Im Grossen und Ganzen macht Blake seine Arbeit als Kundenbetreuer bei einer Versicherungsgesellschaft nichts aus. Aber es gibt eine Aufgabe, die er immer als lästig empfunden hat: die Suche nach den richtigen medizinischen Codes, wenn Kunden anrufen, um einen Antrag zu stellen. Blake wird zum Teil danach beurteilt, wie viel Zeit er für die Telefongespräche aufwendet – je weniger, desto besser. Aber die Codesuche nimmt normalerweise zwei oder drei Minuten eines zwölfminütigen Anrufs in Anspruch.
Dann entdeckte er, dass Bing Chat, der KI-Bot von Microsoft, die Codes in nur wenigen Sekunden finden kann. In einem Callcenter ist ein Produktivitätszuwachs von 25 Prozent oder mehr ein enormer Gewinn. Ein Gewinn, für den ihr, wenn ihr eurem Chef davon erzählt, viel Lob oder vielleicht sogar eine Gehaltserhöhung bekommen würdet. Doch Blake hat seine Entdeckung geheim gehalten. Er hat keiner Menschenseele davon erzählt, nicht einmal seinen Arbeitskollegen. Und selbst nachdem sein Unternehmen eine Richtlinie erlassen hat, die den Mitarbeitern die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) untersagt, nutzt er Bing weiterhin für seine Arbeit.
Bing ist seine Geheimwaffe in einem wettbewerbsintensiven Umfeld – und er hat nicht vor, sie aufzugeben. «Meine durchschnittliche Bearbeitungszeit ist eine der niedrigsten im Unternehmen, weil ich KI nutze, um meine Arbeit hinter ihrem Rücken zu beschleunigen», sagt Blake. Er hat die Redaktion gebeten, seinen richtigen Namen nicht zu verwenden. «Ich werde das auf jeden Fall ausnutzen. Das ist Teil eines grösseren Plans, mein Leben effizienter zu gestalten.»
Seit der Veröffentlichung von Chat GPT im November 2022 haben die Mitarbeiter in US-amerikanischen Unternehmen auf unterschiedliche Weise reagiert. Einige wehrten sich gegen den Einsatz von KI, weil sie um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes besorgt sind. Andere warten darauf, dass ihre Unternehmen sie in der Nutzung der neuen Technologie schulen. Und dann gibt es Mitarbeiter wie Blake: Early Adopters, die im Stillen KI nutzen, um ihre Arbeit schneller und besser zu erledigen. Und zwar auch dann, wenn das bedeutet, gegen die Unternehmensrichtlinien zu verstossen. Nennen wir es Cheat GPT.
KI bietet Nutzern einen versteckten Vorteil
Es ist ein Schachzug, der Mitarbeitern einen versteckten Vorteil gegenüber ihren technikfeindlichen Kollegen verschafft – wenn sie bereit sind, die Regeln zu biegen oder sogar zu brechen.
Diejenigen, die heimlich KI bei der Arbeit einsetzen, scheinen eine Legion zu sein. Experten nennen dies «Schatten-IT». Bereits im Januar, noch bevor konkurrierende Tools wie Bing Chat und Googles Bard auf den Markt kamen, gaben zwei Drittel der vom sozialen Netzwerk Fishbowl befragten Chat-GPT-Nutzer an, dass sie die Technologie heimlich einsetzen. Das sollte nicht überraschen, wenn man bedenkt, wie sehr KI die Produktivität steigern kann.
In einer Studie wurde festgestellt, dass Computerprogrammierer dank KI 56 Prozent schneller programmieren können. Laut einer anderen Studie erledigten Angestellte Schreibaufgaben um 37 Prozent schneller, wenn sie von KI unterstützt wurden. In vielen Fällen erhalten diejenigen, die das neue Werkzeug nutzen, sofort einen Vorsprung bei der Arbeit.
«Aus jahrzehntelanger Innovationsforschung, bei der jeder, vom Klempner über den Bibliothekar bis hin zum Chirurgen, untersucht wurde, wissen wir: Wenn Menschen Zugang zu Allzweckwerkzeugen haben, finden sie Wege, diese zu nutzen, um ihre Arbeit zu erleichtern und zu verbessern.» Das stellte Ethan Mollick, ein Professor für Management an der Wharton School, der sich mit KI beschäftigt, kürzlich fest. Aber bei Technologien wie Chat GPT, merkte er an, erzählen die Mitarbeiter ihren Unternehmen nicht von ihren Entdeckungen. Stattdessen werden sie zu «heimlichen Cyborgs, maschinell verstärkten Menschen, die sich selbst verstecken».
Der Wettlauf der Mitarbeiter um die Nutzung von KI – selbst wenn dies im Geheimen geschieht – ist das Gegenteil von dem, was normalerweise passiert, wenn eine neue Technologie am Arbeitsplatz erscheint. Wenn ein Unternehmen eine neue Software einführt, verbringen die Personal- und IT-Abteilung normalerweise Monate damit, jeden zu ermuntern, sie zu nutzen. Aber die Mitarbeiter fügen sich nur widerwillig. Diesmal beeilen sich die Mitarbeiter, KI zu nutzen, bevor ihre Arbeitgeber dazu bereit sind. Warum die Kehrtwende?
Unternehmen fürchten die Risiken der KI
Es ist sehr im Interesse des Arbeitgebers, produktivere Mitarbeiter zu haben. Aber angesichts der Risiken, die mit KI einhergehen, waren die meisten Unternehmen nicht bereit, ihren Mitarbeitern grünes Licht zu geben. Einige, wie Blakes Versicherungsgesellschaft, befürchten, dass KI-Plattformen Zugang zu sensiblen Kundendaten erhalten könnten, zu deren Schutz die Unternehmen gesetzlich verpflichtet sind. Andere befürchten, dass die Mitarbeiter in ihren Eingaben versehentlich Geschäftsgeheimnisse preisgeben oder sich auf die fehleranfälligen Antworten eines Chatbots verlassen, ohne die Arbeit der Maschine zu überprüfen.
Eine kürzlich vom Marktforschungsunternehmen Gartner durchgeführte Umfrage ergab, dass 14 Prozent der Unternehmen den Einsatz von Chatbots pauschal verboten haben. «Viele Unternehmen versuchen, herauszufinden, was zu tun ist», sagt Eser Rizaoglu, ein Senior Director Analyst bei Gartner. «Ich vergleiche es ein wenig mit Covid, als niemand ein Playbook hatte und alle versuchten, nach und nach Lösungen zu finden.» In der Umfrage von Gartner gaben 35 Prozent der Unternehmen an, dass sie ihre KI-Richtlinien noch nicht fertiggestellt haben. Weitere 18 Prozent gaben an, dass sie nicht vorhaben, überhaupt eine Richtlinie herauszugeben.
Die Verwirrung über KI ist weit verbreitet. Alex Alonso ist Chief Knowledge Officer bei SHRM, einem Fachverband für Personalfachleute. Er sagte: «Die Arbeitgeber rufen uns an. Wir erhalten wahrscheinlich zwischen 30 und 50 Anrufen pro Woche zu diesem Thema. ‹Wie gehe ich mit KI am Arbeitsplatz um?› Und vor allem: ‹Wie gehe ich mit Menschen um, die KI nutzen wollen, obwohl wir keine Richtlinien dafür entwickelt haben?›»
Verbot von KI ist kein Hindernis
Die Arbeitnehmer warten jedoch nicht darauf, dass die Arbeitgeber aufholen. Viele setzen KI gerne ein, um im Job voranzukommen – und um früher Feierabend zu machen. Ein Softwareentwickler, den ich Roberto nenne und der bei einem der grössten Einzelhändler in den USA arbeitet, entdeckte, dass er mit Chat GPT bei bestimmten Programmieraufgaben bis zu 15 Stunden pro Woche einsparen kann. Aber anstatt diese zusätzliche Zeit für mehr Arbeit zu nutzen, lernte er für einen Kurs, den er nebenbei belegt.
«Ich arbeite remote», sagt er. «Sie können nicht feststellen, wann ich arbeite und wann nicht. Ich kann mich per Chat GPT in ein paar Stunden durch eine Aufgabe arbeiten und mir dann den Rest des Tages frei nehmen, ohne dass sie es merken.»
Roberto hat weder seinen Kollegen noch seinem Chef von seiner Nutzung der KI erzählt. Und selbst wenn sein Unternehmen beschliesst, Chat GPT zu verbieten, will er es weiter benutzen. «Wenn man es im Geheimen benutzt, hat man einen Vorteil gegenüber den Menschen, die es nicht benutzen», sagt er. «Warum also darüber reden? Warum es erwähnen? Ich will keine Unruhe stiften.»
Remote-Arbeit erleichtert die heimliche Nutzung von KI
Andere sind über KI als eine Art heimlichen Mentor gestolpert. Luke, ein Software-Ingenieur, der neu in seinem Beruf ist, hat eine Kollegin, an die er sich oft wendet, wenn er Fragen hat. Vor ein paar Monaten blieb er bei einem Problem stecken, als die Kollegin gerade nicht verfügbar war. In seiner Panik bat er Chat GPT um Hilfe – et voilà. «Es gab mir dieses wunderschöne Codegerüst», sagt er. «Ich dachte: Wow, das macht so viel Sinn. Jetzt muss ich nur noch die Lücken ausfüllen».
Luke weiss nicht, ob sein Arbeitgeber damit einverstanden ist, dass er Chat GPT nutzt, da es keine offizielle Richtlinie gibt. Aber er will auch gar nicht erst fragen. Er konsultiert den Bot weiterhin nebenbei und spart sich so manchmal einen ganzen Tag Arbeit. Und weil er mehr schafft, ist er bei den wöchentlichen Statusbesprechungen mit seinem Chef, der nicht weiss, was hinter seiner neuen Produktivität steckt, weniger nervös.
Vor ein paar Wochen beschloss Luke, mit seiner Kollegin ins Reine zu kommen. Er war nervös deswegen. «Ich war mir nicht sicher, was sie sagen würde», erinnert er sich. «Aber als ich es ihr sagte, meinte sie: ‹Oh, das ist ja lustig›, und gab zu, dass sie es auch benutzt. Ich glaube, das Unausgesprochene ist, dass jeder es benutzt.»
Die geheime Nutzung von KI wird durch remote work wesentlich erleichtert. «Ich habe keine Angst, erwischt zu werden», sagt Blake, der seinen privaten Computer für den Zugang zu Bing Chat nutzt. «Es gibt keine Möglichkeit, dass sie es herausfinden. Ich habe so viel Privatsphäre, wenn ich von zu Hause aus arbeite.» Selbst im Büro brauchen die Mitarbeiter nur Chat GPT oder Bing auf ihrem Handy aufzurufen – so wie sie auch Facebook oder Twitter checken, wenn ihre Unternehmen den Zugang zu Social-Media-Seiten sperren. Arbeitgeber können KI verbieten, so viel sie wollen, aber sie können sie nicht aufhalten.
KI könnte gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Mitarbeiter schaffen
Wenn ihr jemand seid, der keine KI bei der Arbeit einsetzt, werdet ihr das vielleicht als ungerecht empfinden. Aber genau das ist die Realität an vielen Arbeitsplätzen im Moment. Das Versäumnis der Unternehmen, sich auf das plötzliche Auftauchen von Tools wie Chat GPT einzustellen, führt zu einer Art von KI-Ungleichheit.
Diejenigen, die sie nutzen, haben einen quantifizierbaren Vorteil gegenüber denen, die sie scheuen. Sie sind in der Lage, mehr und bessere Arbeit zu leisten und können sich so für Gehaltserhöhungen und Beförderungen qualifizieren, die vielleicht anderen zugestanden hätten. Oder sie kommen mit weniger Arbeit davon, während sich alle anderen abrackern müssen. Indem sie es versäumen, klare Richtlinien für KI zu erstellen, stärken die Unternehmen die heimlichen Nutzer auf Kosten aller anderen.
«Nehmen wir an, GPT wäre gut genug, um euch als Autor zu ersetzen», sagte mir der Wharton-Professor Mollick vor ein paar Monaten. «Es wird lange dauern, bis Business Insider und seine Muttergesellschaften herausfinden, wie sie sich das sinnvoll zunutze machen können. Jetzt ist es also an der Zeit, dass ihr als Programmierer, als Autor, insgeheim zehnmal so viel Arbeit leistet wie alle anderen – weil euer Unternehmen nicht aufgeholt hat.»
Das muss nicht so sein. Durch den Einsatz von KI können Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Mitarbeiter schaffen. Ausserdem können sie die Produktivitätsvorteile, die von den heimlichen KI-Nutzern entdeckt werden, auf ganze Teams und Abteilungen ausweiten. Doch dazu müssen die Chefs ihre heimlichen KI-Nutzer dazu bringen, nicht mehr so geheimnisvoll zu sein.
Das bedeutet, dass sie sich kreative Wege einfallen lassen müssen, um Anreize und Belohnungen für Mitarbeiter zu schaffen, die gute Anwendungsfälle für Chatbots finden. «Denkt an Geldpreise, die ein Jahresgehalt abdecken», schlägt Mollick vor. «Beförderungen. Eckbüros. Die Möglichkeit, für immer von zu Hause aus zu arbeiten. Angesichts der potenziellen Produktivitätssteigerungen, die durch umfangreiche Sprachmodelle möglich sind, sind das kleine Preise für eine wirklich bahnbrechende Innovation.»
KI verschafft auch Vorteile für zukünftige Jobs
Es macht keinen Sinn für Unternehmen, eine Technologie zu meiden, die viele Mitarbeiter gerne nutzen – und die sie effizienter und produktiver macht. Schon bald werden kluge Arbeitgeber die Nutzung von GPTs nicht mehr verbieten, sondern sie feiern. In gewissem Sinne verschaffen sich Mitarbeiter wie Blake, Luke und Roberto nicht nur einen Vorteil an ihrem derzeitigen Arbeitsplatz. Sie verschaffen sich auch einen Vorsprung in ihrem Lebenslauf für zukünftige Jobs. Irgendwann werden selbst die KI-scheuesten Unternehmen herausfinden, wie sie ihre Mitarbeiter Tools wie Chat GPT nutzen lassen können. Und dann werden sie aktiv nach Mitarbeitern suchen, die über KI-Kenntnisse verfügen.
«Sobald sich die Unternehmen sicher fühlen, werden sie Menschen suchen, die darin geschult sind», sagt Roberto. «Auf Linkedin wird dann zu lesen sein: ‹Bewerber müssen Erfahrung mit Prompt-Engineering haben.›» Früher oder später wird der Einsatz von Chatbots bei der Arbeit nicht mehr heissen: KI und lügen. Es wird heissen: KI oder sterben.
Dies ist eine maschinelle Übersetzung eines Artikels vom US-Portal von «Business Insider». Er wurde automatisiert übersetzt und von der «Handelszeitung»-Redaktion überprüft. Der Artikel erschien zuerst unter dem Titel: «CheatGPT – The hidden wave of employees using AI on the sly».