Insektenburger, vegane Würstchen, zuckerfreie Schokoriegel - die Essgewohnheiten der Menschen ändern sich und mit ihnen die gesamte Lebensmittelindustrie. Für Anleger eröffnen sich nach Ansicht von Experten dadurch neue Chancen - aber auch Risiken. Denn wer vom «Megatrend Ernährung» profitieren will, muss genau hinsehen. «Es gibt nur wenige Unternehmen und Investmentprodukte, mit denen man den Trend zu einer veränderten Ernährung an der Börse abbilden kann», sagt Portfoliomanager Thomas Jökel von der Fondsgesellschaft Union Investment.
So sind zwar in Deutschland mit Alnatura und Veganz grosse Öko-Firmen unterwegs, sie sind aber nicht an der Börse notiert. Um Aktien von Unternehmen zu kaufen, die auf den Gesundheitstrend aufgesprungen sind, müssen sich Investoren in Amerika, Australien oder im europäischen Ausland umschauen. Oft handelt es sich aber um Nischenanbieter, die der breiten Masse unbekannt sind. Experten verweisen etwa auf den US-Nussproduzenten John B Sanfilippo, dessen Aktienkurs sich in den vergangenen acht Jahren versechsfacht hat. Die Titel des niederländischen Bioprodukte-Herstellers Wessanen kletterten seit 2010 um 125 Prozent, die der australischen Freedom Foods, die sich auf Reis- und Sojamilch spezialisiert hat, sogar um mehr als 1000 Prozent.
Danone und Nestlé haben Trend verschlafen
Doch von solchen Höhenflügen sollten sich Anleger nicht blenden lassen, warnt Analyst Patrik Schwendimann von der Zürcher Kantonalbank. Viele Firmen seien klein und könnten so rasch, wie sie vom Öko-Trend profitierten, wieder von der Bildfläche verschwinden. «Diese Nischen können gefährlich werden für Anleger. Vorübergehend ist das Wachstum enorm, aber es kann auch ziemlich schnell wieder vorüber sein.»
Traditions-Konzerne wie Danone oder Nestle hätten den Trend dagegen verschlafen, kritisieren Experten. «Es gibt aber massive Bestrebungen der Branche, das aufzuholen», sagt Fondsmanager Jökel. Die Grossen kaufen Start-ups aus der Lebensmittel- und Agrarindustrie auf oder versuchen, aus eigener Kraft das Geschäft mit zuckerreduzierten und veganen Produkten auszubauen. So übernahm Nestle etwa die Firma Terrafertil, die sich auf gesunde Snacks spezialisiert hat, und versucht, den Zucker-, Fett- und Salzanteil in Nahrungsmitteln zu verringern. Andere Bereiche wie das US-Süssigkeitengeschäft oder die in Frankreich und Deutschland bekannte Fleisch-Marke Herta hat der Schweizer Konzern verkauft oder zur Disposition gestellt.
Vegane Burger aus dem 3D-Drucker
«Die Unternehmen kommen gar nicht mehr darum herum, sich auf ernährungsbewusstere Konsumenten einzustellen», ist sich Jökel sicher. «Die ganze Industrie wird sich in den nächsten 20 Jahren extrem verändern.» Selbst US-Starinvestor Warren Buffett räumte ein, dass er auf das falsche Pferd gesetzt hat. So schrieb er auf Beteiligungen an Coca-Cola und Kraft Heinz Milliardensummen ab, weil die Markenwerte der auf zuckerhaltige Lebensmittel und Getränke spezialisierten Firmen an Substanz verloren haben. An der Börse stürzten die Kurse in den Keller.
Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass 2050 etwa 9,7 Milliarden Menschen auf dem Globus leben. Gut zwei Milliarden mehr als jetzt. Vor allem Fleischhersteller suchen deshalb nach alternativen Möglichkeiten, um den steigenden Protein-Bedarf - für die Tierzucht und den Menschen - abzudecken. So mischt etwa das deutsche Startup Plumentofoods Nudeln Insektenpulver bei. Die kalifornische Firma Beyond Meat, an der der US-Fleischgigant Tyson Foods beteiligt ist, stellt «In-vitro-Fleisch» her, das aus pflanzlichem Material in der Petrischale gezüchtet wird. Und das israelische Startup Jet-Eat entwickelte gar einen 3D-Drucker für vegane Burger.
«Es gibt unzählige interessante Ansätze, aber um eine Revolution handelt es sich meiner Ansicht nach nicht», erläutert Professor Hans-Wilhelm Windhorst von der Universität Vechta. «Der Trend hin zu Fleischersatz-Produkten wird Fahrt aufnehmen, aber es wird Jahrzehnte dauern, bis solche Firmen signifikante Marktanteile gewinnen können.» Vor allem müssten Öko-Produkte günstiger und besser sein als die herkömmlichen Nahrungsmittel. Auch ZKB-Analyst Schwendimann räumt ein, dass es für Unternehmen nicht einfach sei, Gesundes zu produzieren und es dann auch noch gewinnbringend zu verkaufen. «Die meisten Konsumenten wollen sich zwar gesünder ernähren, am Ende kauft der Konsument jedoch nur, was ihm schmeckt. Im Zweifel ist ihm dann egal, ob der Schokoriegel viel oder wenig Zucker enthält.»
(reuters/ccr)