Pia W. ist eine Exotin. Zumindest bei der Freiburger Kantonalbank. Denn als eine von wenigen Frauen hat sie es in einen ausgesprochenen Boys Club geschafft. Die Rede ist nicht etwa von der Geschäftsleitung oder dem Verwaltungsrat der Staatsbank. Pia ist Prokuristin und damit eine von 89 Personen, welche die Bank im Handelsregister als Firmenvertreter hat eintragen lassen. So wie gerade mal drei andere Frauen.
Die Freiburger Kantonalbank ist mit einem Frauenanteil von 4,5 Prozent ein Extremfall. Doch auch bei anderen grossen Schweizer Unternehmen ist der Anteil der Frauen an den Mitarbeitern mit einer «Unterschrift» tief. Das zeigt eine Untersuchung der «Handelszeitung» aufgrund der Handelsregisterauszüge von 75 grossen Schweizer Unternehmen – darunter alle Kantonalbanken und Firmen im SMI.
Im Handelsregister steht, wer die Firma formell vertreten darf
Jeder Bevollmächtigte wird im Handelsregister öffentlich aufgeführt – mit Funktion, Namen, Wohn- und Bürgerort. Aufgrund dieser Daten lässt sich nicht nur die Geschlechterverteilung, sondern auch der Nationalitätenmix berechnen (siehe Grafiken, sowie weitere Grafiken in der Online-Version dieses Texts). Er zeigt, wie sich das Kader einer Firma zusammensetzt, das diese nach aussen vertritt.
Insgesamt wurden die Daten von 45'000 eingetragenen Personen ausgewertet. Die meisten von ihnen stammen aus der Finanzbranche. Dort ist es besonders wichtig, dass Mitarbeiter offiziell für ihren Arbeitgeber unterschrieben können. In anderen Branchen wie dem Handel und der Telekommunikation dagegen verfügen oft nur höhere Kader und Angestellte der Finanzabteilung über einen Eintrag. Firmen aus unterschiedlichen Branchen sind denn auch nur bedingt mit einander vergleichbar.
Besonders tiefe Frauenquoten zeigen sich in technischen Berufen. Von den 130 eingetragenen Personen des Chemieunternehmens Lonza sind 42 Frauen. Bei der Swisscom Schweiz AG sind es gerade mal 3 von 60. Swisscom-Sprecherin Sabrina Hubacher verweist auf den geringen Frauenanteil in den technischen Studiengängen. Es seien diverse Massnahmen mit dem Fokus Talentmanagement und Nachfolgeplanung aufgesetzt worden, um den Frauenanteil im Management zu erhöhen. Gemäss Swisscom-Zahlen beträgt der Frauenanteil im Management des Staatskonzerns 12 Prozent.
Dass die Branche allein kein Grund für Frauenmangel darstellen muss, zeigt indes das Beispiel des Pharmakonzerns Roche. Von 3364 Personen, welche bei der Firma F. Hoffmann La Roche AG eingetragen sind, sind 38 Prozent Frauen. Das sind nur leicht weniger als die 43 Prozent, die von Roche als Frauenanteil in der Schweiz insgesamt ausgewiesen werden. Selbst an den «Schlüsselpositionen» des Konzerns beträgt der Frauenanteil noch 30 Prozent, wie Roche in ihrem Geschäftsbericht schreibt.
Generell zeigt sich, dass grosse, international ausgerichtete Unternehmen – darunter auch die beiden Grossbanken – auch höhere Frauenquoten haben. Bei der UBS Switzerland AG beträgt dieser 28,7 Prozent, bei der Credit Suisse (Schweiz) AG 30,2 Prozent.
«Die Unternehmen verlieren viele Frauen bereits zu Beginn der Karriere»
Gudrun Sander, Universität St. Gallen
Die Ergebnisse decken sich mit einer Studie, welche Gudrun Sander, Professorin für Betriebswirtschaft und Diversity Management an der Uni St. Gallen, vor kurzem zusammen mit dem Verband Advance durchgeführt hat. «Die Unternehmen verlieren viele Frauen bereits zu Beginn der Karriere», sagt Sander. Sie untersuchte die Frauenquoten verschiedener Kaderstufen grosser Unternehmen aufgrund von firmeninternen Daten.
Bereits auf der ersten Kaderstufe sank der Frauenanteil dabei von 51 auf 42 Prozent. Über alle Stufen hinweg seien 36 Prozent der Beförderten weiblich gewesen. Dass diese Werte deutlich höher sind als in der Stichprobe der HZ, dürfte damit zu tun haben, dass an der Studie nur Firmen teilnahmen, die sich auch sonst für Frauenförderung einsetzen. «Wir hatten da sicher einen entsprechenden Einfluss», hält Sander fest. «Diese Firmen haben überdurchschnittliche Frauenquoten im Kader.»
Teilzeit ist ein Karriekiller – unabhängig vom Geschlecht
Für die Forscherin ist vor allem ein Effekt für die tiefen Frauenanteile im Kader verantwortlich: Die Teilzeit-Strafe. «Schon eine Teilzeit-Anstellung im Bereich von 80 bis 90 Prozent hat – statistisch gesehen – negative Folgen für die Karriere», sagt Sander. Die Schweiz kenne ein ausgeprägtes Präsenzdenken. «Der Beschäftigungsgrad gilt als Leistungsmass. Das kann es doch nicht sein! Es gibt bei Teilzeitern wie bei Vollzeitern High Performer und Low Performer».
Weil viele Frauen in Teilzeit arbeiteten, seien sie stärker von diesem Effekt betroffen, sagt Sander. Doch auch Männer in Teilzeit bekommen Probleme mit der Karriere. «Studien zeigen diesbezüglich keine Unterschiede nach Geschlecht», sagt Sander.
Eine klare Ergebnisorientierung statt der vorherrschenden Präsenzorientierung würde das Problem entschärften, findet Sander. «Und eigentlich wäre es für Unternehmen praktischer, alle Angestellten wären zu 80 Prozent angestellt. Dann hätte man genug Puffer für Überstunden in Zeiten mit viel Arbeit – vorausgesetzt es besteht von beiden Seiten eine gewisse Flexibilität. »
Ein Kaderproblem hat auch die Bank Cler. Und dies, obwohl sie sich als modern verkauft und mit Sandra Lienhart sogar von einer Frau geführt wird. Doch bei 44 Prozent Frauen an der Gesamtbelegschaft beträgt der Anteil im Handelsregister bei der Bank Cler gerade mal 14 Prozent. Cler-Eigentümerin Basler Kantonalbank kommt auf fast das Doppelte.
Lienhart macht Gründe dafür vor allem in der Motivation aus. Frauen wagten zu wenig. «Viele überlegen sich unglaublich lange, ob sie die Hierarchieleiter wirklich emporsteigen wollen. Da sind Männer oft mutiger.» Wenn Männer von zehn verlangten Qualifikationen sieben erfüllten, bewerben sie sich. «Die Frauen machen das meist erst, wenn sie von ihren Kollegen oder ihrem Chef dazu aufgefordert werden.»
«Wir beobachten, wie eine Mutterschaft das Leben der Frauen verändert – und da besteht die Gefahr, dass wir diese als Führungskräfte verlieren.»
Sandra Lienhart, CEO Bank Cler
Eine Schwierigkeit sei nach wie vor die Mutterschaft. «Wir beobachten, wie eine Mutterschaft das Leben der Frauen verändert – und da besteht die Gefahr, dass wir diese als Führungskräfte verlieren.» Ab diesem Zeitpunkt sei es wichtig, den Frauen unterstützend zur Seite stehen, ohne aber zu stark zu forcieren. «Meist dauert es ein Weilchen, bis diese Frauen wieder mit Freude im Job angekommen sind.» (Mehr dazu im Interview mit Sandra Lienhart.)
Nicht die Mutterschaft ist das Problem, sondern staatliche Fehlanreize sind es
Sander sieht nicht in der Mutterschaft an sich ein Problem, sondern in staatlichen Fehlanreizen. Wenn es eine Forderung an die Politik gäbe, dann die nach besseren Betreuungsstrukturen und fiskalischen Anreizen, die nicht mehr Ehepaare bevorzugten, bei denen nur ein Partner Geld verdient, sagt sie.
Noch immer sei auch die Ausbildung der Frauen eine Karrierebremse, sagt Sander. Zwar rekrutierten viele Unternehmen mittlerweile gleich viele Frauen wie Männer. «Die Männer haben häufig aber höhere und «passendere» schulische Abschlüsse, was später eher zu einer Kaderposition führt.»
Zudem werde sehr – und zunehmend – konservativ rekrutiert. «Noch vor dreissig Jahren riskierten die Firmen bei der Einstellung mehr.» Diese treffe umso mehr auf Frauen zu, konstatiert Sander. «Frauen müssen Leistungen mehrfach nachgewiesen haben, während Männer schon einmal aufgrund ihres Potenzials eingestellt werden.»
Kantonalbanken mit besonders wenig Frauen im Kader
Nicht zuletzt spielt aber auch die Firmenkultur eine massgebliche Rolle. Dass gerade die eher konservativen Kantonalbanken wenig Frauen im Kader haben, sei kein Zufall, sagt Sander. Insgesamt haben die 24 Kantonalbanken gut 8000 Personen im Handelsregister eingetragen. Nur 23 Prozent von ihnen sind Frauen. Ohne der urbanen Zürcher Kantonalbank, die einen Drittel dieser Personen stellt und immerhin auf 28 Prozent Frauen kommt, wäre der Anteil noch tiefer.
Im Handelsregister zeigen sich auch deutliche Unterschiede beim Nationenmix. Die Kantonalbanken von Appenzell, Wallis und Uri haben bei 158 Einträgen keinen einzigen Ausländer ins Handelsregister eintragen lassen. Bei der Postfinance ist es gerade mal eine Person von 41.
Bei der Roche hingegen befinden sich die Schweizer nicht nur in der Minderheit gegenüber den Ausländern, sie stellen sogar nur die zweitgrösste Gruppe: 22 Prozent der eingetragenen Personen haben einen Schweizer Bürgerort. 33 Prozent jedoch stammen aus Deutschland. Das dürfte mit der Grenzlage und den vielen Grenzgängern zu tun haben, sicher aber auch mit der internationalen Kultur des Basler Multis. 72 verschiedene Nationen finden sich im Handelsregisterauszug der Roche-Gesellschaft.
Firmen mit viel Ausländern haben oft mehr Frauen
Ein Zusammenhang zwischen Frauen- und Ausländeranteil lasse sich statistisch belegen, sagt HSG-Professorin Sander. Und begründen. «Wo ich viele Ausländer habe, kommen andere Einflüsse in die Unternehmung», sagt sie. Zudem arbeiteten ausländische Frauen seltener Teilzeit, was dann auch auf Schweizer Frauen abfärbe und deren Karrierechancen erhöhe.
Vor allem die von den Kantonen kontrollierten Staatsbanken scheinen Schweizer zu bevorzugen – oder von Ausländern gemieden zu werden: Nicht einmal zehn Prozent der bei ihnen schweizweit eingetragenen Personen sind Ausländer. Gerade mal drei Institute überschreiten diese Schwelle: Jene von Basel-Stadt, Genf und der Waadt. Diesbezüglich ist Pia W. von der Freiburger Kantonalbank keine Exotin. Sie ist Schweizerin. Wie alle drei eingetragenen Frauen der Staatsbank.
Alle Daten stammen aus den amtlichen Handelsregisterauszügen der jeweiligen Kantone und wurden zwischen Januar und Februar 2019 erfasst. Als Personen gelten alle im Handelsregister erfassten natürlichen Personen, ungeachtet ihrer Funktion. Es können sowohl Verwaltungsräte, Direktionsmitglieder als auch einfache Angestellte mit einer Handelsregistervollmacht sein.
Die Herkunft wurde aufgrund des deklarierten Bürgerorts/Herkunftslandes bestimmt. Doppelbürgern steht es frei, mit welcher Staatsangehörigkeit sie sich registrieren lassen wollen.
Das Geschlecht wurde aufgrund der Vornamen einer Person, sowie weiterer geschlechtsspezifischer Einträge automatisch bestimmt. Unklare Fälle wurden zudem noch einer manuellen Kontrolle unterzogen. Dennoch bleiben Fälle übrig, bei denen aufgrund des Eintrags keine eindeutige Zuordnung möglich ist. (hec)