Endlich einmal hat die Klimakrise eine positive Seite: Britische Analysten haben berechnet, dass der globale Temperaturanstieg auf angenehme Weise begrenzt werden kann – indem wir weniger arbeiten. Jede Stunde, die wir früher Feierabend machen, trage zum Schutz des Planeten bei, so die Argumentation des britischen Think Tanks Autonomy.
Schon 1 Prozent weniger Arbeitsstunden könnten den ökologischen Fussabdruck eines Landes 0,8 Prozent verringern, so eine Kalkulation am Beispiel Schwedens. Die entscheidende Fussnote: Die Löhne sollten aber bitte auf aktuellem Niveau bleiben. Warum? Da viele Unternehmen und Arbeitnehmer ihre Produktivität auch bei weniger Arbeitsstunden halten oder sogar steigern könnten.
Der Vorschlag lautet darum: Einführung der Vier-Tages-Woche zum Schutze des Klimas – bei gleichem Einkommen. Der geringere CO2-Fussabdruck sei dabei nur einer von mehreren Vorteilen. Das Freizeitplus nütze auch der geistigen und körperlichen Gesundheit der Angestellten. Und ein weiteres Problem würde gemildert: Wäre die Vier-Tages-Woche Standard, bliebe auch mehr Raum für die unbezahlte Care-Arbeit in der Familie, die vor allem Frauen stemmen und die sie im System der Fünf-Tage-Woche beruflich bremst. Eine Win-Win-Win-Situation also.
Wie Arbeitszeit und Leistung zusammenhängen
Die Autoren entkoppeln hier zum einen Arbeitszeit und Leistung. Lange Arbeitszeiten seien eben nicht die Grundlage für eine hohe Produktivität, wie unter anderem das Beispiel Japan zeige. Dort hat bekanntlich der Tod durch Überarbeitung einen eigenen Namen («karoshi»), weil geschätzt 10’000 Angestellte jährlich aus diesem Grund sterben. Dennoch schwächelt das Wirtschaftswachstum immer wieder.
Mit ihrem Plädoyer folgen die Autoren den Traditionen des Arbeitskampfes: Mit ähnlichen Argumenten kämpften schon die Gewerkschaften Ende des 19. Jahrhunderts für die Umstellung von der Sechs- auf die Fünf-Tage Woche - und hatten recht damit. Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung spielte der technologische Fortschritt: Ökonom John Maynard Keynes beurteilte ihn so optimistisch, dass er 1930 seine berühmte Prognose aufstellte, bis 2030 würden die Menschen nur noch 15 Stunden in der Woche arbeiten. (Bisher hat sich seine These nicht bewahrheitet, aber noch ist ja Zeit.)
Inflationäre Argumentation mit dem CO2-Fussabdruck
Ärgerlich ist allerdings, dass die Autoren ihrem Vorstoss mehr Gewicht geben wollen, indem sie den CO2-Fussabdruck bemühen. Denn hier verwässert der Ansatz.
Es ist richtig, dass gerade Firmen ihre Arbeitsprozesse möglichst klimafreundlich gestalten sollten. Wenn zum Beispiel durch Home Office der Pendelverkehr vermindert werden kann – wunderbar! Tatsache ist aber, dass das Argument des CO2-Fussabdrucks derzeit inflationär verwendet wird – auch dann, wenn ein purer Verzicht einfach keine Option ist. Man denke nur an die Birthstrike-Bewegung, aus Klimaschutzgründen keine Kinder mehr zu bekommen. Denn ein neuer Mensch sei die grösste Klimasünde. Ernsthaft? Es ist fraglich, ob derartige Extreme der Klimadebatte nützen.
Auch in diese Fall trägt das Argument des CO2-Fussabdrucks nicht stichhaltig.
Lesen Sie hier die komplette Studie: «The shorter working week: a radical and pragmatical proposal».
Die Autoren gehen davon aus, dass Arbeitnehmer mit mehr Freizeit sich klimafreundlicher verhalten – sie fahren mit dem Velo statt mit dem Auto, sie kochen mit frischen Zutaten statt Fertiggerichte. Das allerdings sind Vermutungen, deren Nachweis aussteht, und es ist fraglich, ob ein Arbeitstag mehr oder weniger der entscheidende Faktor für derartige Verhaltensänderungen ist. Schliesslich könnten Angestellte mit Vier-Tage-Woche ihre Freizeit auch zu vermehrten Wochenend-Städtetrips im Billigflieger nutzen.
Auch wenn der Gedanke seinen Reiz hat: Wer die Klimakrise ernst nimmt, wartet nicht auf die Einführung der Vier-Tage-Woche, um sein eigenes Verhalten zu überdenken.