Herr Studer, wird die vorgeschlagene Stärkung der Eigenverantwortung der Banken ausreichend sein, um eine künftige Krise zu verhindern, oder benötigt die Schweiz umfassendere gesetzliche Massnahmen?
Verantwortung lässt sich nicht einfach herbeiregulieren. Gewisse vom Bundesrat vorgeschlagene Massnahmen, welche die Verantwortlichkeit und die Anreize des Managements stärken können, sind aus unserer Sicht sinnvolle und zielgerichtete Ergänzungen des bestehenden regulatorischen Rahmens. Dazu gehören die Einführung eines Verantwortlichkeitsregimes, des sogenannten Senior Managers Regime, oder die gesetzliche Verankerung von nachhaltigen Vergütungsgrundsätzen.
Ist das geplante Liquiditätsdispositiv realistisch angesichts der im Bericht beschriebenen Geschwindigkeit von Liquiditätsabflüssen bei der Credit Suisse?
Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die schnellen Liquiditätsabflüsse bei der Credit Suisse haben gezeigt, wie rasch das Vertrauen der Märkte ins Wanken geraten und wie herausfordernd dann das Management von Liquidität werden kann. Angesichts dieser Dynamik muss das System flexibel und robust genug sein, um auch in Stresssituationen zu funktionieren. Es muss also nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch umsetzbar sein. Entscheidend ist, dass diese Mechanismen und Anforderungen international abgestimmt und mit den Regulierungen anderer Finanzplätze konsistent sind, um das reibungslose Funktionieren zu garantieren und gravierende Wettbewerbsnachteile zu vermeiden.
Reicht die Stabilisierungsplanung zur Stabilisierung systemrelevanter Banken in Krisen aus, oder bedarf es zusätzlicher Mechanismen?
Die Überprüfung der Kriterien für die Genehmigung von Stabilisierungsplänen scheint uns gerechtfertigt. Dabei muss nebst der Wirksamkeit auch die Umsetzbarkeit solcher Pläne im Zentrum stehen. Vermutlich wird der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission klarer aufzeigen, wo Anpassungen sinnvoll sind und wo nicht.
Wird die Verankerung eines staatlichen Liquiditäts-Backstops nicht den Wettbewerb verzerren und eine verstärkte Abhängigkeit der Banken von staatlicher Hilfe schaffen?
Nein. Der sogenannte Public Liquidity Backstop (PLB) ist ein international anerkanntes Kriseninstrument, um nicht mehr lebensfähige systemrelevante Banken geordnet sanieren oder liquidieren zu können. Im Gegenzug müssen diese Banken die anspruchsvolle Too-big-to-fail-Gesetzgebung (TBTF) einhalten, welche unter anderem viel höhere Anforderungen umfasst. Eine Bank hat keinen Anspruch auf den PLB, der weder das Management noch die Aktionäre oder die Geldgeber einer Bank schützt. Daher ist er keine Staatsgarantie und keine Versicherung. Und im Anwendungsfall wird er mit Zinsen und Prämien abgegolten.
Wie will der Bundesrat die Interessen von Management, Aktionärinnen und Gläubigern besser in Einklang bringen, um Unternehmenskrisen künftig zu vermeiden?
Wir verstehen den bundesrätlichen Bericht so, dass verschiedene der vorgeschlagenen Massnahmen gezielt auf die Interessen und Anreize der Beteiligten wirken sollen. Dazu gehören Anforderungen im Bereich von Verantwortung und Vergütung, wie das Senior Managers Regime. Einerseits sollen stärkere Corporate-Governance-Regeln die Verantwortlichkeit des Managements fördern, anderseits sollen geeignete Vergütungsmodelle und nachhaltige Anreizsysteme verantwortungsvolle Entscheidungen unterstützen. Zudem wird die Widerstandsfähigkeit von Banken durch neue Anforderungen an Eigenkapital, Liquidität und Abwicklung gestärkt.
Roman Studer (1977), Dr. phil., ist seit August 2023 CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg). Von 2018 bis Mitte 2023 leitete er bei der UBS die Abteilung Governmental Affairs Schweiz und betreute sämtliche für die Bank relevanten regulatorischen und wirtschaftspolitischen Entwicklungen in der Schweiz. Davor war er von 2012 bis 2017 Geschäftsführer des UBS Center for Economics in Society am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich.
Warum sieht der Bericht keine strukturellen Massnahmen vor, um das Dominanzrisiko von Grossbanken zu mindern?
Wir finden es richtig, dass der Bundesrat auf direkte Eingriffe in Geschäftsmodelle und die Begrenzung der Bankgrösse verzichtet. Der Finanz- und Werkplatz Schweiz braucht ein breites Spektrum an Bankdienstleistungen und Anbietern. Zentral ist gleichzeitig, dass keine Bank – auch nicht die UBS – zu gross ist, geordnet saniert oder liquidiert zu werden, sollte sie nicht mehr lebensfähig sein. Geordnet heisst, dass die Wirtschaft und die Bevölkerung nicht zu Schaden kommen und kein Steuergeld dafür benötigt wird. Genau dies will die TBTF-Regulierung.
Welche Lehren zieht die Schweiz aus internationalen Krisenbewältigungsstrategien, und wie plant der Bundesrat, deren Ansätze zu integrieren?
Diese Frage muss der Bundesrat beantworten. Wir sehen jedoch, dass sich viele nationale und internationale Behörden und Organisationen mit dieser Frage beschäftigen, vor allem mit der Abwicklungsfähigkeit. Deshalb ist bei den globalen Banken die internationale Angleichung so zentral.
Werden die geplanten Corporate-Governance-Massnahmen effektiv sein, um Fehlverhalten auf Führungsebene zu verhindern?
Für das Risikomanagement einer Bank ist es wichtig, dass die Verantwortlichkeiten der Entscheidungsträgerinnen und -träger klar geregelt sind und ihre Vergütung auf die Risikopolitik, den Erfolg der Bank und die Einhaltung von Verhaltenspflichten abgestimmt ist. Dies stärkt die Verantwortung auf Führungsebene und könnte durchaus präziser ausgestaltet sein. Deshalb unterstützen wir zielgerichtete Anpassungen in diesem Bereich. Allerdings müssen grundlegende Prinzipien wie Eigenverantwortung oder Proportionalität gewahrt bleiben. Die richtige Balance zu finden, kann schwierig sein. Das ist uns bewusst. Deshalb bringen wir uns konstruktiv in die Diskussion ein.
Ist die aktuelle Überprüfung durch die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ausreichend unabhängig, um fundierte Reformen anzustossen?
Die Unabhängigkeit der PUK ist gewährleistet, da diese weisungsunabhängig arbeitet und umfassende Untersuchungsrechte hat. Daher kann sie einen wichtigen Beitrag an Reformen leisten.
Sind die vorgeschlagenen Anpassungen des Too-big-to-fail-Dispositivs langfristig wirksam, oder braucht es weitere regulatorische Reformen?
Die zentralen Anpassungsvorschläge sind ein wichtiger Schritt, um die Stabilität im Bankensektor weiter zu stärken. Gleichzeitig werden im Bericht zur Bankenstabilität Massnahmen vorgeschlagen, die unseres Erachtens wenig mit der Krise der Credit Suisse oder dem TBTF-Regelwerk zu tun haben. So sollen rund die Hälfte der 29 Massnahmen für alle Banken gelten. Den selbst verschuldeten Untergang einer einzelnen Bank für eine breitflächige Regulierungswelle auszunutzen, wäre vollkommen unverhältnismässig. Daher ist eine klare Abstufung nach Aufsichtskategorien und die Berücksichtigung der Proportionalität erforderlich sowie letztendlich eine gesunde Dosis Pragmatismus.