Die Erde schwitzt. Der Weltklimarat warnt, dass die Erderwärmung dramatische Folgen haben werde, es etwa Naturkatastrophen gebe, welche underte Millionen Menschen in die Flucht schlagen, weil Küstengebiete unbewohnbar werden. Dieser Tage berieten deshalb die EU-Umweltminister in Luxemburg über die Verringerung des CO2-Ausstosses bei Neufahrzeugen bis 2030.
Autos mit Batterie statt Diesel und Benzin sollen es lösen. Und: «Die Schweiz wird tun, was die EU macht», sagt ETH-Maschinenbauprofessor Konstantinos Boulouchos. Er berät Bundesrätin Doris Leuthard bei der Umstellung auf die E-Mobilität in der Schweiz. Bis 2022 will sie – und wohl auch ihr Nachfolger ab 2019 – 15 Prozent aller PKW auf der Strasse mit einer Batterie eingebaut sehen. Die EU-Bemühungen und jene in der Schweiz haben somit massive Auswirkungen auf die lokale Zulieferindustrie, welche derzeit noch fast komplett für Verbrennungsautos produziert. Nicht alle Firmen, überwiegend KMU und einige grosse, werden den Wandel vom Verbrennungsmotor hin zum E-Vehikel packen, wenn es so schnell gehen muss. Sie passen nun ihr Geschäftsmodell an, entwickeln neue Produkte, finden neue Kunden und Absatzmärkte. Viele werden mit ihren Spezialprodukten punkten.
Die Umstellung auf E-Autos betrifft eine Branche, die direkt und indirekt 300 000 Menschen in der Schweiz beschäftigt. Karosserieteile, Motorblockelemente, Schrauben, Ladegeräte und Steckverbindungen sowie Maschinen, die all diese Teile herstellen – aus der Schweiz kommen Tausende Produkte speziell für die Konstruktion eines E-Autos. Abnehmer sind die grössten Automobilhersteller der Welt: Toyota, Volkswagen, Daimler, BMW, Renault, Nissan und natürlich der E-Spezialist Tesla, um nur einige zu nennen. Noch ist der Anteil neu zugelassener E-Fahrzeuge gering: 1,5 Prozent weltweit, in der Schweiz sind es immerhin schon 2,7 Prozent – Tendenz steigend. Grösster Absatzmarkt ist dabei China: Rund 50 Prozent aller E-Autos werden dorthin verkauft.
Schwergewicht mit Leichtgewicht
Besonders stark sind hiesige Zulieferer im Leichtbau, in der Elektrik und an der Karosserie. Georg Fischer Casting Solutions zum Beispiel bringt neue Materialien aus Magnesium und Aluminium ins E-Auto, für den Motorblock, das Chassis bis hin zum Batteriekasten.
Eine Batterie erhöht das Fahrgewicht um eine halbe Tonne. Alles am Wagen muss leichter werden, um das zu kompensieren, CO2-Vorgaben zu erfüllen und die Fahrdynamik zu erhalten. GF macht das zum Wachstumsthema. Autoneum ebenso: Aerodynamische, leichtgewichtige Teile sowie die Innenraumverkleidung für ein angepasstes Akustik- und Wärmemanagement. Der Anteil des e-relevanten Erlöses von Autoneum liegt bereits über dem Marktanteil neuer E-Fahrzeuge auf dem Autoweltmarkt: bei 6 Prozent. «Für 2025 ist davon auszugehen, dass über ein Viertel des Konzernumsatzes mit E-Autos und Hybriden erwirtschaftet wird», sagt eine Firmensprecherin.
Die Solothurner Schaffner Gruppe rechnet für ihre E-Produkte wie Filter gegen elektrische Störungen mit einem Umsatzanteil von 10 Prozent in den 2020er Jahren. Feintool mit Sitz in Lyss BE geht in diesem Bereich von einem «Umsatz von rund 100 Millionen Euro bis 2025» aus.
Durch die Elektrifizierung des Autos steigt auch die Zahl der Kabel und Steckverbindungen stark an. Maschinen und Teile für die Kabelverbauung und Verbindungselektronik liefern etwa die Luzerner Komax sowie die Firma TE Connectivity Automotive mit Sitz in Zollikon ZH. Kabelbäume für E-Autos sind so komplex, dass das manuelle Knüpfen der Verbindungen zu aufwendig und zu teuer wird. Bis zu 10 Kilometer Kabel mit einem Gewicht von 250 Kilogramm werden. «Das muss automatisiert werden», sagt Sven Siepen, Industrieexperte und Berater von Roland Berger. TE Connectivity ist ein wichtiger Arbeitgeber und beschäftigt rund 700 Mitarbeiter in zwei Werken in der Schweiz.
Beide Unternehmen profitieren in hohem Mass vom E-Mobilitäts-Trend, weil der Wertanteil der Steckverbindungen in mittelgrossen Wagen von durchschnittlich 10 bis 15 US-Dollar bereits bei Hybridfahrzeugen (sowohl Treibstoff als auch Strom) auf 30 bis 40 Dollar hochschnellt. Das kann ein Umsatzgarant werden. Bei vollelektrischen Autos aus China und von Tesla geht dieser Kostenanteil gar auf 100 bis 500 Dollar pro Fahrzeug hoch.
Bosshard liefert Schrauben
Beispiele wie GF, Autoneum, Schaffner, Feintool, Komax und TE gibt es in der Schweiz viele. Bühler liefert Druckgiessanlagen an GF, Varta-Tochter der Reinacher Montana Tech Components – entwickelt Batterien, Bosshard liefert Schrauben aus seinem vollautomatisierten Hochregallager in Zug direkt ans Montageband von Tesla in Kalifornien. Sika ersetzt an E-Autos Schweissnähte durch Klebstoffe, wieder ein paar Kilo weniger am Wagen. Und die Bündner Ems-Chemie reduziert 15 Kilo schwere Autolacke signifikant. Die Zulieferer sind sowohl untereinander als auch mit den Herstellern eng verzahnt.
Doch ist das Auto mal gebaut, muss es auch fahren können. Am besten schnell, mit grosser Reichweite. Und das ist noch nicht der Fall – auch nicht in einem sogenannten Early-Adopter-Markt wie der Schweiz. «Die Reichweiten erachten noch nicht alle als ausreichend», sagt Fabian Wyssmann, Vertriebschef des Winterthurer Akkuherstellers Designwerk. «Einige Nutzer leiden nach wie vor unter Reichweitenangst. Dem könnte der Auf- und Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur Abhilfe schaffen.» Neben Siemens will vor allem ABB mit Ladestationen punkten. Rund 7000 Stück hat ABB bisher weltweit verkauft und ist damit Marktführer. Aber auf einzelne Länder heruntergebrochen reicht das für eine flächendeckende Versorgung nicht aus. Im Moment wird darin investiert, um später eine Pole-Position im Markt zu haben.
Das noch grössere Problem liegt derzeit in der Stromversorgung, das grösste Hemmnis für die E-Mobilitäts-Wirtschaft. Die Schweiz steigt aus der Atomkraft aus. Damit entfallen 40 Prozent der Stromkapazität, die durch grünen Strom ersetzt werden muss. Erfolgt die Marktpenetration mit E-Autos zu rasch, braucht es in kurzer Zeit mehrere Terawattstunden Strom zusätzlich. Das muss auch finanziert werden. Derzeit bezahlen Autofahrer über die Mineralölsteuer aber für den Strassenausbau und den öffentlichen Verkehr rund 5 Milliarden Franken pro Jahr.
Diese Einnahmen brechen mit dem staatlich forcierten Siegeszug der E-Autos weg. «Das ist keine nachhaltige Strategie. Man soll hier den Konsumenten die Wahrheit sagen», sagt Boulouchos. Wenn sich die EU und die Schweiz nicht auf eine europäische Gesamtlösung für die Finanzierung zusätzlicher grüner Energie einigen, bleiben die Klimaziele auf der Strecke und die Zulieferer kommen nicht auf die erhofften Umsätze.