Herr Baretzki, Sie sind seit sechs Jahren CEO von Montblanc. Was hat sich seither hinsichtlich der Uhrmacherei bei Montblanc am meistens verändert?
Die stärkste Veränderung ist sicher, dass wir die Zahl der verschiedenen Uhrenmodelle und die Zahl der Neuheiten stark reduziert haben – je um mehr als die Hälfte.
Warum?
Um sich auf eine starke Botschaft konzentrieren zu können. Sie soll im Geist von Montblanc stehen. Und dafür stellen wir als Thema die Welt der Berge und Gletscher in den Vordergrund. Wichtig ist mir hier ein langfristiges Denken. Die Leute wollen nicht ein neues Produkt im Jahr 2023 sehen – und dann wiederum etwas komplett anderes im folgenden Jahr. Man muss mit höchster Expertise bei einem Thema bleiben und sich damit maximal unterscheiden.
Schnee, Berge, Gletscher. Scheint uns ein bisschen eng als Thema.
Überhaupt nicht, denn es geht weit darüber hinaus. In Tat und Wahrheit konzentrieren wir uns damit auf die Bereiche Outdoor und Natur – darum geht es. Es gibt nicht viele Leute, die davon träumen, den Mount Everest zu besteigen. Hingegen möchten viele einen schönen Spaziergang in den Bergen machen. Das ist sehr wohl ein vielversprechendes Universum. Und auch stark nachgefragt. Das zeigt etwa der Erfolg der Netflix-Serie mit Extrembergsteiger und Montblanc-Botschafter Nimsdai Purja – einfach unglaublich. Es geht um Expeditionen, Heldentaten, und das bringt viele Leute zum Träumen.
Sie materialisieren dies im Iced-Sea-Zifferblatt, welches an Gletschereis erinnern soll. Es wird zunehmend eingesetzt und scheint für die Marke das ganz grosse Thema zu sein.
Richtig. Das ist eine starke Achse in den Montblanc-Kollektionen. Es mag zwar nur ein ästhetisches Element sein, aber dahinter steckt mit der Gratté-boisé-Technik auch ein uraltes Verfahren. Man kann es überall einsetzen, und so steht auch unsere neue Zero-Oxygen-Uhr, in deren Werk es keinen Sauerstoff mehr gibt, ganz in dieser Logik.
Sie haben oft gesagt, dass es wichtig sei, ein Hero-Produkt im Katalog zu haben. Was ist das Hero-Produkt bei Montblanc?
Da muss man zunächst unterschieden. Es gibt ikonische Produkte, und es gibt die Hero-Produkte.
Wo liegt der Unterschied?
Ein Hero-Produkt kann zur Ikone werden, aber das entscheidet allein der Kunde. Für mich ist das ikonische Produkt par excellence unsere Meisterstück-Füllfeder. Die Kunden lieben sie, kaufen sie und haben sie so im Laufe der Jahrzehnte zur Ikone gemacht. Was ein Hero-Produkt ist, bestimmt hingegen die Marke, indem sie entscheidet, klar auf dieses Stück zu fokussieren. Wenn nun ein Kunde in die Montblanc-Boutique kommt und sagt: «Ich möchte die Iced Sea sehen», dann haben wir unsere Arbeit gut gemacht. Das Hero-Produkt ist Teil der Strategie eines Hauses, es ist klar ein Top-down-Approach. Die Ikone hingegen ist ein Bottom-up-Prozess.
Bis vor Kurzem war die Geosphère ihr Hero-Produkt, jetzt ist es die Iced Sea. Löst der Wechsel bei den Kunden nicht Irritationen aus?
Es ist keinen Wechsel, Sie können ohne weiteres zwei oder drei Hero-Produkte nebeneinander haben. Entscheidend ist der Kontext, etwa die Frage, ob wir uns im Segment Taucheruhr mit Automatikwerk bewegen, preislich zwischen 2000 und 3000 Euro, im Segment mit mehr uhrmacherischem Inhalt, also zwischen 6000 und 8000 Euro, oder im Segment der Haute Horlogerie für über 30’000 Euro. Man kann ein Hero-Produkt in jedem dieser Segmente haben. Im obersten Segment wären das bei uns die Stücke aus der Minerva-Manufaktur.
Wobei der Bestseller derzeit die Iced Sea ist?
Ja, das kann ich bestätigen.
Mit einem Anteil von über zehn Prozent, haben Sie einmal gesagt.
Klar, sonst wäre es kein Bestseller.
Wie viel darüber?
Ich nenne keine Zahlen. Interessant ist aber, wie die Uhr auch die Veränderungen in der Welt der Uhrmacherei abbildet. Vor vier bis fünf Jahren hätte es ein solches Produkt in China schwer gehabt. Dafür ist es zu sportlich und hätte nicht den Vorstellungen der chinesischen Klientel entsprochen. Heute, und darum ist sie ein Bestseller geworden, funktioniert die Iced Sea weltweit in allen Märkten gleichermassen, im Osten wie im Westen.
Zurück zu Minerva, Ihrer Manufaktur für Haute Horlogerie. Sie reden gerne darüber, benützen die Geschichte, das Savoir-faire, die Tradition, aber der Name taucht auf den Zifferblättern nie auf. Bleibt dies auch in Zukunft ausgeschlossen?
Komplett ausgeschlossen. Das ginge in die verkehrte Richtung. Wir haben Jahre gebraucht, um die Logik um Minerva aufzubauen. Minerva ist keine Kollektion, der Name steht für uhrmacherische Expertise. Kunden, die diese Stücke kaufen, kaufen sie, weil sie Minerva kennen und weil sie die Qualität des Werks würdigen. Aber sie kaufen damit vor allem eine Uhr von Montblanc. Es gibt keinen Grund, da etwas zu ändern. Minerva ist keine neue Marke.
Es hätte eine Art Untermarke sein können.
Das wäre nicht der richtige Ansatz. Die Kraft von Montblanc reicht heute aus, um in das Universum von Minerva einzutauchen und es wertzuschätzen. Es gibt genügend Hinweise auf der Uhr und in ihrem Werk, man muss nicht noch extra «Minerva» dazuschreiben. Das wäre im Gegenteil ein Zeichen der Schwäche. Hingegen stellt sich die Frage, was die Elemente der Unterscheidbarkeit sind. Und da arbeite ich lieber an einer kannelierten Lünette, die ein distinktives Element darstellt und künftig ein Merkmal für das Minerva-Universum sein wird. Aber das Logo auf dem Zifferblatt? Nie!
Wie halten Sie es eigentlich mit dem Management der Knappheit? Sie hatten viel zu wenig Uhren mit grünem Iced-Sea-Zifferblatt – gewollt?
Es gibt Knappheit, die gewollt ist. Und es gibt Knappheit, die erlitten wird. Wir bewegen uns in der Luxuswelt in einer exklusiven Domäne, Seltenheit gehört dazu. Wenn Sie ein bestimmtes Modell an jeder Ecke sehen, kann das nicht die gleiche Begehrlichkeit auslösen, wie wenn man sehr wohl realisiert, dass ein Modell nicht überproduziert und überverkauft wird. Aber klar, es gibt die seltenen Stücke, und es gibt Frustrationen. Das müssen wir auf eine intelligente Art managen. Und beim grünen Zifferblatt, das stimmt durchaus, haben wir die Nachfrage total unterschätzt.
Alles redet von Certified-Pre-Owned-Uhren. Sie nicht. Warum?
Es ist intern ein Thema. Aber es gibt derzeit bei Montblanc Wichtigeres zu tun, bevor dieses Thema zur Priorität erhoben wird.
Zum Beispiel in der Distribution? Haben Sie die Zahl der Verkaufspunkte auch reduziert?
Ja, wir haben reduziert. Am Ende wollen wir die beste Experience bieten können. Wir haben mit unseren eigenen Boutiquen sowie den Franchisepartnern heute 600 Verkaufspunkte. Wenn das Distributionsnetz zu gross ist, habe ich erstens nicht die Kapazität, alle zu beliefern. Und ich kann zweitens auch nicht das gleiche Niveau der Expertise garantieren.
Also nur noch Geschäfte an noblen Adressen, Bahnhofstrasse, Place Vendôme, Fifth Avenue.
Auf keinen Fall. Die Nähe zum Endkunden war uns schon immer sehr wichtig. In Frankreich zum Beispiel sind wir mit Boutiquen in 17 Städten präsent. Es gibt nicht viele Luxusmarken, die da gleichziehen könnten. Aber wir haben auch darauf geachtet, dass wir in der Regel in jeder Stadt nicht mehr als zwei Akteure haben.
Und wie haben Sie es mit Produkten, die ausschliesslich in Montblanc-Boutiquen erhältlich sind?
Natürlich ist es gut, für die eigenen Boutiquen ein paar exklusive Produkte zu haben. Aber wir arbeiten sehr eng mit allen unseren Partnern. Und ich würde mich schwertun zu sagen, das erhalten sie nicht, das nicht und das auch nicht. Man muss das Spiel gemeinsam spielen, das ist das Prinzip einer Partnerschaft.
Sie haben einmal gesagt, Sie möchten stets über dem Durchschnitt der Branche performen. Haben Sie das letztes Jahr geschafft?
Wachstum ist immer relativ. Wenn der Markt minus fünf Prozent performt und Sie bei null liegen, ist das ein zum Beispiel ein gutes Ergebnis. Wir nennen keine Zahlen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass wir mit dem Ergebnis vom letzten Jahr sehr zufrieden waren.
Dieser Artikel erschien zuerst bei «Watch Around».