Beeindruckende Landschaften entdecken, den höchsten Gipfel des Himalayas betrachten oder nur an der Küste des Pazifiks unter einer Palme liegen: Pierin Vincenz, Geschäftsführer der Raiffeisen Bank, meldet sich im Herbst für zwei Monate ab. Als Leiter der drittgrössten Bank der Schweiz führt er 10'000 Mitarbeiter und trägt eine grosse Verantwortung. Gemeinsam mit seiner Ehefrau und Raiffeisen-Chefjuristin Nadja Ceregato legt Vincenz eine Pause in Asien ein.
Seit 13 Jahren arbeitet er schon als Topmanager und benötigt nun eine Auszeit - das Büro verlassen und den Kopf durchlüften. In den höheren Etage von Grossfirmen sitzen Leute wie Richemont-Chef Johan Rupert oder Chefredaktor der «Bild», Kai Diekmann, die ebenfalls für mehrere Monate untertauchen und Erholung oder Ideen suchen. Sie erhoffen sich davon eine langfristige Leistungssteigerung.
Omnipräsenter Stress
Ist das unter Geschäftsleuten und Personalexperten angebracht und wer soll den Chef während seiner Abwesenheit vertreten? Dies hänge von der Rolle innerhalb des Unternehmens ab, sagt Norbert Thom, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Bern. Ein Organmitglied könne seine Tätigkeiten ruhig an eine stellvertretende Person abgeben, jedoch nur, wenn es sich um das Tagesgeschäft handelt. Bei anderen Belangen, wo es schliesslich um Entscheidungsgewalt gehe, sollte der Chef erreichbar sein. «Es ist nicht alles delegierbar, aber doch ist es wichtig, dass die Aufgaben sorgfältig an verschiedene Mitarbeiter verteilt werden», sagt Thom.
Gründe für eine Verschnaufpause können verschiedene sein. Neben einer Verdichtung der Arbeit und dem Druck, permanent erreichbar sein zu müssen, geht ein omnipräsenter Stress einher. Dieser ist auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen, wie Thom sagt. Oft würden die Mitarbeitenden die Zeit nutzen, um neue Inspiration zu erhalten oder Zeit mit der Familie zu verbringen, sagt Charles Donkor, Partner und Human Capital Conultant bei der PWC. Das Unternehmen spricht hier jedoch nicht von der Vorbeugung eines Burn-outs, da dies dem Firmen-Image schaden könne.
Zeit der Reflexion
Zu vermerken bleibt, dass Sabbaticals verschiedene Formen annehmen können: Je nach Zielsetzung zeichnen sich andere Formen der Auszeit ab. Ein spezieller Fall ist der von Kai Diekmann, Chef des Boulevardblatts «Bild», der im Herbst für mehrere Monate ins «Silicon Valley» reist. Dort wird er, wie er sagt, «die Medienzukunft studieren».
Der Mitarbeiter kann sich also entweder von der Geschäftstätigkeit distanzieren oder er kann die Auszeit für das Unternehmen nutzen, in dem er neue Ideen generiert, einen Managerkurs absolviert oder sich Gedanken über die strategische Zukunft macht.
Aber auch die Manager können von persönlichen Vorteilen profitieren, in dem sie motivierter zurück in den Betrieb kommen und dadurch auch körperliche Symptome ablegen können. Ein negativer Aspekt, vor allem für das Unternehmen, könne sein, dass sich der einzelne neue Grundsatzüberlegungen macht und einen neuen Karriereweg einschlagen will. «Ein Sabbatical bedeutet gleichzeitig, dass man sich eine Zeit der Reflexion nimmt», sagt Donkor.
Anzeichen von «Burn-out»
Eine ideale Dauer gibt es nicht. «Ich denke, dass ein Sabbatical nicht länger als 6 Monate dauern sollte", sagt Toni Nadig, Outplacement-Spezialist. Ansonsten sei die Gefahr zu gross den Anschluss an den beruflichen Alltag zu verlieren. Bevor man sich jedoch eine Auszeit nimmt, sollte folgende Frage beantwortet werden: «Was ist der Auslöser für den Wunsch eine Pause einzulegen?», sagt Donkor.
Bei einem Anzeichen von «Burn-out» sollen mindestens 3 bis 4 Monate Distanz zum Unternehmen genommen werden. Bei allen anderen Gründen würden 2 Monate reichen. Doch Richemont-Chef Johan Rupert entscheidet sich dafür, eine einjährige Auszeit zu nehmen. Nach 25 Jahren habe er sich das verdient, sagt er. Selten kommt es vor, dass nach einer so langen Pause, der Chef wieder zurückkommt, meint Donkor. Dies ist im Fall Richemont anders: Nach seiner Auszeit wird er voraussichtlich auf seinem Posten als Präsident Platz nehmen.
Eigenes Ansparmodell
Wenn es um Auszeiten geht, fallen regelmässig Begriffe wie «Generation Y» oder «Work-life-Balance». Eine neue Generation, die Arbeit und Freizeit besser kombinieren möchte und die Altersgrenze des Sabbaticals nach unten drückt. «Neuerdings nehmen sich immer mehr jüngere Leute eine Auszeit - zum Teil schon im Alter von 30», sagt Donkor. Dies sei seiner Meinung nach eine gute Entwicklung. Vor allem würde dies immer mehr den pathologischen Aspekt wegnehmen, das heisst, dass man sich nicht mehr nur aus gesundheitlichen Gründen vom Unternehmen entferne.
Doch wer übernimmt die Kosten für die persönliche Verschnaufpause? Soll der Mitarbieter oder vielleicht das Unternehmen den Kopf dafür hinhalten? «Ideal ist natürlich, wenn die Firma in der Lage ist, diese zu finanzieren. Dann wird sie das aus guten Gründen tun», sagt Nadig. Differenzierter Meinung ist hingegen Thom, wenn er sagt, dass der Mitarbeiter bei einigern Arbeitgebern ein eigenes Ansparmodell vorweisen muss. Entweder hat er sich Ferientage angespart oder diese werden ihm zusätzlich gewährt. Jedenfalls sollte der Bonus im letzten Fall dann kleiner ausfallen.
Fairness unter den Mitarbeitenden
Eines ist klar: Kollegen dürfen nicht unter der Auszeit eines Mitarbeitenden leiden. Es sollen allgemeine Bedingungen herrschen, die vom Unternehmen gegeben sind. So gilt bei der Bank Raiffeisen generell, dass die obersten Geschäftsleiter sowie darunter die Bereichs- und Abteilungsleiter jeweils nach 13, 23, und 33 Jahren eine Pause einlegen drüfen.
Eine ganz andere Sicht nimmt die Frau mit den schnellsten Finger der Welt ein: Pianistin Claire Huangci hält nichts von längeren Ferien. «Nach Konzerten gönne ich mir gelegentlich eine Pause von einem oder zwei Tagen. Dann fühle ich mich richtig frisch und gut», sagt Huangci. Zwei Wochen währen für sie definitiv zu viel. Hier bleibt die Frage offen, ob Huangci der Mut fehlt, ihr die hohe Belastung nicht bewusst ist oder ob sie womöglich dem ganzen Druck standhalten kann. «In Firmen mit grosser Unruhe und wenig Stabilität würde ich mich hüten ein Sabbatical zu nehmen aus Angst, dass man auf die Idee kommt, dass es eigentlich auch ohne mich geht» gesteht Toni Nadig.