Der Plot von Cambridge Analytica (CA) liest sich wie ein Hollywood-Thriller. Ein CEO, der an einen Bösewicht aus James-Bond-Filmen erinnert, ein Whistleblower, ein Datenwissenschaftler im Hipster-Look, ein Professor auf Abwegen und – selbstverständlich – ein siegreicher US-Präsident.
Die bisherigen Berichte zum Skandal um den stillen Missbrauch von Facebook-Userdatenzeigten vor allem auf, wie CA Zugriff auf die Daten von mehr als 50 Millionen Facebook-Nutzern erhielt. Die eigentliche Verwendung der Daten aber erhielt wenig Aufmerksamkeit. Dabei ist sie der Kern der Sache: Denn die Datensegmentierung und -analyse durch CA bedeutet eine radikale Veränderung, wie Technologie verwendet werden kann, um politisch Einfluss zu nehmen.
Auch Clinton nutzte Technik
Beginnen wir mit einfacher Segmentierung. Meinungsforscher verwenden sie seit langem, um bestimmte Wählerkategorien zu erreichen. Segmentiert wird nach Geschlecht, Alter, Einkommen, Bildungsstand und Haushaltgrösse. Oder nach politischer Zugehörigkeit. Auch Hillary Clintons Team nutzte im Wahlkampf aktuellste Techniken dazu, so wie Obama vier Jahre zuvor.
Im Gegensatz dazu erhielt Trumps Wahlkampfteam von CA eine völlig neue Waffe. Auch sie verwendet Segmentierung, doch erstmals wurden psychografische Daten einbezogen. Psychografische Daten zeigen das Verhaltensmuster auf. Die Segmentierung erfolgte nach Persönlichkeit.
Unterschiedliche Persönlichkeiten
Das macht Sinn. Wir wissen, dass zwei Personen mit gleichem demografischem Profil sehr unterschiedliche Persönlichkeiten haben können. Und wir wissen, dass auf die Persönlichkeit der Empfänger zugeschnittene Botschaften viel eher Resonanz finden. Bisher gab es keinen gangbaren Weg, die Persönlichkeit von Millionen zu vermessen. Bis Cambridge Analytica kam...
Die Firma fand dank zwei Professoren der Universität Cambridge den Weg. Der erste, Aleksandr Kogan, verkaufte ihnen Zugang zu einem Datensatz mit 270‘000 Einträgen. Ergebnisse eines Persönlichkeitstests, welchen Facebook-Nutzer über eine von ihm zu Forschungszwecken entwickelte Online-Applikation absolviert hatten. Der Satz enthielt auch persönliche Daten der Facebook-Kontakte der Testpersonen. Bei je etwa 200 Facebook-Freunden somit von rund 50 Millionen Nutzern.
Professor fand Lösung für Problem
Diese hatten kaum alle den Persönlichkeitstest absolviert. Dieses Problem löste Michal Kosinski, der zweite Cambridge Professor. Er entwarf eine Methode, um mittels «Likes» auf Facebook ein Persönlichkeitsprofil zu rekonstruieren. Schon mit 300 Likes konnte er die Persönlichkeit von Probanden mit gleicher Genauigkeit vorhersagen wie deren Lebenspartner. CA übernahm und kommerzialisierte Kosinskis Modell.
Bewaffnet damit, erstellte CA die Persönlichkeitsprofile von über 100 Millionen eingetragenen Wählerinnen und Wählern in den USA. Stellen Sie sich vor, Sie haben Wähler, die überdurchschnittlich gewissenhaft und neurotisch sind, und andere, die sehr extrovertiert aber nicht besonders offen sind. Beide Gruppen würden unterschiedlich auf gleiche Wahlkampfanzeigen reagieren. Doch auf Facebook müssen sie gar nicht die gleiche Anzeige sehen. CA machte sich die Mühe, dutzende Varianten von politischen Botschaften zu Themen wie Einwanderung, Wirtschaft oder Waffenrecht zu entwickeln. Jede für ein anderes Persönlichkeitssegment. Es gibt keine Hinweis, dass Clintons Team solche Anstrengungen unternommen hat.
Die Methoden werden Bestand haben
Verhaltensanalyse und psychografische Profile werden uns erhalten bleiben. Die Methode ermöglicht das, was gute Verkäufer seit Jahrtausenden tun, nämlich Botschaften und Dienstleistungen an die Persönlichkeiten ihrer Kunden anzupassen, erstmals auf industriellem Massstab. Dies ist Cambridge Analyticas Erbe.