Die neue Promilleregelung zwingt einen für Restaurantbesuche wieder vermehrt auf den Zug. Die Anfahrt nach Engelberg wird so gleichsam zu einem vorgezogenen Amuse-Bouche. Nach Wolfenschiessen geht der Regen in Schnee über. Ab Grafenort, wo der Zug die Zahnräder ausfährt, schneit es dicht und intensiv. Die umgetaufte Zentralbahn kriecht einen verzauberten Winterwald hoch. Im Klosterdorf stapft man durch knöcheltiefen Schnee zu Axels Restaurant.
Auch Engelberg-Habitués muss gelegentlich noch Name und Lage des Lokals erklärt werden. «Axels» heisst es nach seinem Chef, dem 38-jährigen Axel Kirchner. Seine Idee war die Namensgebung nicht. Dazu ist der Hamburger, der mit seiner locker-umgänglichen Art so erfrischend wenig hanseatisch Steifes an sich hat, zu bescheiden. Seine Förderer und Arbeitgeber, die sich aus einer Innerschweizer Investorengruppe rekrutieren, verfielen auf den speziellen Namen.
Denn «Hess» konnten sie das neue Restaurant ja nicht gut nennen, obwohl dann vermutlich alle die Adresse gekannt hätten. Wo früher Geny Hess mit seiner Trudi zu fabulösen Wildereien und Weingelagen geladen hatten, an der Stelle des alten, charmant vergammelten Hotelkastens, steht Kirchners Wirkungsstätte.
Der Bau und das coole Interieur – in Zürich West würde es sich unauffällig in die Szenengastronomie einfügen – sind von solcher Andersartigkeit, dass sich jeder Vergleich mit dem alten «Hess» verbietet. Auch Axel Kirchners mediterran geprägte Küche lässt keine Reminiszenz zu. Im Hinblick auf die Vergangenheit darf man einzig und pointiert feststellen, dass in Engelberg nach einem mehrjährigen Unterbruch wieder ein Ort zu empfehlen ist, wo mit Pfiff, Esprit und Leidenschaft gekocht wird.
Axel Kirchner kam 1990 in die Schweiz. Im «Ascolago» in Ascona begeisterte ihn Walter Klose, heute erfolgreicher Pächter im «Gupf» in Rehetobel, für eine saisongeprägte, marktorientierte Frischküche. Nach langen Engagements in grossen Hotelküchen lernte er als Küchenchef bei Jacky Donatz im Fifa-Haus Sonnenberg, sich durchzubeissen. Immer fühlte er sich aber in den Bergen geerdeter als in den Städten. Als ihn 2003 der Ruf aus Engelberg erreichte, zögerten Kirchner und seine im Hotel- und Tourismusmarketing ausgebildete Nidwaldner Frau Andrea nicht lange und zogen an den Fuss des Titlis.
So robust und selbstbewusst Axel Kirchner wirkt, ein Küchenrambo ist er nicht. Die Anfänge in Engelberg waren stets begleitet von Selbstzweifeln und der Angst vor dem Scheitern. Seine tolle Crew – allen voran Sous-Chef Marco Diebold und Chef de Service Markus Zimmermann – gibt ihm die Sicherheit, seinen eigenen Weg zu gehen und eine persönliche Handschrift zu suchen.
Die Speisekarte offeriert bewusst klassische und bekannte neben riskanteren Gerichten. Da steht der Nüsslisalat mit Waldpilzen und pochiertem Ei neben der hausgemachten Entenleberterrine auf karamelisiertem Ananascarpaccio und Splittern von Bitterschokolade. Ein mit Brot gefülltes Rindsfiletröllchen wird wintergerecht ins Parmesanfondue getaucht. Das auf der Haut gebratene Zanderfilet wird mit Randengemüse und gelungenen Meerrettichravioli aufgetragen. Die köstlichen Suppen deuten auf einen Suppenmeister. Die Fleischgerichte – Lammrücken in der Kräuterkruste mit Schmorgemüse und Stampfkartoffeln oder ein Rindsfilet auf Schwarzwurzeln mit Rosenkohlblättern und Trüffeljus – haben Geschmack und Tiefgang. Die Desserts verraten die Liebe zum Detail.
Manchmal mangelt es vielleicht noch an der vollendeten Produkteschärfe. Präzision und Harmonie innerhalb eines Menüs können noch verbessert werden. Axel Kirchner darf ruhig auch noch vermehrt mit regionalen Produkten kochen. Doch der selbstkritische Mann wächst sichtlich und spürbar in die Rolle hinein, die ihm seine Gönner vorgezeichnet haben. Engelberg hat wieder eine erstklassige kulinarische Adresse.
Axels Restaurant
Axel und Andrea Kirchner-Galliker, 6390 Engelberg, Tel. 041 637 09 09, www.axels-restaurant.ch, 13 «Gault Millau»-Punkte, Menüs 69 bis 99 Franken, geschlossen montags, dienstags (Hochsaison nur montags), Mitte April bis Mitte Mai, November