Bei Steiners gibt es heute Poulet Sauce Orange. Den Namen für dieses Gericht hat sich die achtjährige Malou ausgedacht. Sie sitzt mit ihren Eltern am Küchentisch und plaudert über den Tag, als ein plötzliches «Ping» die Unterhaltung unterbricht. Mutter Sarah greift nach ihrem Laptop: «Wartet kurz, ich beantworte nur schnell diese Mail», sagt die Unternehmerin. Malou verdreht die Augen: «Das kannst du echt später machen!» Sarah Steiner fühlt sich ertappt, nickt ihrer Tochter zu und versorgt den Rechner.
Zwei Stunden später liegt Malou im Bett. Es wurde gespielt, Zähne geputzt und vorgelesen. Alle sind zufrieden. Sarah Steiner löscht das Licht im Kinderzimmer. Jetzt hat sie Zeit, in Ruhe ihre Mails zu beantworten.
Karrierekiller Kind
So wie Sarah Steiner, CEO und Mitgründerin von Tadah, versuchen viele Frauen in der Schweiz ihr eigenes Modell für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu finden. Eine Karriere mit Kind ist möglich – für Väter und Mütter. Einfach ist es nicht, geschenkt wird den berufstätigen Eltern nichts, und der Spagat tut oft weh. Es gibt aber Erfolgsgeschichten, die Mut machen und Vorbilder für junge Eltern sind.
Jede siebte Frau in der Schweiz kehrt nach dem Mutterschaftsurlaub nicht an ihren Arbeitsplatz zurück. Dass so viele Mütter aufhören zu arbeiten, liegt auch an den Herausforderungen, die sie bei ihrer Rückkehr erwarten: wie zum Beispiel Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Work-Life-Balance, viele erhalten weniger Verantwortung, oder die eigene Stelle wurde mit einer anderen Person besetzt, hinzu kommt der Verlust von Förderern und Mentoren – so die Ergebnisse einer Umfrage des Wirtschaftsverbands Advance und McKinsey & Company unter 600 berufstätigen Frauen in der Schweiz.
Für Friederike Hoffmann war es nie eine Option, nicht zu arbeiten. In ihrem privaten Umfeld waren Frauen immer berufstätig. Also kehrte sie nach zwei Schwangerschaften nach jeweils 14 Wochen mit einem Vollzeitpensum zurück zur Swisscom. Dort leitet sie den Bereich Connected Business Solutions mit fast 500 Mitarbeitenden und ist Mitglied der Bereichsleitung von Swisscom Business Customers. Bei der ersten Schwangerschaft waren viele in ihrem beruflichen Umfeld überrascht von ihrer raschen Rückkehr und reagierten mit Kommentaren wie: «Als Karrierefrau kommst du natürlich sofort zurück.» Bei der zweiten Schwangerschaft war es schon normaler geworden, eine Mutter in einer Führungsposition zu sehen – was zeigt, wie wichtig Vorbilder wie Hoffmann sind.
«Mütter in Führungsposition sollten etwas ganz Normales sein», sagt die Berlinerin. Sie selbst ist in beiden Rollen glücklich und findet, dass diese Doppelrolle auch für Arbeitgeber eine Bereicherung ist. Ganz bewusst spricht sie daher bei Teammeetings und im Management Board über ihre Familie. Das zeigt Wirkung. Viele Frauen bewerben sich für ihren Geschäftsbereich. Einige von ihnen werden auch schwanger.
Hoffmann freut sich darüber und setzt gerne Zeichen: So befördert sie auch Frauen, die gerade in die Babypause gehen. «Natürlich gehe ich das Risiko ein, dass sie nicht zurückkommen. Das ist o.k. Vielleicht wollen auch Männer nach einem Vaterschaftsurlaub nicht mehr 100 Prozent arbeiten», erklärt Hoffmann.
Während der beiden Babypausen war Hoffmann immer lose in ihre Arbeit eingebunden und hatte schon vor ihrer Rückkehr wieder einige Themen übernommen. Das wurde nicht von ihr erwartet, doch es fühlte sich für sie richtig an. Rückblickend würde sie sich aber weniger Druck machen. «Ich hatte befürchtet, Chancen und Entwicklungen zu verpassen und habe deswegen sehr viel gearbeitet», erinnert sich die 41-Jährige. Werdenden Müttern empfiehlt sie daher, gelassen zu bleiben.
Trotzdem sei es wichtig, sich vor der Babypause gut mit dem Team und den Vorgesetzten abzusprechen, Erwartungen und Bedürfnisse zu kommunizieren. «Ausserdem müssen Arbeitgeber Eltern mehr Flexibilität anbieten. Dann werden auch mehr Frauen gerne zur Arbeit zurückkehren», sagt Hoffmann. Sie selbst hat bei Frauen-Netzwerken Unterstützung gefunden: zum einen bei Advance und auch innerhalb der Swisscom, wo sie die «WoMen’s Empowerment Community» unterstützt. Dort haben Frauen ein Netzwerk für einen regelmässigen Austausch sowie für Mentoringprogramme aufgebaut.
Baustelle Betreuung
Eine der grössten Herausforderungen für berufstätige Eltern ist nach wie vor die Betreuung von Kleinkindern «Hier könnten Unternehmen Mütter und Väter noch viel mehr unterstützen», fordert Hoffmann. Wie das geht, zeigt die Swiss Re, die im vergangenen Jahr am Hauptsitz am Mythenquai zusammen mit dem Start-up Tadah das «Swiss Re Kids House», eine flexible Kinderbetreuung für Mitarbeitende, eingerichtet hat. «Solche Initiativen sind sehr wichtig, denn die Nanny wird ja immer genau an dem Tag krank, an dem man eine Präsentation vor dem Verwaltungsrat hat», lacht Hoffmann.
80 Prozent der Frauen in der Schweiz sind erwerbstätig, davon aber fast 60 Prozent mit Teilzeitpensen – demgegenüber arbeiten nur rund 18 Prozent der Männer weniger als 100 Prozent. Einer davon ist Pirmin Meyer, Verantwortlicher Public Affairs Zurich Schweiz. Als seine Partnerin ihm vor elf Jahren sagte, dass sie Eltern würden, war für ihn sofort klar, dass er nicht mehr Vollzeit arbeiten, sondern Zeit mit seinem Kind verbringen möchte. Meyer war damals als Jurist in der Schadensabteilung der Zurich Schweiz beschäftigt. Seine Anfrage, das Pensum auf 80 Prozent zu reduzieren, stiess erst auf einige Widerstände. Immerhin war er der erste Mann in einer Abteilung von 1000 Mitarbeitenden, der einen solchen Wunsch äusserte.
Hat diese Entscheidung seiner Karriere geschadet? «Ich hatte vielleicht schon eine Durststrecke von ein paar Jahren, während deren ich mich für eine Führungsposition bereit fühlte und nicht befördert wurde. Aber ich habe nicht die Geduld verloren», erinnert sich Meyer. Vor acht Jahren dann übernahm er die spannende, neu geschaffene Stelle als Verantwortlicher Public Affairs.
«Mein Pensum war kein Hindernis für diesen Karriereschritt. Das sollte auch andere Väter und Mütter ermutigen, es einfach zu riskieren», rät Meyer, der neben seiner Stelle bei Zurich Schweiz Co-Präsident von WE/MEN ist, einer Initiative für mehr Gleichberechtigung. Meyer versteht nicht, warum so viele Männer nach der Geburt ihrer Kinder weiterleben, als wäre nichts passiert, und warum sie sich nicht aktiv für mehr Elternzeit oder flexiblere Arbeitsmodelle einsetzen. «Männer und Frauen kommen nur gemeinsam weiter und müssen sich von traditionellen Rollenzuteilungen emanzipieren», beklagt er.
80 Prozent der Frauen nehmen gerne eine Auszeit von der Arbeit und sind der Ansicht, dass sich dies positiv auf ihre Familien auswirkt – eine weitere Erkenntnis aus der Umfrage von Advance und McKinsey. Gleichzeitig sind mehr als 50 Prozent der Befragten der Meinung, dass sich Unterbrechungen negativ auf ihre berufliche Laufbahn auswirken und ihre Verdienstmöglichkeiten schmälern. «Babypausen fallen in das Alter zwischen dreissig und vierzig. Genau in dieser Phase werden für die Karriere wichtige Weichen gestellt, denn die Mehrheit aller Beförderungen findet in dieser Altersgruppe statt», sagt Alkistis Petropaki, Geschäftsführerin von Advance. In dieser Phase bleiben Mütter dann oft zurück, weil sie nicht Vollzeit oder gar nicht arbeiten. «Nach einem Jahr haben viele den Einstieg – zwar mit Schwierigkeiten – wieder gefunden», sagt Petropaki, die selbst zwei Kinder hat, «längere Pausen sind eher problematisch.»
Für Mütter und Väter, denen der Wiedereinstieg nach einer langen Pause nicht gelingt, gibt es verschiedene Programme und Initiativen, die bei der Rückkehr in den Job unterstützen. Eine davon, «CRN –Companies & Returnships Network», hat Evelin Bermudez von der Hochschule Luzern ins Leben gerufen. «Nach einer langen Auszeit fehlen Frauen oft nicht nur die Hard Skills, sondern auch das Selbstbewusstsein», sagt Bermudez. Sie findet es ärgerlich, dass Karrierelücken und nichtlineare Lebensläufe immer noch negativ wahrgenommen werden. So würden Unternehmen viele talentierte und motivierte Arbeitskräfte übersehen.
Müttern und Vätern, die für mehr als 18 Monate zu Hause bei der Familie bleiben, rät Bermudez, die viele Jahre für die Vereinten Nationen und die Weltbank gearbeitet hat, sich auch in dieser Zeit ständig weiterzubilden: «Onlinekurse wie Udemy oder Coursera sind heute sehr anerkannt. Aber auch bei strategischer Freiwilligenarbeit für gemeinnützige Organisationen kann man viel lernen, selbst wenn es nur wenige Stunden pro Woche sind.»
Die Perfektionismusfalle
Wie man als zweifache Mutter sogar in der für lange Arbeitstage bekannten Beratungsbranche eine steile Karriere macht, hat Anna Mattsson bewiesen. Sie wurde während ihrer zweiten Schwangerschaft sogar zur Partnerin ernannt. «Ich hatte befürchtet, dass es mit der Wahl zur Partnerin wegen der Schwangerschaft zu diesem Zeitpunkt nichts wird», erinnert sich Mattsson. Doch abgesehen von kleinen terminlichen Anpassungen im Prozess wurde an der Nominierung des Wahlgremiums festgehalten.
Mattsson ist davon überzeugt, dass es wichtig ist, auch während der Babypause den Kontakt zum Arbeitgeber zu pflegen. «Ich habe bei beiden Schwangerschaften regelmässig mit meinen Kollegen gesprochen – vielleicht nicht immer übers Geschäft, aber ich wusste immer, was passiert», sagt sie. Zudem habe sie für ihre Rückkehr jeweils eine gewisse Vorlaufzeit eingeplant: Mit allen zu sprechen, sich über neue Themen und interessante Projekte auszutauschen, habe ihr Lust darauf gemacht, zurückzukommen. Die Elternzeit sollte ihrer Ansicht nach unbedingt dafür genutzt werden, sich zu organisieren. «Eine Nanny oder Krippe zu finden, die Eingewöhnung zu machen, das alles sollte nicht mit den ersten Tagen bei der Arbeit zusammenfallen», empfiehlt sie.
Heute teilt sich Mattsson die Betreuung der Kinder, die inzwischen neun und zwölf Jahre alt sind, 50-50 mit dem Vater. Neben der Mithilfe ihrer Mutter kann sie sich auf ein Netzwerk aus Freunden und Familie verlassen, die sie bei Engpässen um Hilfe fragen kann. Darüber hinaus setzt sie auf das Verständnis ihres Arbeitgebers: «Ich arbeite zwar sehr viel, aber ich habe auch viel Freiheit», sagt die Expertin für Fusionen und Übernahmen.
Berufstätigen Müttern rät sie, «einfach etwas netter zu sich selbst zu sein». Vor dem ersten Geburtstag ihrer Tochter hatte sie am Abend lange für ein intensives Projekt gearbeitet. Am nächsten Tag sollte der Kindergeburtstag stattfinden. Mattsson wollte dafür Cupcakes backen. Sie war bis zwei Uhr nachts damit beschäftigt, die Küchlein in Rosa und Hellblau zu dekorieren. «Am nächsten Tag bei der Party war ich natürlich völlig geschafft. Rückblickend muss ich zugeben, dass meiner Tochter die Cupcakes völlig egal waren», lacht Mattsson. Eine perfekte Mutter und eine perfekte Mitarbeiterin zu sein, wäre nicht möglich – da müsse man Abstriche machen und auch mal einen Kuchen kaufen, statt ihn selbst zu backen.
Sarah Steiner kennt diese Konflikte. Sie hat als Mutter eines Kleinkinds ein Start-up gegründet. 2019 eröffnete sie in Albisrieden mit drei Mitstreiterinnen den ersten Co-Working-Space mit Kinderbetreuung und bietet damit genau die Flexibilität, die berufstätige Eltern so dringend benötigen. Geklappt hat die Firmengründung auch deswegen so gut, weil sie und ihr Partner sich immer klar absprechen und alle Aufgaben fair teilen. Jeden Sonntagabend wird «deine Woche, meine Woche» geplant. Für Steiner ist es ganz entscheidend, dass man einen Partner mit dem gleichen Mindset bezüglich Kindererziehung, Karriere und Erfolg hat. Daher Steiners Rat: «Augen auf bei der Partnerwahl!»
Vorbilder gesucht!
In der Schweiz machen immer noch vor allem Männer Karriere, während sehr gut ausgebildete und talentierte Frauen zu Hause bleiben. Für den hiesigen Wirtschaftsstandort ist das eine verpasste Chance. Hätten Frauen hierzulande eine ähnliche Beschäftigungsquote wie in Schweden, würde sich das Bruttoinlandprodukt um mehr als 34 Milliarden Franken pro Jahr erhöhen. Die Liste der Verbesserungsmöglichkeiten ist lang: flexible Arbeitsmodelle, längere Elternzeit für Mütter und Väter, gute und bezahlbare Betreuung für Kleinkinder und Ganztagesschulen sind nur ein Teil davon. Doch vor allem sind auch Vorbilder wie Hoffmann, Meyer, Mattsson und Steiner nötig, um jungen Eltern Mut zu machen und aufzuzeigen, wie Kinder und Karriere unter einen Hut passen. «Ich hoffe sehr, dass ich für meine Tochter ein Vorbild bin, dass sie sieht, wie man Arbeit und Familie vereinbaren und seine Passion zum Beruf machen kann», sagt Sarah Steiner.