Es ist der einzig wahre Moment und gehört jährlich gebührend gefeiert: der erste Schluck Sauser. Das saisonale Getränk läutet die kühleren Tage ein. Es verspricht Abende mit Hirschschnitzel oder Rehpfeffer und Teller gefüllt mit Spätzli, Rotkraut und Preiselbeer-Birnen. Wenn die Weinbauern ihren Sauser anpreisen, dann heisst das, dass die beste Zeit des Jahres gekommen ist: der Herbst.
Sauser findet sich vor allem in den deutschsprachigen Gebieten. In Österreich heisst er Sturm, in Deutschland trinkt man Federweissen oder «neuen Wein». So verbreitet Sauser im deutschen Sprachraum ist, so sehr ist das Getränk auch verpönt. Eine süsse Plörre sei er, sorge nur für Kopfschmerzen und sowieso – Sauser sei nur mit viel Pomp verkaufter Traubensaft. Mitnichten! Es ist an der Zeit, mit diesen Vorurteilen aufzuräumen.
Was aber ist Sauser? Es ist weder Wein noch Traubensaft, sondern das Produkt dazwischen. Sauser ist gärender Traubensaft. Und ja, das bedeutet, dass sich Sauser während des Genusses verändert, denn die Hefe arbeitet und verwandelt den Restzucker in Alkohol. Natürlich gibt es auch pasteurisierten Sauser, der keine Hefe mehr aufweist. Doch dieser Sauser ist tot und gehört nicht auf den Tisch.
Richtiger Sauser gärt weiter. Das tut die Hefe aber nur bei Temperaturen ab 15 Grad. Wird Sauser bei rund fünf Grad im Kühlschrank gelagert, behält er die 0,5 bis 1,5 Prozent Alkohol, mit denen er normalerweise verkauft wird. Das alles macht Sauser zu einem Saisonereignis. Denn erstens wird er nur aus früher geernteten Trauben gewonnen, die noch nicht ganz so viel Zucker aufweisen. Und zweitens vergärt ein Sauser bei Wärme allen Restzucker. Dann weist er bis zu 10 Prozent Alkohol auf – und das ist dann wahrlich kein Genuss mehr.
Deshalb gilt: Sauser frisch trinken und mit wenig Alkohol geniessen. So leert sich schnell eine Flasche. Das bringt dann auch das letzte Vorurteil auf den Plan, nämlich, dass das Getränk Kopfschmerzen bereite. Das ist Unsinn. Oder in anderen Worten: Bevor jemand Kopfweh kriegt, rumort es eher im Darm. Darum: Prost auf einen gelungenen Herbst mit feinem Essen und noch mehr leckerem Sauser!
Typisch: Sauser Rot Original
Scherer & Bühler ist der Sauser-Papst der Schweiz. Die Firma hat auch pasteurisierten Sauser im Angebot – das wäre die Flasche mit dem violetten Etikett –, doch Sauser-Hit ist derjenige mit dem bordeauxfarbenen Etikett. Das unpasteurisierte Original ist erfrischend, prickelt im Gaumen und löst mit 1,5 Prozent Alkohol auch keine Kopschmerzen aus.
Sauser Rot Original Scherer & Bühler, 2023, 100 cl für 6 Franken, 1,5% vol. Alk.
In dieser Kolumne schreiben die «Handelszeitung»-Redaktoren Michael Heim und Ben Müller sowie Autorin Tina Fischer alternierend einmal im Monat über Bier und Wein. Fischers Familie besitzt eine gleichnamige Weinhandlung, sie schreibt aber lieber über Wein, als dass sie ihn verkauft.