Sie haben unlängst ironisch eine 3G-Regel für Immobilien proklamiert. Was meinen Sie damit?
Geerbt, (im Lotto) gewonnen oder geklaut. Wer keines der drei «G» vorzeigen kann, kommt heute zu keinem Eigenheim mehr. Der Immobilienmarkt in der Schweiz hat in den vergangenen zwanzig Jahren derart hohe Preissteigerungen erlebt, dass Immobilien vielerorts unerschwinglich geworden sind. Das heisst, die Schweiz wird ein Volk von Mietern bleiben. Der Traum vom Eigenheim bleibt unerfüllt.
Was ist Schuld an dieser Entwicklung?
Die tiefen Zinsen haben zu einem regelrechten Immobilien-Boom geführt. Das Gratisgeld hat mittlerweile selbst die hintersten Täler erreicht. Mit verrückten Markt-Auswüchsen.
Donato Scognamiglio ist CEO des Immobilienberaters IAZI und Professor an der Uni Bern. Er tritt am 12. November 2021 am Schweizer Finanz- und Immobilien-Kongress im The Circle am Zürcher Flughafen auf. Die Handelszeitung ist Medienpartner. — Zur Anmeldung.
Was ist verrückt?
Früher verteilte man Visitenkarten unter die Scheiben alter Autos, mit der Aufforderung, das Auto für den Export nach Polen zu verkaufen. Heute wird man unaufgefordert von Horde an Maklern bestürmt, sein Haus zu verkaufen. Das ist logisch, sind doch 2 Prozent Vermittlungsprovision von 2 Millionen heute das Doppelte der Provision vor 20 Jahren. Beim gleichen Aufwand.
Sind die Eigenheim-Preise auch deshalb gestiegen, weil viele einzelne Teilnehmer lukrative Geschäfte damit machen?
Jeder versucht, sich einen Teil des Kuchens abzuschneiden. Alle verdienen gut dabei, die Makler, die Banken, die Berater, ebenso wie die Kantone aufgrund der Steuereinnahmen aus den Käufen und Verkäufen. Vieles erinnert an die Übertreibungen in den USA, bevor die dortige Immobilien-Blase 2008 platzte. Nur, der Schweizer Immobilienmarkt ist mittlerweile too big to fail geworden.
Welche Rolle spielt heute Spekulation auf Wertsteigerung?
Man ging und geht bis heute davon aus, dass die Wertsteigerungen ständig anhalten. Verreiste man früher in den Urlaub ins Ausland, kauft man heute die Ferienwohnungen im Tessin und Graubünden leer. Das Vermögen wird in Ferienwohnungen parkiert, die früher niemand wollte. Oder man kauft eine Zweitwohnung, die man dann vermietet. Alles ist besser, als das Vermögen durch die Inflation auffressen zu lassen.
«Der Schweizer Immobilienmarkt ist mittlerweile 'too big to fail' geworden.»
Ewiger Boom oder drohender Preissturz: Wie wird es weitergehen?
So gut wie alle Faktoren sprechen für weiterhin steigende Preise. Das Angebot ist knapp, die Nachfrage übersteigt es seit langem. Pensionierte werden älter als früher, bleiben länger in ihrem Haus wohnen. Wer ein Haus verkauft, zahlt hohe Steuern, also lässt er es bleiben. Der Boden ist durch die Raumplanung derart limitiert worden, dass man bereit ist astronomische Preise für die letzten Flecken zu bezahlen, die man noch überbauen kann.
Einen Crash schliessen Sie also aus?
Ob es einen Crash geben wird, weiss niemand, weder die Nationalbank noch die Banken noch die Berater. Wir sollten uns nicht sorgen, aber wir sollten vorsorgen. Bei weiterhin steigenden Preisen wird man höhere Risiken eingehen. Man muss sich also mit dem Thema eines Preissturzes auseinandersetzen. Irgendwann wird die Reise bergab gehen. Wenn sich der Nebel einmal lichtet, der im Moment alles bedeckt, wird sich zeigen, dass die Lage im Immobilienmarkt noch immer oberstes Gebot ist. Dann ist eine Immobilie neben dem AKW in Gösgen nicht mehr so attraktiv.
Das heisst, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt die eigene Immobilie zu verkaufen?
Der Zeitpunkt ist auf jeden Fall gut. Das Problem ist nur, was man im Anschluss mit dem Geld macht? Mieter werden und das Geld auf das Konto legen? Freilich kann man nach Spanien auswandern und dort für das Geld, was bei uns ein Haus kostet, drei Häuser kaufen.
Kommt die Inflation?
Viele Rohstoffe wurden bereits teurer – Holz, Stahl und so weiter –, bedingt durch Lieferengpässe, Verzögerungen und Knappheit. In den USA liegt die Inflation bereits bei 5,3 Prozent, in Deutschland ist sie mit 4 Prozent auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten. Und auch in der Schweiz ziehen die Preise an, mit einer Inflation von 0,9 Prozent. Inflation führt dazu, dass Menschen die sparen, weniger im Portemonnaie haben werden.
Unser Geld wird also dahinschmelzen.
Die meisten gehen davon aus, dass eine Inflation, sofern sie kommt, nur temporär sein wird. Quasi ein Covid-Nebeneffekt. Wenn die Inflation allerdings in die Erwartungen der Köpfe der Haushalte geht, so dass die Löhne korrigieren, könnte es eine Spirale geben. Die Staaten, die allesamt so verschuldet sind, haben es schwer, die Zinsen zu erhöhen. Dies könnte dazu führen, dass die Zinsen tief bleiben, es eine hohe Inflation gibt und daher negative Realzinsen. Kein Zins auf dem Konto plus Inflation – so schmelzt das Geld dahin. Das kommt den Verschuldeten zu Gute. Und den Sachwerten, in die man dann flüchtet.
Bleibt also nur die Flucht in Betongold, zum Schutz vor Inflation?
Immobilien waren und sind ein guter Inflationsschutz, wenn der Wert des Geldes erodiert.
Lassen Sie uns noch kurz China ansprechen. Könnten die Immobilien-Probleme dort eine weltweite Kettenreaktion auslösen?
Die Frage ist berechtigt, sind doch die Dimensionen in China völlig andere. Während die Schweiz im Jahr rund 50'000 Wohnungen baut, sind es in China zirka 15 Millionen. Zudem macht dort der Anteil von Immobilien und verbundenen Dienstleistungen mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Dieser Wirtschaftszweig ist somit zentral für China. Es ist davon auszugehen, dass die Banken, die Evergrande finanziert haben, vom Staat gestützt werden, das heisst der Staat wird bei der Lösung des Problems mithelfen. Zudem hat China kein Interesse daran, eine riesen Flutwelle durch die Welt gehen zu lassen.