Digital- und Innovationsthemen sind ihr Zuhause. Isabelle Siegrist befasst sich seit dem Studium mit dem Anpacken und Umsetzen neuer Ideen. Auf Basis ihrer Leidenschaft gründete Siegrist im Jahr 2017 Sandborn.
Ihre Firma begleitet Unternehmen vom Validieren neuer Geschäftsideen bis zum Markteintritt und zum Wachstum. Ihre Bemühungen ehrte unter anderem «Forbes» mit dem Titel «30 Under 30».
Um ihre Erfahrungen im Innovationsbereich weiterzubringen, brachte sie vor kurzem gemeinsam mit dem Beobachter-Verlag das Buch «Leg Los! So wirst du zur Macherin» heraus. Es zeigt in übersichtlichen Kapiteln, wie Jungunternehmerinnen ihre Ziele angehen und erreichen. Das Buch ist zwar an junge Frauen gerichtet, doch die Inhalte gelten genauso für junge Männer oder ältere Personen.
Das neue Jahr ist da – der Moment zum Starten?
Das Wichtigste ist: Loslegen. Wann, ist eigentlich egal.
Also nicht als Neujahrsvorsatz die Startup-Gründung einplanen?
Wenn es zeitlich passt, dann sicher. Aber eigentlich sollte man Ideen dann packen, wenn sie kommen, und direkt loslegen.
Aber?
Gerade wir Frauen sind oft in unserem Kopf gefangen. Wir haben den Hang dazu, sehr lange zu überlegen. Viele haben Angst vor den Meinungen der anderen. Aber genau das muss man hinter sich lassen. Weniger Sachen überdenken, mehr machen. Aus diesem Grund habe ich das Buch geschrieben, um junge Frauen zu unterstützen. Ihre Ideen Realität werden zu lassen, denn wir brauchen diese Macherinnen in der Schweiz.
Und wie sollten sie mit der Angst umgehen?
Es gilt herauszufinden, was die eigenen Stärken sind. Was macht mich anders? Und diesem Weg dann folgen. Fehler gehören dazu, das soll man akzeptieren. Wir sind Steh-auf-Frauen. Wir fallen um, wir kommen an Scheidewege, wir fallen zurück, wir treffen Entscheidungen und finden Herausforderungen. Aber gleichzeitig gehören wir in der Schweiz zu den am besten ausgebildeten Leuten – es ist wichtig, dass wir uns mit diesen Stärken befassen.
Und trotzdem bleibt die Frage: Was passiert, wenn ich scheitere?
Was wäre, wenn? Aber man weiss es ja nicht! Es gibt aber einen Weg aus dieser Situation heraus: Der Status quo besteht und zu dem kann man grundsätzlich immer zurückkehren. Beispielsweise bei einem beruflichen Quereinstieg kann man immer in den alten Job zurück. Das gibt Sicherheit und erlaubt, Neues auszuprobieren.
In Ihrem Buch findet sich auch ein Kapitel über den weiblichen XX-Faktor. Was beinhaltet das?
Da muss ich etwas ausholen: Ich wünsche mir eine Welt, in der wir nicht über Gender reden müssen, weder biologisch noch rechtlich. Und noch weniger bezüglich finanzieller Lücken. Beim Schreiben fiel mir aber auf: Sehr viel Literatur basiert auf männlichen Werten – die wir Frauen durchaus auch aufweisen können –, aber die rein weiblichen Werte fehlen.
Können Sie das noch genauer sagen?
Primär geht es um die Neurowissenschaft. Denken wir Frauen anders oder nicht? Die Quintessenz ist, dass wir eigentlich gleich denken, aber Frauen machen es tiefgründiger und vielfältiger.
Warum?
Das Denken wird von der Hormonsteuerung beeinflusst, und hier schwanken Frauen mehr: Schon nur der weibliche Zyklus bedingt, dass Frauen unterschiedlich viele Hormone im Körper haben.
Und deshalb denken Frauen anders?
Der Hormonspiegel kann auf die Produktivität einwirken. Als Faustregel gilt beispielsweise bei einem regelmässigen Zyklus, dass Frauen direkt nach der Periode sehr produktiv sind. Der Profisport orientiert sich bereits daran. Eine Empfehlung im Wirtschaftsbereich ist, dass Frauen rund um ihren Eisprung herum, also in der zweiten Woche nach der Menstruation, Verhandlungen ansetzen sollten. Denn genau dann unterstützen die Hormone das Selbstvertrauen, sodass ein noch besseres Resultat erzielt werden kann.
Der weibliche Zyklus in vier Phasen
In aller Kürze lässt sich die Periode in vier Jahreszeiten aufteilen: Winter, Frühling, Sommer und Herbst. Analog zu den Jahreszeiten und dem Zyklus kann der Geschäftsalltag gestaltet werden:
- Der Winter entspricht der Menstruationsphase (Tage 1 bis 4). In dieser Zeit können Projekte evaluiert, reflektiert und abgeschlossen werden. Es fällt in dieser Zeit leichter, sich von Projekten zu lösen.
- Im Frühling beginnt die Follikelphase (Tage 5 bis 14) – ein Ei reift heran und mit ihm die kreative Phase. Brainstorming-Workshops und kreative Projekte stehen an – es fällt leicht, grosse Pläne zu schmieden und Neues anzupacken.
- Im Sommer folgt dann der Eisprung (Ovulation, 14. Tag). Dort sind kommunikations- und kollaborationsbasierte Arbeiten perfekt. Pitch- und Verkaufsmeetings gehören in diese Zeit, da hier das Selbstvertrauen am stärksten ausgeprägt ist.
- Im Herbst geht es bereits Richtung Menstruation, es startet die sogenannte Lutealphase (Tage 15 bis 28). In dieser Zeit können To-dos effizient abgearbeitet werden. Fokusarbeit sowie Projektorganisation sind zu empfehlen.
Die vier Phasen gelten für einen regelmässigen, durchschnittlichen Zyklus. Wichtig ist, dass der Zyklus von Frau zu Frau unterschiedlich ist und Abweichungen normal sind.
Also eigentlich ist der weibliche Zyklus eine Superpower?
Ja. Wer seinen Zyklus kennt und sich daran orientiert, kann definitiv gute Resultate herausholen. Das heisst aber nicht, dass jetzt Frauen während der Periode nicht verhandeln sollten – die Hormone beeinflussen einfach, dass es ihnen zu einer anderen Zeit leichter fallen könnte.
Kommunikations- und Verhandlungstipps sind wichtige Elemente Ihres Buches. Welche Tipps hätten Sie gerne als noch ganz junge Frau gekannt?
Die Lohnverhandlung beginnt bereits mit der Wahl des Jobs: Es ist extrem wichtig, dass man sich eine passende Vorgesetzte sucht, denn die Vorgesetzten sind die Voraussetzung für Fortschritt und Zufriedenheit im Job.
Also weniger auf die Marke achten, mehr auf das Team?
Ja. Denn wie funktioniert ein Unternehmen? Es besteht aus Strategie- und Zielgesprächen; der Frage nach der persönlichen Entwicklung. Deshalb ist es wichtig, mit der Vorgesetzten regelmässig darüber zu sprechen und Meilensteine festzumachen.
Menschen wollen aber nicht immer wachsen?
Nein, und das ist auch okay so. Man muss aber mit dem Chef oder der Chefin darüber reden können. Leider passiert es viel zu spät, dass Vorgesetzte aussprechen, was es braucht, um weiterzukommen. Zumeist erst dann, wenn der Frust bereits besteht. Beispielsweise: Viele wünschen sich mehr Teamverantwortung, die Problematik liegt aber in der fehlenden Wertschätzung der Chefin.
Und da hilft es, wenn man die eigenen Ziele kennt?
Wenn man das weiss, kann man liefern und zeigen, was man erreicht hat. Diese Einzigartigkeit müssen wir Frauen noch viel mehr lernen! Wo wir wieder beim Thema verhandeln wären: Da soll man das dann einfordern! Die Chefin merkt nicht, wer gut arbeitet. Sie hat immer zu viel zu tun – nur wenn man ihr klarmacht, was man leistet, kommt man auch weiter.
Und was ist, wenn man sich selber überschätzt?
Diese Problematik gibt es – aber bis zu einem gewissen Grad ist das sogar gut. Ich empfehle, vor den Spiegel zu stehen und zu sagen: «Hey, das bin ich. Ich kann das.» Das hilft enorm. Wir müssen aufhören, uns kleinzureden.
Wegkommen vom Perfektionismus?
Es ist gesund, sich selber zu hinterfragen. Aber es hat Grenzen. Perfektionismus ist fehl am Platz. Lieber zeigen, was man geleistet hat, auch wenn vielleicht mal etwas nicht ganz so gut klappte. Und eben: Die richtige Chefin versteht das! Die falsche hingegen hackt auf diesem einen kleinen Fehler rum.
Sie sagen zwar, Ihr Buch richte sich an Frauen. Aber soweit ich sehe, sollten das auch ganz viele Chefs lesen?
Das einzige Thema, das im Buch nicht relevant ist für Männer, ist das Kapitel zum XX-Faktor. Aber genau das interessiert sie am meisten (lacht). Mir ist einfach wirklich wichtig, dass meine Leserinnen und Leser ihren eigenen Wert kennen. Gerade wir Frauen haben Hormonschwankungen, und das muss man akzeptieren! Wir sind heute eine Leistungsgesellschaft, aber vieles dabei ist auch schlichtes Scheinwahren. Es ist auch okay, wenn mal jemand keinen guten Tag hat. Das ist normal.
Wir sind unsere eigenen Richter.
Wir setzen uns selber unter Erfolgsdruck. Aber wer sich kennt, versteht und rücksichtsvoll mit sich umgeht, holt das Beste aus sich heraus. Dieses Denken möchte ich den Leuten mit meinem Buch mitgeben.