Digitale Transformation verändert Finanz- und Versicherungsdienstleistungen grundlegend. Welche drei technologischen Trends sehen Sie aktuell als die bedeutendsten Treiber für Veränderungen in diesen Branchen?
Die drei bedeutendsten digitalen Treiber für Veränderungen in diesen Branchen sind derzeit meiner Beobachtung nach generative KI und Agents, Cloud-Infrastruktur sowie die Herausforderungen im Bereich Cybersicherheit und Datenschutz.
Künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant. Wie kann KI konkret Geschäftsprozesse in Finanz- und Versicherungsunternehmen optimieren – und welche ethischen Herausforderungen sehen Sie dabei?
Wir sehen, dass Finanz- und Versicherungsunternehmen durch den Einsatz von KI in verschiedenen Bereichen ihre Effizienz steigern können, zum Beispiel durch die Automatisierung von Routineaufgaben und die Verbesserung der Kundenbetreuung durch KI-gestützte Assistenzsysteme. Dies entlastet Mitarbeitende und ermöglicht es ihnen, sich stärker auf strategische Aufgaben zu konzentrieren.
Ein besonders relevanter Bereich ist die Anwendung von KI in der Risikobewertung und Schadensabwicklung. Die Zurich Gruppe setzt zum Beispiel KI-basierte Tools ein, die eine schnellere und präzisere Analyse komplexer Daten ermöglichen. Dadurch wird nicht nur die Risikobewertung verbessert, sondern auch der gesamte Underwriting-Prozess beschleunigt, was zu kürzeren Bearbeitungszeiten und einer höheren Kundenzufriedenheit führt. Interessanterweise zeigt der aktuelle «Work Trend Index» von Microsoft für die Schweiz, dass 90 Prozent aller Nutzerinnen und Nutzer generativer KI berichten, durch den Einsatz dieser Technologien signifikant Zeit zu sparen. Besonders wichtig scheint mir hierbei: Ein zentraler Aspekt bei der Anwendung von KI muss immer die Sicherstellung von Datenschutz und Compliance sowie die Gewährleistung eines fairen Einsatzes sein. Nur durch klare Richtlinien und technische Standards können wir gemeinsam sicherstellen, dass KI sowohl effektiv als auch ethisch eingesetzt wird.
Nachhaltigkeit und ESG-Kriterien gewinnen an Bedeutung. Welche technologischen Lösungen können Unternehmen nutzen, um ihre Nachhaltigkeitsziele transparenter und effektiver zu messen und umzusetzen?
Eine der vielversprechenden Möglichkeiten sind KI-gestützte Analyse-Tools, die Unternehmen helfen können, ihre Nachhaltigkeitsdaten präzise zu messen und zu überwachen. Ein Beispiel dafür ist die Microsoft Cloud for Sustainability, die seit 2022 auch in der Schweiz verfügbar ist. Unternehmen können damit ihren Nachhaltigkeits-Fussabdruck in Echtzeit messen und ihre Performance mit ihren ESG-Zielen abgleichen. Die automatisierten Dateneingaben ermöglichen datenbasierte Entscheidungen, und das Tool unterstützt auch bei der Erstellung gesetzlich vorgeschriebener ESG-Berichte.
Nach unseren Erfahrungen können auch Finanzdienstleister von dieser und vergleichbaren Technologien profitieren. Sie haben die Möglichkeit, den ökologischen Fussabdruck ihrer eigenen Organisation gezielt zu optimieren und gleichzeitig Unternehmen, die diese Technologien einsetzen, durch präzise Überprüfung der ESG-Kriterien bei Investitionen zu unterstützen. Dadurch dass nachhaltige Projekte gefördert und mehr Transparenz geschaffen wird, können letztlich auch Privatanlegerinnen profitieren, die Wert auf verantwortungsbewusste Investments legen. Technologische Lösungen machen Nachhaltigkeit messbar – und damit gestaltbar.
Christian Thier leitet seit Oktober 2022 das Finanzdienstleistungsgeschäft von Microsoft Schweiz und ist Mitglied der Geschäftsleitung.
Cybersicherheit ist für Finanz- und Versicherungsunternehmen ein kritisches Thema. Wie haben sich Sicherheitsstrategien in den letzten zwei Jahren fundamental verändert?
Laut dem aktuellen «Microsoft Digital Defense Report» hat sich die Zahl der Cyberangriffe im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Die Grenzen zwischen staatlichen Akteuren und Cyberkriminellen verschwimmen, wobei Nationalstaaten zunehmend auf kriminelle Netzwerke und deren Werkzeuge zurückgreifen, um gezielte Angriffe zu starten. Gleichzeitig nimmt auch finanziell motivierte Cyberkriminalität zu, und der Schweizer Finanzplatz ist davon stark betroffen, wie die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma im November 2024 in ihrem Risikomonitor aufgezeigt hat. Als Reaktion darauf beobachten wir, dass Unternehmen vermehrt auf KI-gestützte Sicherheitssysteme setzen, die Bedrohungen frühzeitig erkennen und Sicherheitsvorfälle verhindern sollen, bevor sie eintreten. Eine weiterhin interessante Entwicklung bei Sicherheitsarchitekturen ist die sogenannte Zero-Trust-Technologie. Diese basiert auf dem Grundsatz, dass nichts sicher ist – auch keine Zugriffe innerhalb der Firmen-Firewall.
Übrigens: Mit der Secure Future Initiative haben wir umfassende Massnahmen ergriffen, um Sicherheitsstandards kontinuierlich zu verbessern und die Resilienz gegen Cyberbedrohungen zu stärken. Die Initiative gewährleistet, dass die Art und Weise, wie wir Technologie entwickeln, testen und betreiben, den höchsten Sicherheitsstandards entspricht.
Cloud-Transformation ist ein zentrales Thema. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht, wie Unternehmen in diesen Branchen die digitale Infrastruktur strategisch weiterentwickeln?
Die Schweizer Finanzindustrie hat früh die Vorteile der Cloud erkannt und setzt heute umfassend auf Cloud-Services. Unternehmen, die bereits in der Cloud tätig sind und entsprechende Kompetenzen aufgebaut haben, profitieren nun vermehrt von beschleunigten Transformationsprozessen, die nur durch Cloud-Technologie möglich sind – und das zu deutlich geringeren Kosten, insbesondere wenn wir an den Bereich KI denken. Dabei spielt auch der Umgang mit Daten eine zentrale Rolle. Daten sind ein zentrales Fundament jeder KI-Anwendung. Hier setzt die Cloud an, indem sie Unternehmen ermöglicht, Daten effizienter zu nutzen und gleichzeitig durch optimierte Daten-Governance schneller auf den Markt zu reagieren. Die Cloud bietet zudem Skalierbarkeit, Kosteneffizienz und höchste Sicherheitsstandards – ein entscheidender Vorteil für Unternehmen, die sich in einem zunehmend datengetriebenen und technologieorientierten Markt behaupten.
Die Regulierungsdichte nimmt stetig zu. Wie können digitale Technologien Unternehmen dabei unterstützen, komplexe Compliance-Anforderungen effizienter und kostenschonender zu bewältigen?
Mit zunehmender Regulierungsdichte wird es wichtiger, Wege zu finden, um Komplexität verständlich zu machen und zu reduzieren. Erfreulicherweise entwickeln sich KI-gestützte Tools in diesem Bereich stetig weiter. Sie können Daten analysieren, Risiken identifizieren und Unternehmen dabei unterstützen, regulatorische Anforderungen in Echtzeit zu überwachen und anzupassen. Ein interessantes Beispiel ist die Automatisierung von Berichts- und Auditprozessen, wodurch grosse Datenmengen effizient überwacht und präzise aufbereitet werden können. Zusätzlich können integrierte Sicherheits- und Compliance-Funktionen beim Schutz sensibler Daten helfen und das Vertrauen bei Kunden und Regulierungsbehörden stärken
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) spielen eine Schlüsselrolle. Welche digitalen Technologien würden Sie speziell kleineren Finanz- und Versicherungsdienstleistern empfehlen, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Was besonders interessant ist: KMU können heute von denselben Technologien profitieren wie grössere Unternehmen. Das ist einer der wichtigsten Aspekte von skalierbaren Cloud-Technologien und KI-Systemen: Sie können den Zugang zu digitalen Innovationen vereinfachen und dadurch ein KMU auf Augenhöhe mit einem Grossunternehmen bringen. In der Praxis sehen wir, dass diese Technologien vielfältige Möglichkeiten der Effizienzsteigerung bieten. KI-basierte Lösungen können zeitintensive Prozesse wie Datenverarbeitung und Dokumentenmanagement automatisieren, Kundendaten in Echtzeit analysieren und personalisierte Angebote erstellen, was sich positiv auf die Kundenzufriedenheit auswirken kann.
Wie verändern moderne Technologien das Kundenbeziehungsmanagement in Finanz- und Versicherungsunternehmen – sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich?
Wir sehen im B2C-Bereich, dass KI und CRM-Systeme Kundendaten in Echtzeit analysieren, um massgeschneiderte Angebote und Services zu erstellen. Chatbots und virtuelle Assistenten können eine schnelle und rund um die Uhr verfügbare Kundenbetreuung ermöglichen, während personalisierte Empfehlungen zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit und Loyalität beitragen können. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass das Personal dadurch Zeit gewinnt, um sich vermehrt auf kreative und strategische Aufgaben sowie auf den direkten Austausch intern und extern zu konzentrieren. Im B2B-Bereich können Cloud-basierte Plattformen und KI-Tools die Interaktion mit Geschäftskunden durch datenbasierte Einblicke in deren Bedürfnisse und Herausforderungen unterstützen. Diese Technologien ermöglichen häufig eine tiefere Partnerschaft, indem sie bei der Entwicklung proaktiver Lösungen helfen und den Entscheidungsprozess beschleunigen können.
Welche Fähigkeiten und Kompetenzen müssen Finanz- und Versicherungsprofis in den nächsten Jahren zusätzlich entwickeln, um mit der digitalen Transformation Schritt zu halten?
Mit der zunehmenden Automatisierung von Routineaufgaben scheint es, dass die Fähigkeit, komplexe Daten zu interpretieren und strategisch zu denken, noch wichtiger wird. Es ist interessant zu beobachten, wie KI dabei mehr Kapazitäten schaffen kann. Aus meiner Sicht wird es wichtig sein, dass das Fachpersonal versteht, wie es KI-gestützte Ergebnisse effektiv nutzen kann, um Risiken zu bewerten und fundierte Entscheidungen zu treffen. Eine wichtige Grundlage dafür ist zunächst ein grundlegendes Verständnis für Technologien wie künstliche Intelligenz, Datenanalyse und Cloud-Lösungen.
In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass Microsoft verschiedene Skilling-Initiativen und Programme unterstützt, die Fachkräften helfen können, sich auf die Herausforderungen der digitalen Transformation vorzubereiten. Was ich besonders spannend finde: Es zeichnet sich ab, dass neben diesen Fertigkeiten nun Soft Skills stärker in den Fokus rücken. Wenn Ressourcen durch Automatisierung frei werden, können Empathie, Kommunikationsstärke und die Fähigkeit, Kundenbeziehungen in einem digitalen Umfeld zu pflegen, noch wichtiger werden.
Sie arbeiten global mit zahlreichen Unternehmen zusammen. Können Sie ein konkretes Praxisbeispiel nennen, bei dem eine innovative technologische Lösung einen signifikanten Mehrwert für ein Unternehmen in der Finanz- oder Versicherungsbranche geschaffen hat?
Es gibt tatsächlich mehrere interessante Beispiele aus der Schweiz, wo Finanzdienstleister das Potenzial von Cloud und generativer KI erfolgreich nutzen. Die Mobiliar nutzt den Microsoft Azure Open AI Service für eine KI-Lösung, die zusammen mit Cloud-Technologie Prozesse effizienter gestaltet, das Kundenerlebnis verbessert und die Kundenkommunikation durch Texterstellung, Übersetzungen und Datenanalysen unterstützt. Die Helvetia-Gruppe hat den Klara Bot, einen KI-basierte Assistenten, der rund um die Uhr Fragen beantwortet. Dank natürlicher Sprachverarbeitung sind die Antworten sehr präzise. Klara Bot nimmt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Kundenservice Antworten auf wiederkehrende Fragen ab.
Swiss Re setzt Copilot ein, um zeitaufwändige Routineaufgaben zu automatisieren. Die Pictet-Gruppe arbeitet mit Finance GPT, einer Plattform für effiziente Dokumentensuche und Übersetzungen, die Mitarbeitende von administrativen Aufgaben entlastet. Vontobel nutzt den Microsoft Azure Open AI Service für komplexe Datenanalysen.
Ein weiteres spannendes Beispiel ist die UBS, die mit bis heute 50’000 Lizenzen die grösste Implementierung von Copilot im globalen Finanzdienstleistungssektor angekündigt hat. Diese Beispiele zeigen verschiedene Wege, wie Cloud- und KI-Technologien nicht nur die Effizienz steigern, sondern auch Kundenerlebnisse verbessern und dabei strenge regulatorische Anforderungen erfüllen.