweigepflicht. Erfasst werden Schadenfälle, Absenztage und Diagnosen. Ausserdem wird festgestellt, in welchen Arbeitsbereichen sich bestimmte Krankheitsfälle häufen.

Mit diesem Wissen tritt Chris Holzach dann an die Unternehmen heran, und gemeinsam wird nach Lösungen gesucht. «Die Verknüpfung im Reporting von Schadenfällen, Absenzdaten und Diagnosen sind unsere USP (Unique Selling Point).»

Synaps Care will die Erkrankten in Gesprächen darin unterstützen, einen Arzt aufzusuchen oder sich mit ihren Sorgen an den Vorgesetzten zu wenden. So können Probleme mit den Kollegen angegangen oder Arbeitsbedingungen verbessert werden, was zum Rückgang von Absenzen führen kann. Im Schnitt tätigt Holzachs Mitarbeiterin Yvette Froidevaux täglich sechs bis acht Anrufe, insgesamt betreut sie zusammen mit ihrem Team derzeit rund 20 Krankmeldungen von drei verschiedenen Unternehmen.

Langzeitabsenzen vermeiden

Eines davon ist die Elvetino. 90 Prozent der 1100 Angestellten arbeiten in Zügen, sind in der ganzen Schweiz und in Europa unterwegs und für ihre Vorgesetzten nicht immer greifbar. Ohne Synaps Care könnte erst reagiert werden, wenn ein Mitarbeiter bereits in eine Langzeitabsenz gerutscht ist. Und je länger ein Mitarbeiter fehlt, desto teurer wird es für das Unternehmen: Im Schnitt kostet der Ausfall eines Mitarbeiters Elvetino täglich 270 Franken. Die Kosten für eine Vertretung noch nicht mitgerechnet.

In seinem Büro in Zürich hat Wolfgang Winter, CEO von Elvetino, wenig Kontakt zu seinen Mitarbeitern. Die Zusammenarbeit mit Synaps Care ist für ihn eine Entlastung. «Wir sind ein 24-Stunden-Betrieb und beschäftigen Menschen aus über 84 Nationen, die schweizweit in Zügen eingesetzt werden.»

Eine Instanz, die den Mitarbeiter am ersten Tag der Krankmeldung kontaktiere, sei ideal. «Es braucht schliesslich mehr Überwindung, den Chef anzurufen als eine neutrale Organisation», sagt Winter. Die Firma kenne die Mitarbeiter nicht und behandle sie alle gleich. «Es gibt keine Sympathien für bestimmte Personen, die entstehen, wenn man sich kennt», sagt der CEO.

Erste Erfolge zeichnen sich ab

In Zusammenarbeit mit Synaps Care konnten Angestellte umgeschult und in anderen Bereichen eingesetzt werden. Pro Mitarbeiter verzeichnete Elvetino 2010 rund 11,7 Absenztage, 2013 waren es noch 10,9. Aufgrund von rund 60 Neueinstellungen stiegen die Absenztage 2014 wieder auf 11,5. Die Schadenfälle pro Mitarbeiter konnten im gleichen Zeitraum von 1,28 auf 1,20 verringert werden.

«Würden wir das Absenzen-Management intern durchführen, käme uns das teurer als mit der externen Auslagerung», sagt Elvetino-CEO Winter. Demnach würde eine interne Lösung 25 bis 30 Prozent höher ausfallen und gleichzeitig die Vielfalt der Anforderungen für diese Aufgaben nicht oder nur teilweise abdecken. Zudem seien laut firmeninterner Umfrage 88 Prozent der Mitarbeiter zufrieden mit der Betreuung durch den Absenzen-Manager.

Auslagerung nicht von allen begrüsst

Für Erika Ziltener, Präsidentin des Dachverbands Schweizerischer Patientenstellen, ist ein gutes Absenzen-Management wichtig. «Ich finde es aber nicht gut, wenn Unternehmen dieses an externe Firmen auslagern.» Der Mitarbeiter sei gezwungen, sich bei der externen Stelle zu melden, ob er wolle oder nicht. Zudem würden seine Daten weitergegeben. «Besonders bei schweren Krankheiten sollte sich der Arbeitnehmer auf keinen Fall gedrängt fühlen, einer fremden Firma Auskunft geben zu müssen.»

Für CEO Chris Holzach und seine Mitarbeitenden wie Yvette Froidevaux sind die Telefonate essenziell. Die Diagnosen spielen eine wichtige Rolle. Aufgrund früherer Absenzen kann oft eine Erstbeurteilung über Art und Länge einer Absenz gemacht werden. Mit einem geschickten Gespräch könnten Ursachen angesprochen und aufgedeckt werden.

«Es braucht aber Zeit, bis sich jemand öffnet», sagt Froidevaux. Ihre Aufgabe sei es, mit dem Mitarbeiter das Gespräch zu suchen. Bei Männern sei das oft schwer, sagt sie und erzählt, dass ein Mann anfangs keine Auskunft geben wollte. «Mittlerweile ruft er sogar an, wenn er gar nicht krank ist.» Fälle, in denen Mitarbeiter unehrlich seien, gebe es leider auch. Diese würden dann speziell angeschaut und vom internen Care-Management weiter begleitet.

Beim Chef abmelden

Mit der SIZ Care kümmert sich seit Ende der neunziger Jahre eine weitere Schweizer Firma um das Abwesenheits-Management in Unternehmen. CEO und Eigentümer Kurt Mettler hat im Gegensatz zur Synaps Care ein anderes Modell. Statt bei seiner Firma melden sich die Mitarbeiter immer noch bei ihrem Chef ab. «Bei einer Absenz sollte der Erstkontakt zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem stattfinden, diese Verantwortung kann und soll man nicht weiterdelegieren», sagt Mettler.

Aus Erfahrung weiss er, dass die Firmen ab einem gewissen Zeitraum froh seien, wenn der neutrale Care-Manager die Betreuung übernehme. Nach spätestens drei Wochen Absenz würden mit allen arbeitsunfähigen Angestellten Gespräche geführt – am Telefon und zu Hause. Derzeit betreut die SIZ Care 120 Unternehmen ab 100 Mitarbeitern. Im Informationsaustausch arbeitet Mettler eng mit den Versicherungen zusammen, die ebenfalls vom frühzeitigen Erstkontakt durch SIZ Care profitieren. Für die Dienstleistung zahlen Unternehmen jährlich zwischen 60 und 100 Franken pro Mitarbeiter an Mettler.

Test soll Auskunft über Nutzen geben

Seit Oktober 2015 testet der Lebensmitteldetailhändler Volg in einem Pilotprojekt das Absenzen-Management von Synaps Care. Im Bereich Logistik wird eine längerfristige Zusammenarbeit geprüft. «Ich stand dem Modell eher skeptisch gegenüber und hatte Befürchtungen, dass unsere Mitarbeiter die externe Meldestelle ablehnen, aber bisher läuft alles gut», sagt Stefan Näf, Geschäftsleiter Logistik bei Volg. Sein Jahresziel: die Absenzen der 220 Mitarbeiter deutlich zu senken.

Ein Grund, sich an Synaps Care zu wenden, seien fehlende Ressourcen, das Absenzen-Management firmenintern zu bewältigen. Dazu stiegen die Abwesenheitstage seit ein paar Jahren kontinuierlich an. «Ob sich die Zusammenarbeit mit Synaps Care am Ende finanziell lohnt, sehen wir dann im Oktober», sagt Näf.