Die Fakten sprechen für sich und sind ernüchternd: Laut dem letztjährigen Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums (WEF) hat sich das Lohngefälle nicht verkleinert, sondern vergrössert. Die Analyse der Geschlechterparität bei der Erwerbsbeteiligung in einer Stichprobe von 102 Ländern zeigt einen stetigen Rückgang seit 2009.

Schlimmer noch, in den vergangenen zwei Jahren sind die Werte für die Geschlechterparität sprichwörtlich von der Klippe gefallen. Ergebnis: 2022 erreichte sie mit 63 Prozent den niedrigsten Stand seit der Erstellung des Index.

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Zur Autorin

Simona Scarpaleggia ist Beraterin und Boardmitglied des Zertifizierungsunternehmens Edge, das auch den Prozess der EqualVoice-Initiative von Ringier zertifiziert. Davor war sie CEO von Ikea Schweiz und Co-Chair des UN-High-Level-Panels für die wirtschaftliche Förderung von Frauen.

Die Arbeitslosenzahlen zeichnen ein ähnlich deprimierendes Bild. Am Arbeitsplatz sind Frauen unterrepräsentiert. Geht es hingegen darum, den Job zu verlieren, sind sie überrepräsentiert. Die Arbeitslosenquoten für Frauen bleiben konstant und hartnäckig höher als bei Männern.

Und auch wenn es oberflächlich betrachtet den Anschein machen mag, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen gestiegen ist, so ist die Entwicklung doch bestenfalls uneinheitlich, wie die WEF-Zahlen zeigen: Dem hohen Frauenanteil im Bildungswesen (46 Prozent) oder bei persönlichen Dienstleistungen (45 Prozent) steht ein geringer Anteil von Frauen in Führungspositionen im verarbeitenden Gewerbe (19 Prozent) oder in der Infrastruktur (16 Prozent) gegenüber.

Vielfalt fördern, Potenziale nutzen

Kurzum, Steigerungen des Frauenanteils waren nur in Branchen zu verzeichnen, in denen das weibliche Geschlecht ohnehin bereits besser vertreten war. Oder in Ländern, in denen Unternehmen aufgrund der Gesetzgebung dazu verpflichtet waren, die Frauenquote in den Vorständen zu erhöhen. Es liegt auf der Hand, dass die Motivation für die Erhöhung des Frauenanteils eher der Einhaltung von Vorschriften zuzuschreiben ist als dem echten Wunsch nach mehr Vielfalt. Zudem gibt es auch eine grosse Kluft zwischen den Geschlechtern in Führungspositionen im mittleren Management und bei leitenden Positionen.

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Taten statt Quoten

Die Ringier-Initiative treibt die Gleichstellung von Männern und Frauen voran.

So nüchtern die aktuelle Situation sich präsentiert, sie zeigt auch: Es kann noch viel getan werden, um das Potenzial weiblicher Fachkräfte zu nutzen. Das ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern auch ein soziales und wirtschaftliches. Sind Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert, werden ihre Meinungen und ihre einzigartige Perspektive ignoriert.

Wichtige Entscheidungen werden getroffen, ohne die Stimme einer Frau anzuhören. Das hat unbeabsichtigte Folgen, denn es trägt zu weiteren Ungleichheiten bei, etwa was Lohn, Renten und allgemeine Verteilung des Wohlstands betrifft. Mit anderen Worten: Die Beseitigung von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in Führungspositionen trägt dazu bei, Ungleichheiten in anderen Bereichen zu beseitigen, und leistet somit einen Beitrag zu einer gleichberechtigteren und gerechteren Gesellschaft.

Mit Messung zum Wandel

Die alles entscheidende Frage lautet: Was kann man(n) tun, um die Situation zu verbessern? Wie lässt sich die Vertretung der Geschlechter auf allen beruflichen Ebenen erhöhen? Organisationen haben drei wirkungsvolle Hebel: Messung und Zielvorgaben, Einstellungs- und Beförderungspolitik sowie Nachfolgeplanung.

Wenn es um Messungen und Ziele geht, gilt das alte Sprichwort, dass man nicht managen kann, was man nicht messen kann. Messung ist die Grundlage für wirksame Veränderungen. Dabei ist entscheidend, zu wissen, wo man anfängt und wo man hin will, und die Fortschritte auf dem Weg dorthin zu messen. Bei der Festlegung von Messkriterien können Organisationen KPI für Repräsentation, Rekrutierung, Beförderung und Nachfolge erstellen und dabei das Geschlecht und die verschiedenen vertretenen demografischen Gruppen berücksichtigen.

Klare Richtlinien sind unerlässlich, um das Thema Einstellung und Beförderung zu verankern. Die Forderung nach einer geschlechterausgewogenen Auswahlliste von Bewerbern, sowohl für die Einstellung als auch für die Beförderung, schärft das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für einen breiteren Pool von Talenten und Einstellungskanälen.

Wichtig ist dabei natürlich, diesen Prozess unverzerrt zu gestalten. Die Analyse von Lebensläufen, ohne den Namen und das Alter der Bewerberin oder des Bewerbers zu sehen, kann vorteilhaft sein. Die Verwendung einer inklusiven Sprache in Stellenanzeigen und der Einsatz von Rekrutierungsteams mit ausgewogenem Geschlechterverhältnis sind ebenfalls gute Beispiele dafür, wie Voreingenommenheit in den Einstellungs- und Beförderungsprozessen deutlich reduziert werden kann.

Nachfolgeplanung – eine einzigartige Gelegenheit

Auch die Nachfolgeplanung ist für den künftigen Erfolg eines Unternehmens von entscheidender Bedeutung. Ein bewährtes Verfahren ist die Identifizierung und Förderung von Talenten zur kurz-, mittel- und langfristigen Besetzung von Führungs- und geschäftskritischen Positionen. Ebenso wichtig ist es, bei der Nachfolgeplanung auch die Vielfalt zu berücksichtigen. Sie macht die Nachfolgeplanung zu einer enormen Chance, einen echten Wandel herbeizuführen, indem sie die Vision des Unternehmens erweitert und einen Talentpool mit einem breiteren, relevanteren Spektrum an Fähigkeiten nutzbar macht.

Dieser Punkt verdient weitere Überlegung. Sobald die Rollen, für die potenzielle Nachfolger benötigt werden, identifiziert sind, können die Unternehmen:

  • Jobgruppen identifizieren und potenzielle Nachfolgerinnen und Nachfolger für eine Reihe von Positionen definieren. Dadurch entsteht ein Pool an Talenten, die eine Vielzahl von Rollen ausfüllen können. Dieser Ansatz fördert den Fokus auf die Entwicklung potenziell übertragbarer Fähigkeiten und «nicht offensichtlicher» Karriereschritte, anstelle typischer und traditioneller Karrierewege, in denen Frauen benachteiligt sein können. Angesichts des enormen und omnipräsenten Wandels, der sich im Zuge der Digitalisierung am Arbeitsplatz vollzieht, ist dies heute wichtiger denn je. Jobs verändern sich schnell und zwingen die gesamte Belegschaft, neue Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben. Schulungen, Weiterbildungen und Umschulungen werden für alle erforderlich, was eine einzigartige Gelegenheit darstellt, mehr Frauen in diesen Prozess einzubeziehen.
     
  • Sicherstellen, dass die Liste der Personen, die in den Nachfolgeplänen für einzelne Funktionen aufgeführt sind, geschlechtsspezifisch divers sind. Dies hat den zusätzlichen Vorteil, dass die allfällige Notwendigkeit einer externen Rekrutierung zur Steigerung der Diversität in einem Unternehmen deutlicher sichtbar wird. Gibt es keine weiblichen Nachfolgerinnen, die per sofort oder mittelfristig nachrücken können, ist es wichtig, dass dies hervorgehoben wird und es einen Aktionsplan gibt, um eine vielfältige Talentpipeline für die Zukunft zu sichern.
     
  • Sicherstellen, dass die Identifizierung und Entwicklung von Talenten für eine Beförderung nicht ausschliesslich Vollzeitbeschäftigten vorbehalten ist, und damit den wachsenden Bedarf von Arbeitnehmenden an Flexibilität anzuerkennen. Unternehmen können den Pool der ihnen zur Verfügung stehenden Talente erheblich erweitern, wenn sie deutlich machen, dass leitende Positionen für flexibles Arbeiten, einschliesslich Jobsharing, offen sind.

Barrieren durchbrechen

Wir befinden uns heute in einer Phase des potenziellen Wandels. Immer mehr Frauen gehen einer bezahlten Arbeit nach und besetzen Führungspositionen. Doch die Barrieren, die sie daran hindern, die gläserne Decke zu durchbrechen, sind immer noch vorhanden. Gesellschaftliche Einstellungen, eine veraltete Arbeitsplatzpolitik und rechtliche Rahmenbedingungen verschärfen das Problem.

Die Umsetzung von Massnahmen zur Förderung von Vielfalt wird dazu beitragen, systemische Barrieren innerhalb und ausserhalb von Unternehmen zu beseitigen. Die Massnahmen werden sich auch positiv auswirken, indem sie den Weg zur Beseitigung langjähriger struktureller Hindernisse und zu einer wirksamen Bewältigung des sozioökonomischen und technologischen Wandels ebnen.

Es ist an uns, das Potenzial in Unternehmen nutzbar zu machen. Denn potenzieller Wandel verflüchtigt sich erstaunlich schnell, wie die Zahlen zur Entwicklung der Geschlechterparität eingangs dieses Artikels zeigen.

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