Ferdinand_Hirsig_CEO_Volg

«Lidl ist viel urbaner als wir»

Andreas Güntert
Von Andreas Güntert
am 03.09.2018 - 06:13 Uhr

Volg-Chef Ferdinand Hirsig: «Hitze ist Volg-Wetter. Glatteis auch.»

Quelle: Gian Paul Lozza/13 PHOTO

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Volg-Chef Ferdinand Hirsig über das Landleben, die harzige Romandie-Expansion und darüber, warum er seinen Kunden Bio-Produkte vorenthält.

Warum wissen Sie heute schon, dass Sie das Online-Geschäft nie profitabel betreiben werden können?
Das Hauptproblem ist die letzte Meile. Bei frischen Lebensmitteln muss man eine stabile Kühlkette hinbringen – und das ist nun einmal sehr teuer. Volgshop.ch hat eigentlich einen einzigen strategischen Aspekt: Wir wollen von der allgemeinen Entwicklung nicht abgehängt werden. Wir wollen lernen. In einer Low-Budget-Version. Unser Online-Kernteam besteht aus drei Mitarbeitenden.

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Was sind die bisherigen Learnings?
Das wichtigste: Es funktioniert. Zweites Learning: Die Mitarbeitenden in den Läden sind in der Lage, neben dem eigentlichen Tagesgeschäft auch noch die bestellten Artikel zusammenzustellen. So wird auch sichergestellt, dass die Online-Umsätze im Laden bleiben, es gibt also keine Kluft zwischen offline und online.

Learning drei: Wenn Ihre Angestellten in den Läden Zeit haben, Online-Aufträge zu rüsten, waren sie bisher unterbeschäftigt.
Falsch. Unsere Leute vor Ort sind ausgelastet. Ein Haupt-Learning könnte Ende 2019 aber auch sein: Wir haben es probiert. Doch es besteht kein Bedarf.

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Foto: Keystone
Foto: Keystone

Was ordert der Dörfler bei Volgshop.ch?
Das Leader-Produkt ist ganz klar die Banane. Gefolgt von Tomaten, Landbrot und Cognac-Steaks. Wir bedienen aber nur die ländliche Deutschschweiz ohne Städte und ohne Romandie. Dies mit zwei Optionen: Entweder Heimlieferung per Post oder «Click&Collect» im Laden. Das wird gut genutzt und bietet eine Upselling-Chance: Wer seine Online-Bestellung im Laden abholt, nimmt oft etwas Zusätzliches mit. Zum Beispiel ein Brot.

Lässt sich denn die ländliche Generation Y und Z überhaupt noch im Laden blicken? Oder schauen nur Kranke und Alte vorbei?
Schon wieder einer, der Volg in die Geriatrieabteilung des Detailhandels schieben will! Dagegen wehre ich mich vehement. Junge Familien etwa spielen eine wichtige Rolle in unserer Kundschaft. Teenager hingegen fehlen uns. Es bringt nichts, sich um dieses Segment zu bemühen. Sie finden uns nun mal nicht sexy. Aber sie gründen irgendwann eine Familie – und kommen wieder zu uns.

Bio-Produkte werden sie aber nicht finden Warum verschläft Volg den Trend?
Wir schlafen nicht. Aber wir haben nun einmal eine ganz spezielle Ausrichtung: Produkte für den täglichen Bedarf. Unsere Läden sind im Schnitt 170 Quadratmeter gross, da ist nicht viel Platz, um rund 3500 verschiedene Artikel unterzubringen. Bio-Produkte können wir daher höchstens in grösseren Läden anbieten. Kommt dazu: Bio hat zwar einen gewissen Marktanteil in der Schweiz. Aber er wächst nicht.

Das hören wir von den Grossverteilern aber anders.
Es kommt drauf an, wie man zählt. Wenn man die Euro-Variante der Migros, die Marke Alnatura dazuzählt, dann wächst der Markt. Ich aber beziehe mich beim Stichwort Bio auf den Knospen-Kernmarkt, der vor allem von Coop beherrscht wird. Riesiges Wachstum ist da nicht drin. Würden wir das Thema kompetent spielen wollen, müsste ich ein paar Laufmeter frei machen im Laden. Dann muss ich vielleicht das Erdbeer-Joghurt entfernen, das unsere Kunden lieben und vermissen würden.

Ende 2017 sagte der abtretende Migros-Chef Herbert Bolliger, dass Bio nur eine Nische und keine effiziente Methode sei, um die Menschheit zu ernähren. Was sagt der Dorfkönig?
Ich bin kein Landwirtschaftsexperte.

Aber Topmanager im Bauernkonzern.
Herr Bolliger hat insofern recht, als man kaum die ganze Schweiz nur mit Bio-Produkten ernähren könnte. Weil uns der Boden fehlt dafür. Was dazukommt: Bio-Produkte sind teurer als solche aus konventioneller Produktion. Das kann und will sich nicht jede und jeder leisten.

Von Ihnen heisst es, dass Ihre Lieblingsmusik die Kassenmusik sei. Da müssten Sie doch höhere Preise für Bio-Produkte lieben.
Das mit der Musik stimmt. Der andere Teil nicht. Weil er reinem Umsatzdenken entspringt. Wenn die Einstandspreise auch höher sind, schaut unter dem Strich nicht mehr raus. Vergessen Sie nie: Der Umsatz ist nur ein Satz. Das wirklich interessante Satzzeichen jedoch ist die Marge.

Dorfladen-Imperium
Frisch und fründlich Die Detailhandelsgruppe Volg gehört wie ihre Schwester Landi Schweiz zur Agrargenossenschaft Fenaco. 2017 erzielte Volg mit 582 Volg-Dorfläden einen Umsatz von 1,13 Milliarden Franken. Eingerechnet die Erlöse aus Belieferungen an andere Detailhändler resultierte ein Umsatz von 1,49 Milliarden Franken. Insgesamt beschäftigt Volg über 3000 Mitarbeitende.

Frais et sympa Seit Ende 2011 setzt Volg seinen Slogan «frisch und fründlich» auch in der Romandie um. Dort mit «frais et sympa». Hirsigs Nachfolgelösung geht Volg auf ungewöhnliche Weise an: Ab September 2018 wird Nachfolger Philipp Zgraggen, zuvor Landeskoordinator Zentraleinkauf und GL-Mitglied bei Aldi Suisse, bei Volg ein Jahr den Bereich Unternehmensentwicklung leiten. Und dann per September 2019 den Chefsessel von Hirsig übernehmen.

Die für Volg wichtigen Jungfamilien, in Birkenstocks unterwegs, tätowiert und vegan kalibriert, wollen doch Bio-Produkte.
Die meisten, die so aussehen, wohnen in Zürich. Und falls die eventuell Insekten-Food mögen sollten – auch gut. Aber bei uns ist das kein Thema.

Wie ist Volg in diesem Jahr unterwegs?
Ziemlich gut. Wir haben im ersten Halbjahr ein Umsatzwachstum von rund 2 Prozent erzielt.

2018 brachte Wetterextreme. Zunächst die Russenpeitsche, dann die Hitzewelle. Wie beeinflusst das Ihren Geschäftsgang?
Hitze ist Volg-Wetter. Glatteis auch. Heiss ist gut, weil unsere Kunden dann keine Lust haben, ins Shopping-Center zu reisen. Sie holen ihre Grill-Koteletts lieber im nahe gelegenen Volg. Ab einem Meter Schnee und Glatteis spielt ein ähnlicher Effekt: Man mag nicht weit fahren mit dem Auto, sondern kauft in der Nähe ein. Ich bin jedenfalls momentan froh, dass ich nicht Chef eines Einkaufszentrums bin. Wobei: Als Volg muss man das Wetter auch richtig managen können.

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Foto: Keystone
Foto: Keystone

Wie meinen Sie das?
Als Detailhändler für den täglichen Bedarf müssen wir die Prozesse so steuern, dass die passenden Produkte zum Wetter zur richtigen Zeit in der richtigen Menge im Regal liegen. Da sind wir besser geworden, und das hilft natürlich beim Umsatz. Deshalb denke ich, dass wir 2018 mit einem Plus zwischen 1,5 und 2 Prozent abschliessen werden.

2018 ist Ihr letztes volles Geschäftsjahr als Volg-Chef. Ab September 2019 wird ein Aldi-Suisse-Manager Ihren Posten übernehmen. Bestimmten Sie Ihren Nachfolger selber?
Ja.

In der Regel wird dieser Job von einem Headhunter und einer internen Findungskommission übernommen.
Wir sind eben nicht die Regel. Wir machten uns im Sommer 2017 auf die Suche. Zunächst suchten wir breit. Einerseits mit Hilfe eines Headhunters, anderseits per Inserat. Das ergab eine Long-List mit zwanzig Namen. Am Schluss wählten wir Philipp Zgraggen.

Wird Volg mit einem Ex-Aldi-Mann an der Spitze zum ruralen Discounter?
Wir sind keine Preisbrecher, uns zeichnen Mehrwerte wie geografische und emotionale Nähe zum Kunden aus. Aber was genau passieren wird, ist dann die Sache von Herrn Zgraggen. Wichtig ist uns, dass wir ihm Volg gut und genau erklären. Deshalb läuft mein Nachfolger ab September 2018 zunächst ein Jahr lang mit der Geschäftsleitung mit, bevor er im Herbst 2019 den Chefposten übernehmen wird.

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Foto: Keystone
Foto: Keystone

Warum wurde ausgerechnet einer aus dem Aldi-Stall zum neuen Dorfkönig?
Tatsächlich überraschte diese Wahl viele, intern wie extern. Philipp Zgraggen wird uns unter anderem viel Wissen bezüglich Prozessoptimierung bringen. Aber matchentscheidend war etwas ganz anderes: Zgraggen passt als Mensch perfekt zu uns.

Wie hat sich das Kundenverhalten in Ihren 18 Jahren als Volg-Chef verändert?
Sehr stark. Ein starker Treiber ist die Pendlerei. Weil so viele Leute vom Land in der Stadt arbeiten, kommen auch die urbanen Entwicklungen schneller ins Dorf. Das hatte starke Entwicklungen auf unsere Ladenöffnungszeiten. Wenn das erste Postauto abfährt im Dorf, müssen unsere Läden offen sein. Öffneten wir früher um 7 oder 7.30 Uhr, so ist es heute vielfach schon um 6 Uhr. Früher sperrten wir den Laden über Mittag zu, heute ist er offen. Und am Abend ist er ebenfalls länger geöffnet. Convenience-Produkte wie Sandwiches, geschnittene Früchte, Birchermüesli sind viel wichtiger geworden. Was geblieben ist: Kunden wollen wertgeschätzt werden und sich austauschen im Laden.
 
Geblieben ist auch das Murren der Konkurrenz darüber, dass Volg der Fenaco gehört. So komme Volg zu günstigeren Einkaufskonditionen für all das, was in dieser Genossenschaft produziert wird.
Dank der Fenaco gibt es Volg, das ist richtig. Falsch ist, dass wir bessere Konditionen haben. Wir müssen unser Geld selber verdienen. Wer die Bauern kennt, weiss: Sie haben Geduld, aber gratis gibt’s nichts. Das ist kein Klischee, das ist so.
 
Produkte etwa Ramseier-Säfte oder Elmer-Citro gehören der Fenaco. Da liegt es doch nahe, wenn Volg bessere Einkaufsbedingungen erhält als die Konkurrenz.
Eben nicht. Stellen Sie sich vor, wie Coop-Chef Joos Sutter reagieren würde, wenn er das merkt.
 
Er muss es ja nicht merken.
Der Detailhandel ist eine ziemlich transparente Branche. Solche Dinge merkt man schnell. Eine interne Subventionierung würde aber auch keinen Sinn machen, weil dies in unserem Beispiel auf Kosten von Ramseier oder Elmer-Citro ginge. Diese Firmen haben kein Interesse daran, ihr eigenes Ergebnis zu schwächen. Von der Fenaco profitieren wir zum Beispiel hinsichtlich Personalwesen und IT, weil das teils im Verbund geregelt ist. Aber sonst wird da nichts gemauschelt.
 
Rien?
Rien.

Wenn Volg in der Romandie akzeptiert ist: Wäre es nicht an der Zeit, den Dorfladen auch den «cari amici» beliebt zu machen?
Mit dieser Frage plagte mich die «Handelszeitung» schon 2012. Ich lehne erneut dankend ab. Aus drei Gründen. Da ist erstens der Gotthard, eine logistisch fast unpassierbare Hürde. Zweitens ist der Tessin ein kleiner Kanton mit sehr grossem Grenzgebiet. Das heisst: Das Konsumverhalten der Tessiner spielt sich faktisch im Ausland ab. Und wenn wir für ein sehr kleines Gebiet unser System auf eine dritte Sprache ausrichten müssten, dann würde sich das schlicht nicht lohnen. Ausser man will unbedingt ein «national retailer» sein. Wollen wir aber nicht.

Seit 2012 hat sich punkto Logistik etwas getan: Die Bahn fährt sehr viel schneller ins Tessin.
Kann schon sein. Aber dafür hat es viel mehr Autos auf den Strassen als früher. Die Bahn ist für frische Lebensmittel nicht genügend leistungsfähig. Machen wir es kurz. Für uns gilt punkto Tessin: Finger weg.