Dass in Sachen Management ständig ein neuer Trend ausgerufen wird, ist nichts Neues. Neu ist allerdings, dass die Abstände kürzer und die Inhalte konträrer werden, so wie es jüngst der Fall war. Den Auftakt machte ein bekannter Professor, der «Vulnerability» postulierte: Als Führungskraft müsse man sich verwundbar zeigen, damit Mitarbeitende Vertrauen fassen und folgen.
Sein Beispiel: «Denken Sie daran, als Sie das erste Mal ‹Ich liebe dich!› zu Ihrer Partnerin, Ihrem Partner gesagt haben. Da haben Sie sich verwundbar gezeigt. Nur so konnten Sie die Beziehung vertiefen und auf eine höhere Ebene bringen.» Faszinierend – und soll anscheinend auch für Führungskräfte gelten.
Über die Gastautorin
Katja Unkel ist Gründerin der Firma Managing People AG, die Führungskräfte und Organisationen berät, coacht und trainiert.
Nur drei Tage später beklagte eine bekannte Rednerin fehlende Führungsstärke. Es mangle an Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen. Man müsse auch mal «mit der Hand auf den Tisch hauen und vorwärtsmachen», forderte sie. Es brauche mehr Heldentum statt Gefühlsduselei, sonst sehe es schlecht aus in Sachen Leadership und Mitarbeitendenmotivation. Hier also «Superheldin» statt «Softie». Was stimmt denn nun?
Die optimale Führungskraft ist eine Mischung aus beidem
Beide Ansätze helfen nicht weiter. Es ist tatsächlich so, dass Führungskräfte Menschen sein dürfen und sollen. Sie müssen nicht über eine «Superpower» verfügen oder therapeutische Wirkung erzielen. Sie müssen ihren Job machen. Das bedeutet, dass sie die Führungsaufgaben ernst nehmen. Eine Führungskraft hat für kluge Ziele zu sorgen sowie für Entwicklung und Selbstorganisation. Ferner zählen das Entscheiden, Kontrollieren und Beurteilen mit zu den zentralen Führungsaufgaben. Dafür muss man weder hochgradig einfühlsam noch herausragend heldenhaft sein.
Nimmt man Führung ernst, ist man bereit, Zeit zu investieren, um besser zu werden. Kein Meister ist je vom Himmel gefallen. Management und Leadership sind grösstenteils lernbar – wenn man es will. Zum zuvor genannten Menschsein gehört Authentizität. Echt sein ist angesagt. Wir alle tolerieren die Ecken und Kanten der Vorgesetzten. Das ist kein Problem, solange Führungskräfte Verantwortung übernehmen und mit Respekt und Wertschätzung Menschen begegnen – und zwar unabhängig von deren Leistung.
Elementare Manieren runden professionelles Verhalten ab. Ein Choleriker darf seine Leute nicht anschreien – auch wenn das authentisch wäre. Ebenso muss sich die Ungeduldige zusammenreissen, um nicht permanent ins Wort zu fallen und unnötig zu stressen. Es braucht weder Ich-liebe-dich-Offenbarungen noch James-Bond-Getue, um als Führungskraft eine wirksame Arbeitsatmosphäre zu gestalten. Respektvoll und wertschätzend echt sein und seinen Job gut machen wollen – das bringt alle vorwärts.