Sie sind vor gut zwei Jahren von der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie zur Assekuranz gestossen. Ich stelle mir vor, dass dies in Sachen Diversity ein Quantensprung gewesen ist …
Auch die MEM-Industrie unternimmt viel, um Diversität zu fördern. Aber allein aufgrund der Tatsache, dass in der Versicherungswirtschaft deutlich mehr Frauen arbeiten, ist das Bewusstsein für Diversität stark gegeben. Ich war aber tatsächlich beeindruckt, wie viel die Versicherungsgesellschaften bereits machen, und es ist toll, dass wir als Verband generell bei der Wichtigkeit dieses Themas die Unternehmen unterstützen können.
Wie definiert der Schweizerische Versicherungsverband SVV eigentlich das Wort Diversität?
Wir fassen den Begriff sehr breit. Diversität ist für uns nicht nur eine Frage von Alter und Geschlecht, sondern geht auch in die Bereiche Aus- und Weiterbildung sowie Skills und Kompetenzen hinein und umfasst die kulturelle Diversität genauso wie Personen mit Beeinträchtigungen.
Ist das breite Verständnis von Vielfalt schon lange verankert oder erst in jüngster Zeit aufgekommen?
Das Bewusstsein dafür war schon lange vorhanden, hat aber in den vergangenen Jahren ein noch stärkeres Gewicht erhalten. Die Branche hat erkannt, dass es für den wirtschaftlichen Erfolg und die Branchenattraktivität enorm wichtig ist, Diversität in der Breite zu leben. Denn auch die Kundschaft und die Geschäftsmodelle sind äusserst vielfältig.
Und welche Rolle spielt dabei der Diversity-Benchmark-Bericht, den der SVV zusammen mit der Universität St. Gallen dieses Jahr zum dritten Mal publiziert hat?
Als Verband sehen wir uns unter anderem auch als Plattform und Drehscheibe von Informationen. Wir möchten unseren Mitgliedern auf unterschiedliche Art und Weise Möglichkeiten zum Austausch bieten. Sei das in Form von Erfahrungsaustausch in unseren Milizgremien, bei Anlässen oder eben auch mit Studien und Benchmarks. Insofern dient die Benchmark nicht nur dazu, zu wissen, wo wir als Branche stehen, sondern wir sehen sie für unsere Mitglieder auch als Vergleichs- und Gesprächsmöglichkeit.
Apropos Vergleich: Wo steht die Assekuranz beim Thema Diversität im Vergleich zu anderen Branchen?
Grundsätzlich stehen wir sehr gut da und können stolz sein auf uns. Unsere Mitglieder machen sehr viel im Bereich Diversität. Aber es ist klar: Auch unsere Branche kann noch mehr für die Vielfalt tun.
Woran denken Sie?
Beispielsweise an die Altersdiversität: Eine gute Altersdurchmischung fordert Massnahmen auf verschiedenen Ebenen. Einerseits setzen wir uns dafür ein, dass gerade auch ältere Mitarbeitende ihre Kompetenzen ausbauen und ihre Arbeitsmarktfähigkeit erhalten können. Gleichzeitig müssen wir darum besorgt sein, dass wir genügend junge Menschen für eine Ausbildung und eine Laufbahn in unserer Branche begeistern können. Und apropos Laufbahn: Ab Direktionsstufe ist die Zahl der Frauen nach wie vor sehr dünn. Sobald es die Karriereleiter hinaufgeht, verlieren wir relativ viele Frauen. Auch hier sehen wir ein klares Handlungspotenzial.
Die Benchmark hat ergeben, dass die Branche nicht nur Frauen, sondern generell jüngere Mitarbeitende wieder verliert. Wie deuten Sie das?
Ja, das zeigt der Benchmarking Report, allerdings lässt sich die Antwort auf das Warum nicht an einem Faktor festmachen. Ein Grund ist bestimmt, dass junge Menschen grundsätzlich gerne weiterziehen. Ein zweiter Faktor ist aber auch die Tatsache, dass unsere Berufe sehr vielfältig sind und sich daraus eine gute Anschlussfähigkeit zu anderen Branchen ergibt.
Und drittens ist in den Jahren zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreissig die Familienplanung sehr wichtig und der Entscheid, eine Familie zu gründen, führt vor allem bei jüngeren Frauen leider noch immer zu einem Rückzug aus dem Erwerbsleben. Daher planen wir zusammen mit Gudrun Sander von der Universität St. Gallen mit dem Women Insurance Networking Day einen Netzwerk-Anlass, an dem wir aufzeigen, was es braucht, damit die Frauen in der Assekuranz bleiben und sich in dieser auch weiterentwickeln können.
Gehört denn das Thema Familiengründung nicht auch in den Bereich der Diversität – und müsste man dieses als Arbeitgeber ganz natürlich in die Karriereplanung aufnehmen?
Ja, das Thema gehört ganz klar in den Bereich der Diversität. Ich möchte aber auch betonen, dass hier viele Versicherer bereits Hand bieten mit sehr attraktiven Arbeitsbedingungen. So gehören Top-Sharing, Job-Sharing, flexible Arbeitszeiten und -orte vielerorts genauso zum Standard wie Elternzeit oder die Möglichkeit für Väter, ihr Pensum zu reduzieren.
Allerdings reicht es nicht, einfach attraktive Modelle auf die Beine zu stellen. Es braucht einen Kulturwandel und die Führungskräfte müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln. Auch hier möchten wir unsere Mitglieder künftig stärker unterstützen.
Sie haben die Generationenvielfalt erwähnt. Was macht der SVV im Bereich der Altersdiversität, gerade auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel?
Für uns gehört diese ganz klar zu den zentralen Themen. Aktuell sind wir daran, ein Selbstanalyse-Tool zu entwickeln, mit dem man einerseits eruieren kann, wo man in Sachen Kompetenzen steht und was man tun könnte, um sich weiterzuentwickeln. Das Tool richtet sich explizit auch an die älteren Mitarbeitenden, denn wir möchten zeigen, dass das lebenslange Lernen nicht einfach ab einem gewissen Alter aufhört.
Aktuell hat unsere Branche aber eine gute Altersdurchmischung, das sehen wir in der Personalstatistik, die wir jährlich erheben. Zurzeit dominiert keine Altersgruppe, aber wir behalten das genau im Auge und ich kann mir durchaus vorstellen, bei Bedarf auch Vernetzungsanlässe für die verschiedenen Generationen auf die Beine zu stellen.