Dann endlich, am Ende der nationalrätlichen Sonderdebatte zum Postauto-Skandal, fand Doris Leuthard doch noch deutliche Worte: «Das ist eine Schweinerei. Das darf nicht sein», sagte die Bundesrätin. Damit war ihre Lektion in Sachen Staatskonzerne beendet. Ihre Botschaft: Der Fall werde aufgearbeitet, aber sonst bestehe kein Handlungsbedarf. Am besten, die Politik mische sich nicht zu viel in die operativen Belange der Bundesunternehmen ein. Eines wurde jedenfalls an diesem Mittwochvormittag, dem 14. März, klar: Leuthard will aus dem Postauto-Fall keine Grundsatzdiskussion über den Service public und die Staatskonzerne lostreten.

Schade. Genau das wäre nämlich dringend nötig. Denn die Bundesbetriebe tun sich sichtlich schwer mit ihrer Doppelrolle als Service-public-Erbringer und gewinnorientierte Konzerne. Hinweise dafür gab es schon viele, doch keiner war so eindeutig wie die Postauto-Affäre, wo über Jahre hinweg Gesetze missachtet und Umbuchungen im Wert von 107 Millionen Franken getätigt wurden – und das offenbar nur, um interne Gewinnziele zu erreichen. Deutlicher könnte der Weckruf nicht sein.

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Halbherzig vollzogene Liberalisierung

Hier geht es um weit mehr als um persönliches Versagen einzelner Führungspersonen. Der Fall ist ein Symptom für ein tiefer liegendes Problem: für die nur halbherzig vollzogenen Liberalisierungsschritte, welche die Schweiz Ende der 1990er Jahre auf Druck der EU unternommen hat. Denn als die Politiker 1998 die PTT in die Post und die Swisscom aufspalteten und 1999 die SBB aus dem Staatsapparat ausgliederten sowie aus knapp einem Dutzend Unterhalts- und Produktionsbetrieben der Schweizer Armee die Ruag zimmerten, bogen sie zwar ein auf die Liberalisierungsund Privatisierungspiste, aber sie blieben dann auf halbem Weg stecken. Wie bei einem guthelvetischen Kompromiss.

Damit fuhr man erstaunlich lange gut. Die Chefs durften sich mit englischen Titeln schmücken und für Staatsangestellte unüblich dicke Boni einstecken, die Firmen erhielten Freiheiten für neue Geschäftsfelder, blieben aber oft dank vorteilhafter Regulierung vor allzu viel Konkurrenz geschützt. Unvergessen sind in Bundesbern die Auftritte der früheren, rhetorisch gewieften Swisscom-Chefs Jens Alder und Carsten Schloter, nach denen jeweils auch die hartgesottensten Wettbewerbsprediger im Parlament auf einmal «einsahen», dass man besser nicht allzu viel am Fernmeldegesetz herumschrauben sollte.

Post

Aktiengesellschaft im Eigentum des Bundes (100%) Verwaltungsratspräsident Urs Schwaller, Konzernchef ad interim Ulrich Hurni

Umsatz 2017: 7,99 Mrd. Fr.
Gewinn 2017: 420 Mio. Fr.
Mitarbeiter: 42 316 Vollzeitstellen
Dividende 2018 an Bund: 200 Mio. Fr.
Service public: Briefe und Pakete an fünf, abonnierte Tageszeitungen an sechs Wochentagen schweizweit zu gleichen Preisen zustellen; Zahlungsverkehr sicherstellen; 90 Prozent der Bevölkerung müssen zu Fuss oder mit dem ÖV innert 20 respektive 30 Minuten die Zugangspunkte zu Post- respektive Zahlungsverkehrsdiensten erreichen können
Abgeltung des Service public: Briefmonopol bis 50 Gramm; Subvention für Zeitungszustellung; Abgeltung Regionalverkehr
Aufsicht: PostCom, Bakom, Weko, BAV, Finma, EFK
Probleme: Postauto-Skandal, Car Postal France, Weko-Busse von 22,6 Mio. Fr. gegen Briefpost, Kreditverbot bei Postfinance, «Too big to fail»-Auflagen, Revision Postgesetzgebung

Versteckte Kosten

Tatsächlich waren die Zeichen positiv. Der Beamtenmief war weg, die Unternehmen wirkten dynamischer, präsentierten sich als vorbildliche Arbeitgeber und lieferten obendrauf jährlich eine satte Dividende ab. Und vor allem: Sie übernahmen – da zur Eigenwirtschaftlichkeit verpflichtet – stillschweigend die Rechnung für den Service public. So konnte man die Illusion aufrechterhalten, dass alles gratis sei: das dichte Poststellennetz, Glasfasern bis zu den abgelegensten Alphütten, stündlich fahrende Züge in die hintersten Täler inklusive bedienter Bahnhofsschalter. Aber umsonst ist das alles nicht, das Preisschild ist einfach gut versteckt. Die Kosten werden anderswo abgegolten – etwa über mehr Steuergelder, tiefere Dividenden, höhere Preise oder eine kleinere Auswahl.

Diese Selbsttäuschung rächt sich jetzt. Post, Swisscom und Co. «leiden heute unter den vor zwanzig Jahren gemachten Regulierungsfehlern», sagt Matthias Finger, Infrastrukturspezialist und Professor an der ETH Lausanne. «Man hatte damals den Mut nicht, alles bis zum Schluss durchzudenken.» Jetzt sei es dringend nötig, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen. Erste Priorität: die Regulierungsfehler der Vergangenheit ausmerzen. «Es braucht bessere Spielregeln für einen wirklich funktionierenden Wettbewerb», betont Finger. «Und vor allem müssen die verschiedenen Rollen des Staates als Eigentümer, Regulator und Policy-Advice-Stelle voneinander getrennt werden.» Erst wenn diese Korrekturen gemacht sind, könne man über einzelne Privatisierungen reden. Also: zuerst aufräumen, dann ausräumen.

Ein Fall für Ueli Maurer

Als Erstes würde Finger die Regulierungsaufgaben konsequent von den zuständigen Bundesämtern an unabhängige Regulatoren transferieren. Vielleicht mit Hilfe von aussen, so wie damals, als Bundesrat Moritz Leuenberger auf Druck der EU das niederländische Luftfahrtinstitut NLR kommen lassen musste, um die Ursachen für die Häufung der Unfälle in der Schweizer Luftfahrt zu eruieren. Der Befund der Experten: die ungute Verquickung der Rollen des Bundesamts für Zivilluftfahrt. «Es war letztlich ein institutionelles Problem», sagt EPFL-Professor Finger, der damals den ausländischen Experten mit Rat und Tat zur Seite stand. Und er vermutet hinter dem Postauto-Fall ein ähnliches Problem: Auch hier muss eine einzige Behörde, das Bundesamt für Verkehr (BAV), gleichzeitig zwei Aufgaben gerecht werden.

In einem zweiten Schritt sollte die Eigner-Rolle für alle Staatskonzerne ganz dem Finanzdepartement von Ueli Maurer zugeschanzt werden. Dieses sitzt zwar heute theoretisch als gleichberechtigter Partner mit am Tisch, aber eben nur theoretisch. Faktisch ist die hierfür zuständige Finanzverwaltung (EFV) eher eine Art Juniorpartnerin. Jedenfalls kommen EFV-Chef Serge Gaillard und seine Mitstreiter mit ihren Vorschlägen nicht weit, wenn sich das jeweilige Fachdepartement querlegt.

Ohne die zuständigen Bundesräte geht nichts, weder bei wichtigen strategischen Entscheiden noch bei der Besetzung der Topjobs. Und dabei hatten sie nicht immer ein glückliches Händchen, wie etwa die Ernennung der letzten drei Post-Präsidenten zeigt: Claude Béglé musste nach dem Rauswurf von CEO Michel Kunz seinen Sessel ebenfalls räumen, Peter Hasler könnte von der Postauto-Affäre eingeholt werden, und am Revers von Leuthards Parteikollege Urs Schwaller haftet seit der Amtsübernahme das CVP-Filz-Etikett, das sich jetzt in der Krise als besonders störend erweist. Auch sonst überzeugen die Personalentscheide oft nicht: So hat SBB-Präsidentin Monika Ribar wegen ihrer Angola-Connection an Glaubwürdigkeit eingebüsst. Und weil sie das Mandat bei ihrer Wahl an die SBB-Spitze nicht offengelegt hatte, ermittelt inzwischen die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats.

SBB

Aktiengesellschaft im Eigentum des Bundes (100%) Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar, Konzernchef Andreas Meyer

Umsatz 2017: 9,44 Mrd. Fr.
Gewinn 2017: 399 Mio. Fr.
Mitarbeiter: 32 754 Vollzeitstellen
Dividende 2018 an Bund:
Service public: Leistungsvereinbarung für ein Infrastrukturangebot, Konzession für Personenfernverkehr sowie Ausführung von Bestellungen im Regional- und Güterverkehr
Abgeltung des Service public: Infrastrukturbeiträge vom Bund sowie Abgeltungen für den Regionalverkehr durch Bund und Kantone und für einzelne bestellte Güterverkehrsleistungen durch den Bund
Aufsicht: BAV, Preisüberwacher, EFK
Probleme: Defizit bei SBB Cargo, Bombardier-Doppelstockzug, Verspätungen, IT-Probleme, SwissPass, Fernverkehrskonzession, Fernbus-Konkurrenz, hohe Verschuldung, Angola-Mandat von Ribar

SBB
Quelle: Keystone

Verwaltungsratsgremien sind in der Schweiz grundsätzlich eher schwach, oder wie es SVP-Vordenker Christoph Blocher ausdrückt: «In schlechten Zeiten kann man sie nicht brauchen, und in den guten Zeiten braucht es sie nicht.» Dies trifft wohl für die Strategiegremien der Staatskonzerne noch stärker zu als für private Firmen, denn letztlich können diese nicht viel ausrichten ohne die Zustimmung der zuständigen Bundesräte – obwohl diese sich gerne hinter dem Verwaltungsrat verstecken. Doch das gelingt nicht immer: Bei der Entlöhnung der Konzernspitze jedenfalls müssen sie nun erstmals Farbe bekennen.

Herr von Kontrolleuren

Heute reden bei den Staatsbetrieben alle irgendwie mit: die gut dotierten Konzernleitungsriegen, die Verwaltungsräte, die internen Revisionsstellen, die externen Revisionsfirmen, das eine oder andere Bundesamt, ausgegliederte Aufsichtskommissionen, die Wettbewerbskommission, die parlamentarischen Fachkommissionen, die Geschäftsprüfungskommissionen, die Finanzkommissionen, der Preisüberwacher, die Finanzkontrolle, die Finanzverwaltung – und wie gesagt: das zuständige Departement. Bei Swisscom, Post und SBB ist das Leuthards Monsterdepartement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek), bei der Ruag Guy Parmelins Verteidigungsdepartement. Solange alles gut läuft, betonen alle Akteure ihre Wichtigkeit, sobald es schiefgeht, ist keiner richtig verantwortlich.

In der Causa Postauto kommt zusätzlich ein immer grösser werdendes Heer von externen Spezialisten hinzu: Nebst den Wirtschaftsprüfern von EY, den Wirtschaftsanwälten von Kellerhals Carrard und dem vom Post-Präsidenten Schwaller eingesetzten Expertengremium hat das Bundesamt für Polizei (Fedpol) nun noch zwei externe Verfahrensleiter engagiert, den ehemaligen Bundesrichter Hans Mathys und den Neuenburger Kantonsrichter Pierre Cornu.

Wobei: Auch die Suche nach externen Aufklärern ging nicht ganz ohne Peinlichkeiten über die Bühne. So legte Kurt Grüter, der frühere Direktor der Finanzkontrolle und Schwallers Garant für Unabhängigkeit, wegen möglicher Befangenheit sein Amt knapp zwei Wochen später wieder nieder. Das BAV wiederum reichte unter grossem Trommelwirbel Strafanzeigen bei der Bundesanwaltschaft und der Berner Generalstaatsanwaltschaft ein und musste dann ein paar Tage später von diesen beiden Stellen belehrt werden, dass fürs Verwaltungsstrafrecht die Bundesverwaltung selbst zuständig sei.

Remo Lütolf (o.l.), Monika Ribar, Urs Schwaller (u.l.) und Hansueli Loosli

Die Präsidien: Der Neo-Ruag-Verwaltungspräsident Remo Lütolf (o.l.) hat das Privatisierungsdossier von seinem Vorgänger übernommen, SBB-Präsidentin Monika Ribar kämpft mit den Folgen ihres Angola-Mandats, Post-Präsident Urs Schwaller (u.l.) muss bei Postauto und vielleicht auch im Mutterkonzern aufräumen, und Swisscom-Präsident Hansueli Loosli muss feststellen, dass sein Telekomkonzern im Parlament Sympathien verspielt hat.

Quelle: ZVG

Gelenkt von Schönwetterkapitänen

Das Schwarzpeterspiel hat erst begonnen. Und schon «fordern alle nun noch eine Kontrollstelle der Kontrollstelle der Kontrollstelle», wie es der Präsident der Grünliberalen, Jürg Grossen, formuliert. «Wo sind wir hier nur gelandet?» Wohl am Punkt, an dem man sich eingestehen sollte, dass die Staatskonzerne Schönwettervehikel sind, gelenkt von Schönwetterkapitänen.

Und dass man die vier Bundesunternehmen, die addiert immerhin einen Umsatz von rund 31 Milliarden Franken erwirtschaften und für über 100 000 Vollzeitstellen verantwortlich sind, nicht länger über die «Strategischen Ziele» des Bundesrats führen kann, die sich lesen wie ein Notizzettel aus einer Brainstromingsitzung: So sollen die Staatskonzerne zusätzlich zur guten und landesweit gleichwertigen Grundversorgung auch «qualitativ hochstehende, marktfähige und innovative Produkte» lancieren, ein «rentables Wachstum» generieren, ihre Ertragskraft steigern, ihre «Stellung als Marktführer» festigen, den verschiedenen Regionen des Landes Rechnung tragen, nur nachhaltig und ethisch vorbildlich wirtschaften, eine fortschrittliche und sozial verantwortliche Personalpolitik betreiben, Massnahmen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergreifen und natürlich dem Bund eine Dividende auszahlen.

Die Politik sollte grundsätzlich über die Bücher gehen und sich überlegen, welche Grundversorgung sie heute will, und in diesen Bereichen die Bundesunternehmen wieder härter an die Kandare nehmen. Gleichzeitig sollte sie die anderen Geschäftsteile ziehen lassen. Denn die Staatskonzerne sind mittlerweile zu grossen Gemischtwarenläden herangewachsen, die allerlei Sachen machen, die man auch mit bestem Willen nicht als Service public bezeichnen kann: So betreibt etwa die Swisscom eine Kino-Kette für Blockbuster, die Ruag liefert Bestandteile an die Raumfahrtindustrie, und die Post bietet Buslinien in Frankreich an.

Swisscom

Börsenkotierte Aktiengesellschaft im Mehrheitsbesitz des Bundes (50,95%) Verwaltungsratspräsident Hansueli Loosli, Konzernchef Urs Schaeppi

Umsatz 2017: 11,6 Mrd. Fr.
Gewinn 2017: 1,6 Mrd. Fr.
Mitarbeiter: 20 505 Vollzeitstellen
Dividende 2018 an Bund: 581 Mio. Fr.
Service public: Grundversorgungskonzession im Fernmeldebereich (2018–22) umfasst ein Basisangebot in allen Landesteilen für Sprachtelefonie, Datenübertragung und Breitband-Internetzugang (3000/300 kbit/s) sowie Zugang zu Notrufdiensten und Dienste für Behinderte. Die ISDN-Funktionalitäten werden durch einen auf IP-Technologie basierenden Anschluss ersetzt – entsprechende Schnittstellen sind für die Kunden bis 2021 kostenlos
Abgeltung des Service public: keine Abgeltung
Aufsicht: ComCom, Bakom, Weko, EFK
Probleme: Massives Datenleck, 5G, Fernmeldegesetz-Revision, Netzausfälle, Admeira

Kabel
Quelle: Keystone

Ein Datenleck mit Folgen

Angesichts des schrumpfenden Kerngeschäfts ist die Suche nach neuen Ertragsquellen aus Sicht der Bundesunternehmen verständlich. Doch die Ausweitung der Kampfzone ist problematisch – nicht nur aus wettbewerbspolitischen Überlegungen, also nicht nur, weil die mächtigen Staatskonzerne in Gefilde vorstossen, wo es bereits private Anbieter gibt. Sondern vor allem auch, weil letztlich die Steuerzahler das Risiko der Diversifikation und Expansion tragen. Sie bezahlen den Grossteil der Rechnung für allfällige Flops – etwa für die mit viel Trara angekündigten «Innovationen» aus dem Hause Swisscom, die dann später wieder eingestellt wurden, wie der Chatdienst iO, der Handybezahldienst Tapit oder das Sicherheitssystem Smartlife.

Politisch haben diese Versuchsballons bisher kaum Konsequenzen gehabt. Doch die Parlamentarier zeigen «ihrem» Telekomunternehmen in jüngster Zeit öfters die kalte Schulter. So sagten die Ständeräte Nein zu höheren Grenzwerten für Handyantennen, und die zuständige Kommission des Nationalrats ist auf die Revision des Fernmeldegesetzes eingetreten, obwohl die Swisscom im Vorfeld die düstersten Untergangsszenarien an die Wand gemalt hatte, sollte es so weit kommen.

Manche Politiker vermuten, das liege daran, dass Konzernchef Urs Schaeppi nicht das gleiche rhetorische Talent habe wie seine Vorgänger. Für andere ist das die logische Folge der Verwandlung der Swisscom vom Service- public-Infrastrukturanbieter zum beliebigen Dienstleistungsprovider. Sicherlich nicht hilfreich war die kundenbetreuungstechnisch nicht ganz geglückte Umstellung der Analog- und ISDN-Anschlüsse auf IP-Technologie sowie das Leck, bei dem rund 800 000 Kundendaten ent wendet wurden. «Das zeugt von falscher Sicherheitsarchitektur und dürfte allenfalls noch den Datenschützer beschäftigen», sagt Nationalrat Balthasar Glättli.

Frankreich-Abenteuer der Post

Die Politik kümmert sich derweil lieber um das Frankreich-Abenteuer der Post. Auch die Finanzkontrolleure von Michel Huissoud untersuchen nun den Fall. In ein paar Monaten sollte klar sein, wie viel der Ausflug über die Grenze unter dem Strich gekostet hat. Und ob er beendet werden soll. Doch eigentlich sollte man sich fragen, wieso niemand opponierte, als die Post nach Frankreich ging.

«Tü-ta-to! Schweizer Postautos erobern Frankreich», titelte der «SonntagsBlick» 2005 stolz. Der Legende nach soll alles mit einer Wette angefangen haben: Die Postauto-Manager wollten einfach mal testen, ob sie im Ausland Ausschreibungen gewinnen können. Vielleicht wollten sie auch ihren Frust wettmachen, weil sie im Inland – wegen des politisch gewünschten Wettbewerbs – Linien verloren hatten, zum Beispiel im Oberengadin. Und plötzlich bot Postauto in Frankreich fast überall mit. Es wurden ambitiöse Ziele gesteckt: 15 Prozent Wachstum pro Jahr mussten her, Manager, die diese erreichen sollten, wurden angestellt.

Urs Breitmeier (o.l.), Susanne Ruoff, Urs Schaeppi (u.l.) und Andreas Meyer

Die Chefs: Ruag-Chef Urs Breitmeier (o.l.) will ins Weltall, Post-Chefin Susanne Ruoff kämpft mit dem Postauto-Skandal, Swisscom-Chef Urs Schaeppi (u.l.) sucht nach neuen Geschäftsideen, und SBB-Chef Andreas Meyer muss die Güterverkehrstochter sanieren.

Quelle: ZVG

Und diese machten sich ans Werk: Sie schraubten den Umsatz von 2011 bis heute von 40 auf 120 Millionen Franken hoch und schafften 2012 den Sprung in die schwarzen Zahlen. Doch mit einem Gewinn von rund zwei Millionen Franken pro Jahr erfüllten sie die intern gesetzten Renditevorgaben von vier bis fünf Prozent bei weitem nicht. Dazu brauchte es zusätzliche Investitionen, zusätzliches Wachstum.

Hasta la vista, Postauto

Und so evaluierten die Manager weitere Märkte – und machten sich bereit für den Sprung ins nächste Land: nach Spanien. Dass es nicht so weit kam, hat wohl auch mit dem Widerstand unter der Bundeshauskuppel zu tun. Allen voran SP-Chef Christian Levrat stellte in den jeweils im April stattfindenden Sitzungen mit den für die Bundesbetriebe zuständigen Geschäftsprüfungs- und Finanzkommissionen kritische Fragen, jedes Jahr etwas lauter. Andere stimmten in den Chor ein, dem Vernehmen nach auch Leuthard. Konzernchefin Susanne Ruoff bekam kalte Füsse – und zog 2013 den Stecker. Die Eroberung Spaniens fand nur auf dem Papier statt.

Nun rufen die ersten Politiker nach einer Abspaltung von Postauto aus dem Post-Konzern. Das ist durchaus eine prüfenswerte Forderung, viel drängender ist jedoch der Entscheid bei Postfinance. Jahrelang galt die Post-Tochter, die Bank mit impliziter Staatsgarantie und Kreditverbot, als gut geölte Gewinnmaschine. Doch das Tiefst- und Negativzinsumfeld hat ihre Zinserträge innert fünf Jahren um gut ein Drittel von gut 1,4 Milliarden auf rund 900 Millionen Franken schmelzen lassen. Und eine Trendumkehr ist nicht absehbar – im Gegenteil.

Dank Sondereffekten konnte die Post-Bank für 2017 noch immer einen ansehnlichen Gewinn ausweisen, für 2018 rechnet man aber Postfinance-intern mit einem Gewinneinbruch in dreistelliger Millionenhöhe. Für Samuel Rutz von der Denkfabrik Avenir Suisse ist der Fall klar: «Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die Postfinance zum nächsten grossen Sanierungsfall der Schweiz wird.» Dies jedenfalls, wenn die Politik der Bank nicht bald den Zugang zum Hypothekarkreditmarkt gewährt. Sein Vorschlag: «Die Postfinance vollständig privatisieren und gleichzeitig das Kreditverbot aufheben.»

Ins gleiche Horn blasen die Grünliberalen: Sie haben soeben eine entsprechende Motion eingereicht. «Der in der Grundversorgung verankerte Zahlungsverkehr rechtfertigt keine staatliche Beteiligung mehr», sagt Parteipräsident Grossen. Sollte der freie Markt den Zugang zu Einzahlungen, Auszahlungen und Überweisungen nicht für alle in allen Regionen anbieten, könnte der Zahlungsverkehr etwa als Leistungsauftrag ausgeschrieben werden. Eines sei klar, ergänzt Ökonom Rutz: «Je länger der Bund mit der Privatisierung der Postfinance zuwartet, desto weniger wird er letztlich dafür erhalten.»

Vermeintliche Cashcow Swisscom

Die zweite vermeintliche Cashcow des Bundes ist die Swisscom. Jährlich liefert sie rund 580 Millionen Franken ab. Doch eine Garantie, dass das immer so bleibt, gibt es nicht. Ihr Kerngeschäft ist ausgereizt, die Margen sind unter Druck. Das Wachstum soll von der italienischen Tochter Fastnet und Investitionen in Start-ups kommen.

Heute würde der Verkauf des ganzen Aktienpakets rund zwölf Milliarden Franken in die Bundeskasse spülen. Offiziell gibt sich die Swisscom in dieser Frage neutral, inoffiziell hingegen lässt sie die Politiker spüren, dass alle mit dem Status quo besser fahren. Und so sagt das Parlament regelmässig Nein, wenn ein Verkauf der Aktienmehrheit auf der Traktandenliste steht. Zuletzt im Mai 2017 bei einer Motion von Natalie Rickli. Die grosse Kammer stemmte sich sogar gegen einen Vorstoss von Glättli, der den Bundesrat nur dazu bringen wollte, die Aufspaltung der Swisscom zu prüfen – in eine staatliche Netzgesellschaft und eine private Dienstleistungsfirma. Das Resultat: lieber erst gar nicht über solche Ideen nachdenken.

Ruag

Aktiengesellschaft im Eigentum des Bundes (100%) Verwaltungsratspräsident Remo Lütolf, Konzernchef Urs Breitmeier

Umsatz 2017: 1,96 Mrd. Fr.
Gewinn 2017: 89 Mio. Fr.
Mitarbeiter: 9189 Vollzeitstellen
Dividende 2018 an Bund: 40 Mio. Fr.
Service public: Sicherstellung der Ausrüstung der Schweizer Armee
Abgeltung des Service public: keine Abgeltung
Aufsicht: VBS, Weko, EFK
Probleme: Hackerangriff, Entflechtung der IT-Systeme, Aufteilung in Ruag Schweiz und Ruag International, mögliche Teilprivatisierung, Gewinneinbruch, Hausdurchsuchungen und Strafverfahren der Bundesanwaltschaft

Ruag
Quelle: Keystone

Der Bundesrat ist bei der Swisscom auf die Linie des Parlaments eingeschwenkt. Etwas mutiger zeigt er sich bei der Ruag, die derzeit aufgrund dubioser Waffengeschäfte mit Russland die Bundesanwaltschaft im Haus hat. Für eine Teilprivatisierung müssen aber zuerst die digitalen Leitungen zwischen VBS und dem zivilen Ruag-Teil gekappt werden. Dazu sollen die für die Schweizer Armee tätigen Geschäftseinheiten bis 2020 in einer neuen Gesellschaft zusammengeführt und vom Rest abgespalten werden.

Separate Betrachtung

Der vierte Privatisierungskandidat ist der Dauerproblemfall SBB Cargo. Es war SBBChef Andreas Meyer selbst, der vor rund zwei Jahren dem Bundesrat vorgeschlagen hat, die Mehrheit an SBB Cargo abzugeben. Seine Überlegung: Damit würde das Güterverkehrsunternehmen attraktiver für private industrielle Partner. Doch von so grundsätzlichen Eingriffen wollten die Politiker nichts wissen. Sie beschränken sich lieber darauf, Meyer vom SBB-Cargo-Präsidentenstuhl hinunterzustossen.

Die Debatten rund um die Staatskonzerne verlaufen immer etwa gleich: Die Marktprediger erkennen das Heil in der Privatisierung von allem, weil sich so alle Probleme von selbst lösen. Die Linken wiederum möchten die Bundesbetriebe lieber wieder verstaatlichen – und warnen mit Verweis auf das Privatisierungsdebakel in Grossbritannien vor mehr Markt. Beide Seiten greifen in ihrer Argumentation zu kurz. Jeder Konzern ist anders, jeder leistet einen anderen Beitrag zur Grundversorgung, jeder muss separat geprüft und allenfalls auch aufgespalten werden, wie vor rund 20 Jahren die PTT. Das war mutig. Und etwas politischer Mut würde auch heute nicht schaden.