Mentorschaft ist gelebte Praxis mit hoher Nachfrage. Auf allen Ebenen wird das Angebot gerne angenommen. Eine Gefahr wird jedoch übersehen: Bei den Vorgesetzten verschiebt sich der Fokus. Sie wähnen ihre Mitarbeitenden bestens versorgt im Rahmen des Mentorings und kümmern sich verstärkt um die Themen des Marktes, der Kunden, der Produkte sowie der Kosten und Prozesse. Natürlich sind das wichtige Aspekte der Geschäfts- und Bereichsführung – allerdings darf die Mitarbeitendenführung als Erfolgsfaktor nicht aus den Augen verloren werden. Fördern von Menschen ist eine zentrale Führungsaufgabe. Es ist die Verantwortung und Pflicht der Führungskraft. Das kann nicht an Mentoren delegiert werden.
Die Gastautorin
Katja Unkel ist Gründerin der Firma Managing People, die Führungskräfte und Organisationen berät, coacht und trainiert.
Vorgesetzte haben Leistungs- und Ergebnisverantwortung. Sie sind dem Ganzen und der Strategieumsetzung verpflichtet. Dazu müssen konkrete Ziele mit den Teammitgliedern vereinbart werden, die deren Leistung, Verhalten und auch Entwicklung umfassen. Eine Führungskraft kann nie nur Ratgeber sein. Sie muss auch einfordern, Kritik üben und unliebsame Entscheidungen treffen. Dem Mentor oder der Mentorin obliegt das nicht. Er oder sie ist völlig frei davon – was auch richtig ist und die Vorzüge der Mentorschaft unterstreicht. Man verzichtet ganz bewusst auf Weisungsbefugnis und Verantwortung für die Vorzüge von Mitarbeitendenbindung und Wissenstransfer. Es geht rein um die Belange, Probleme und Karriere des Mentees. Diese andere, offene Perspektive ist wertvoll – aber immer nur ergänzend. Es ist eine zusätzliche Sichtweise und ergänzendes Lernen.
Daher ist es falsch, den Mentoren Führungsverantwortung aufzuhalsen. Das sprengt nicht nur jeden zeitlichen Rahmen, es kann aufgrund fehlender Detailkenntnis zu Fehleinschätzungen und falschen Tipps führen. Als Mentor oder Mentorin kümmert man sich um die Einzelperson, und nicht um das gesamte Team im Sinne der Ergebniserzielung. Dafür sind die Vorgesetzten verantwortlich. Führungskräfte dürfen Mentoren nicht überfrachten und der Verlockung eines möglichen Zeitgewinns erliegen. Sie und die Organisation zahlen sonst einen hohen Preis. Man läuft Gefahr, die für das Unternehmen wichtige zielgerichtete Steuerung und Entwicklung von Mitarbeitenden und somit das zentrale Element für Umsetzungsstärke und gute Ergebnisse zu verlieren.
Es bedarf einer klaren Abgrenzung zwischen Mentorschaft und Führerschaft. Hierbei sollte ebenfalls deutlich kommuniziert werden, was Mentoren nicht leisten können und sollen. Sonst wird sich bald niemand mehr für eine freiwillige und unentgeltliche Mentorschaft melden, was tragisch wäre. Somit sind auch alle Mentees aufgerufen, aktiv zu werden und eine klare Abgrenzung einzufordern.