Herr Lampart, in Zeiten des Fachkräftemangels arbeiten immer mehr Menschen Teilzeit. Was sagen Sie aus gewerkschaftlicher Sicht dazu?
Es widerspiegelt einfach die Realität. Junge Eltern teilen sich heute die Erwerbs- und Familienarbeit viel häufiger als früher. Um Zeit für die Kinder zu haben, arbeiten viele Teilzeit.

Kritiker sagen, viele würden Teilzeit arbeiten, um sich selbst zu verwirklichen oder mehr Freizeit zu haben.
Bei den jüngeren Leuten kenne ich fast nur solche, die wegen Betreuungsgründen oder wegen einer Ausbildung ihr Pensum reduzieren. Bei den Älteren passiert es vor allem aus Gründen der gestiegenen Belastung. Diese ist in den meisten Berufen in den letzten dreissig Jahren gestiegen, trotzdem sind die Arbeitszeiten gleich geblieben. Mit den heutigen Mieten, Krankenkassenprämien, Krippenkosten ist es bei einem durchschnittlich guten Lohn auch als Akademiker gar nicht möglich, auf der faulen Haut zu liegen. Das kann man sich nur leisten, wenn man aus einem vermögenden Elternhaus kommt und Immobilien in der Stadt Zürich erbt.

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Sie sagen, die Arbeit sei strenger geworden. Worauf stützen Sie das?
Das höre ich aus praktisch allen Branchen. Gerade heute habe ich mich mit einem älteren Postauto-Chauffeur unterhalten. Er hat mir erzählt, sie hätten zunehmend Probleme, Nachwuchs zu finden. Die Arbeitszeiten seien für Eltern sehr schwierig. Das Gleiche in der Pflege. Dort sagt man mir, man verbringe mehr Zeit im Büro als bei den Patienten. Auch Lehrpersonen beklagen den gestiegenen administrativen Aufwand. Es gibt kaum jemanden, der sagt, sein Job sei in den letzten Jahrzehnten einfacher geworden.

Der Gewerkschafter

Daniel Lampart ist Chefökonom des SGB, des Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Das ist die grösste Arbeitnehmerorganisation der Schweiz. In ihm sind 20 Einzelgewerkschaften zusammengeschlossen, die insgesamt rund 370'000 Mitglieder vertreten.

Sie fordern also nicht weniger, sondern mehr Teilzeit?
Es wäre höchste Zeit, dass die Arbeitszeiten sinken – bei gleichem Lohn. Wie das im 20. Jahrhundert bis 1990 üblich war. Damals wurden die Arbeitszeiten alle zehn Jahre ein bis zwei Stunden verkürzt. Bei gleichem Lohn. Seither beteiligen sich die Arbeitgeber nicht mehr. Jeder und jede muss für sich schauen – mit Teilzeitpensen. Es wäre darum wichtig, generell die Arbeitszeit zu verkürzen, damit sich auch Menschen, die sich keine Teilzeitarbeit leisten können, Zeit erhalten für Familie, Kinder oder um sich von der strenger gewordenen Arbeit zu erholen.

Das klingt gut. Nur: Wer soll das bezahlen?
Wir müssen schauen, dass wir möglichst wenig sinnlose Zeit am Arbeitsplatz verbringen und keine Leerläufe haben. Wenn man das machen würde, könnte man auch die Arbeitszeit verkürzen. Aktuell passiert aber genau das Gegenteil. Das besorgt mich. Von Bankangestellten beispielsweise höre ich, es gebe immer mehr Vorschriften und interne Kontrollstellen, die produktives Arbeiten verunmöglichen. Unsere Chefs halten uns vom Arbeiten ab. Das ist das eigentliche Problem, das man angehen muss.

Sie machen es sich etwas gar einfach.
Überhaupt nicht. Die Führungscrew in diesem Land nimmt ihre Verantwortung zu wenig wahr. Ihre Hauptaufgabe wäre es, zu schauen, dass die Arbeitnehmenden einfach ihre Arbeit machen können und es ihnen gut dabei geht. Doch immer mehr Chefs denken zuallererst an ihren Lohn und ihre Karriere. Aus meiner Sicht liegt hier der Hund begraben.

Ein Lehrer bei seiner eigentlichen Arbeit, dem Unterrichten.

Alltag in der Schule: Ein Lehrer am Unterrichten.

Quelle: IMAGO/Funke Foto Services

Haben Sie irgendwelche Belege für diese Kritik?
Banken gehörten historisch immer zu den produktivsten Branchen. In den letzten Jahren sind unzählige Kontrollstellen entstanden, weil man offenbar nicht mehr in der Lage ist, sich selbst auf die Finger zu schauen, ohne dass man Verluste macht oder astronomische Bussen bezahlen muss wegen luscher Geschäfte. Unsere Mitglieder im Bankensektor beklagen sich über das schlechte Betriebsklima, die gestiegene Bürokratie, die in den letzten Jahren entstanden sind.

Zurück zu den Teilzeitpensen bei Akademikern. Bildungsökonom Stefan Wolter brachte in der «Sonntagszeitung» das Beispiel einer Ärztin, die mit einer Vollzeitanstellung nach der Ausbildung bis zur Pension rund 500’000 Franken in die AHV einzahlt. Geld, das sie nie bezieht, sondern anderen zugutekommt. Dieses Geld würde mit zunehmenden Teilzeitpensen fehlen. Das ist doch auch aus gewerkschaftlicher Sicht ein Problem.
Ich weiss nicht, wo Herr Wolter hinschaut. Ich sehe das Problem nicht. Wenn man die AHV-Zahlen anschaut, sind die oberen Einkommen stark angestiegen, und die Lohnsumme hat sich im Gleichschritt mit dem Bruttoinlandsprodukt entwickelt. Das Problem ist, dass es mit den zunehmenden bürokratischen Leerläufen immer mehr Leute braucht, um das Gleiche zu produzieren. Das ist nicht gut für die AHV.

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Was hat das mit der AHV zu tun?
Für die AHV ist es am besten, wenn wir jede Arbeitsstunde möglichst gut nutzen. Dann kommt am meisten Geld rein, und es gibt auch gute Löhne. Das Ziel muss immer die Steigerung der Produktivität sein. Das Problem sind nicht die Teilzeit arbeitenden Akademiker, sondern die Chefs, die ihren Angestellten Steine in den Weg legen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Beobachter unter dem Titel: «Unsere Chefs halten uns vom Arbeiten ab»