Die Arbeitswelt in der Schweiz war bis Mitte der 1990er-Jahre von Werten wie Loyalität, Stabilität und Wachstum dominiert. Ein sicherer Arbeitsplatz im Tausch gegen Firmentreue – so lautete viele Jahre lang der Pakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Wenn Sie heute um die 50 sind, dann haben Sie Ihre Berufstätigkeit mit grosser Wahrscheinlichkeit unter diesen Voraussetzungen begonnen und in einer überschaubaren Anzahl Unternehmen gearbeitet. Jetzt, Anfang, Mitte 50, haben Sie eigentlich nicht vor, noch einmal die Stelle zu wechseln.

Und dann merken Sie, dass es in Ihrem Job nicht mehr stimmt. Eine ständig wechselnde Führung, Umstrukturierungen, Abbau, Fluktuation im Unternehmen, ein neuer Eigentümer – es gibt viele Gründe, weshalb der Spass an der Arbeit und die Identifikation mit der Firma schleichend verloren gehen. Oder aber Sie verlieren ungewollt und überraschend Ihren Job. Unabhängig davon, ob die anstehende Veränderung freiwillig oder unfreiwillig ist, brauchen Sie wahrscheinlich eine neue Erwerbstätigkeit. Also beginnen Sie, sich mit dem aktuellen Arbeitsmarkt auseinanderzusetzen. Was finden Sie vor?

Die Veränderung trifft heute auch 50 plus

Zunächst werden Sie widersprüchliche Botschaften erhalten. Einerseits werden Sie hören, dass Neuorientierung und Jobsuche in Ihrem Alter vergebliche Mühe sei. Jeder in Ihrem Bekanntenkreis hat von jemandem gehört, der oder die 200 Bewerbungen verschickt und nicht eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten hat. Es wird Ihnen gesagt, dass Headhunter Bewerbungen von über 50-Jährigen sofort schreddern, dass in den Personalabteilungen nur noch 25-Jährige entscheiden, und zwar sicher nicht für jemanden, der ihr Vater sein könnte. Sie werden zu hören bekommen, dass Ihre Ausbildung veraltet ist, dass Erfahrung nichts zählt und dass Sie zu teuer sind.

Anderseits werden Sie feststellen, dass fast alle 55-Jährigen und älteren, die Sie kennen, einen Job haben. Wenn Sie sich die Mühe machen, diesen Eindruck zu überprüfen, werden Sie mit der Tatsache konfrontiert, dass über 70 Prozent der Bevölkerung im Alter von über 55 Jahren arbeiten.

Ermutig ende Fakten zeigen ein neues Bild

Sie werden auch recht schnell feststellen, dass in der Schweiz relativ wenige Menschen dauerhaft arbeitslos sind und dass die Arbeitslosenquote der Altersgruppe 55 bis 64 seit fast 20 Jahren konstant bis zu 1 Prozentpunkt unter der der jüngeren liegt. Hinzu kommt, dass die demografischen Fakten eigentlich alle für die Generation 50 plus sprechen. Die geburtenschwachen Jahrgänge sind auf dem Arbeitsmarkt, es fehlen gut ausgebildete Fachkräfte.

Nachdem Sie diese Fakten zur Kenntnis genommen haben, erscheint es einfach: Sehr viele Tatsachen sprechen dafür, dass man auch mit weit über 50 auf dem Arbeitsmarkt gebraucht wird. Aber es ist nicht einfach: Es fällt tatsächlich vielen über 50-Jährigen schwer, sich auf dem Arbeitsmarkt neu zu positionieren und eine gute Stelle zu finden. Für einen Grossteil dieser Altersgruppe bricht zunächst einmal eine Welt zusammen ob der Tatsache, dass sie überhaupt dieser Situation ausgesetzt sind. Viele sonst nüchtern denkende Fach- und Führungskräfte gehen mit dem Wechsel oder dem Verlust ihres Jobs in hohem Mass emotional um und finden nur schwer einen Ansatz zur Problemlösung.

In der Beratung machen wir täglich die Erfahrung, dass die Auflistung der positiven Fakten zwar hilft, Ängste zu reduzieren und auch ein wenig Zuversicht gibt, dass es aber ein hinter aller Rationalisierung liegendes Thema gibt: Die Tatsache, dass mit einem Arbeitsplatzwechsel nicht nur die aktuelle Stelle verloren geht, sondern auch ein grosser Teil der eigenen Identität, etwas, worauf man stolz war.

Der Umbruch kündigt sich oft bereits an

Im ersten Moment wird eine Kündigung fast immer als Belastung empfunden. Nur als Belastung? In vielen Fällen ist es doch so, dass - betrachtet man die Dinge mit etwas Abstand – die Kündigung nicht ganz überraschend kam. Sehr oft haben sich die Betroffenen bereits vorher unter- oder überfordert gefühlt, konnten sich mit der Arbeit oder der Firma nicht mehr identifizieren, haben sich im Team oder mit dem Vorgesetzten nicht mehr wohlgefühlt und sind nicht mehr gern zur Arbeit gegangen.

Oft sind es solche Missstimmungen, die schliesslich zur Kündigung führen. In einer solchen Situation ist eine Kündigung nicht nur ein Schock, sondern auch eine grosse Entlastung, eine Befreiung aus einer unbefriedigenden Situation. Und häufig zeigt sich, dass die Angst vor dem sich ankündigenden Ereignis schlimmer ist als sein Eintreffen.

Die Prioritäten verschieben sich

Alle Menschen sind in mehrfacher Weise mit dem Thema Veränderung konfrontiert, wenn Arbeitsplatzverlust und -wechsel drohen. Einerseits sind da der fundamentale gesellschaftliche Wandel auf allen Ebenen sowie dessen Konsequenzen für Unternehmensführung und -kultur. Hinzu kommt der Wertewandel in der Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten und natürlich die Tatsache, dass Sie selbst nach 30 Jahren Berufsleben auch nicht mehr die Person sind, die Sie einmal waren. Prioritäten verschieben sich, neue Ziele tauchen auf, Werte und Bedürfnisse verändern sich. Wie Menschen mit der Notwendigkeit einer Neuorientierung umgehen, ist sehr individuell.

Wurde die Neuorientierung durch eine Kündigung ausgelöst, spielt die Art und Weise dieser Kündigung eine grosse Rolle. Wie Ihnen gekündigt wurde, bestimmt mit, wie verletzt und gekränkt Sie sind. Einen Einfluss hat aber auch Ihre eigene psychische Konstitution: Vielleicht können Sie die schwierige Situation relativ schnell überwinden; vielleicht dreht das Geschehene aber auch monatelang jede Nacht in Ihrem Kopf und raubt Ihnen alle Lebensfreude.

Distanz zur Verletzung gewinnen

Es gibt kein für alle gültiges Rezept, wie man eine schwierige Situation bewältigen kann. Es gibt aber einige Konzepte und Denkansätze, die dabei helfen, besser mit der Kränkung umzugehen. Vielleicht stehen Sie ganz am Anfang des Neuorientierungsprozesses und sind noch so wütend und verletzt, dass Sie gar nicht darauf ansprechbar sind, konstruktiv mit der anstehenden Veränderung umzugehen. Das ist verständlich. Ein bisschen im Schmerz suhlen muss sein, Wunden lecken und auch Tränen trocknen gehören dazu.

Doch jenseits aller Diskussionen darüber, wer im Recht ist, wer wen abwertend behandelt, gemobbt, gekränkt oder belogen hat: Irgendwann muss die Phase des Selbstmitleids und der Weltverdammung beendet sein. Sie müssen nach vorn schauen und sich konstruktiv mit der Si tuation auseinandersetzen. Irgendwann müssen Sie die Zügel wieder in die Hand nehmen! Statt auf Schwierigkeiten und Probleme zu fokussieren, fragen Sie: Was hilft mir bei der Neuorientierung? Was trägt zur Lösung des Problems bei? Wie bewältige ich die Übergangssituation?

Die gleiche aktive Komponente, die Sie beim Erhalt Ihrer Gesundheit unterstützt, wird Ihnen auch bei der erfolgreichen Neuorientierung helfen. Im Mittelpunkt steht die Aufforderung, sich des Gestaltungsraums im eigenen Leben bewusst zu werden und sich seiner zu bemächtigen. Wenn Sie in dem Gefühl verharren, ein Opfer der Umstände zu sein, ohnmächtig dem ausgeliefert, was über Sie entschieden wurde, dann sind Sie gesundheitlich in Gefahr.

Die Arbeitsfähigkeit erhalten

Ihre Arbeitsfähigkeit ist eine Wechselwirkung zwischen individuellen Ressourcen und den Anforderungen Ihres Jobs. Nur wenn beides zusammenpasst, können Sie Ihre Arbeit gut erledigen. Die Arbeits- und Leistungsfähigkeit auch beim Älterwerden zu erhalten, liegt einerseits in der Verantwortung jedes Einzelnen: Sie müssen Ihre persönlichen Ressourcen kennen und Sorge dazu tragen. Anderseits müssen aber auch die Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen, indem sie lebensphasenspezifische Arbeitsplätze schaffen. Und schliesslich ist es Aufgabe des Staates, die geeigneten Rahmenbedingungen zu definieren.

AKTUELLER RATGEBER:

Das Buch 50 plus. Neuorientierung im Beruf von Brigitte Reemts Flum und Toni Nadig ist in der Beobachter Edition erschienen. Mitherausgeber sind die Handelszeitung und die Schweizer Kader Organisation SKO. Das Buch hat 256 Seiten und beinhaltet neben praktischem Wissen Expertenstimmen aus der HR-Szene, die Tipps für Arbeitnehmer und Arbeitsuchende geben, die älter als 50 Jahre alt sind.

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