Aus dem Appenzellerland gibt es Erfreuliches zu berichten: In Heiden hat das Unternehmerpaar Sabine und Fredi Grossauer geschmackvoll und grosszügig eine Biedermeiervilla aus dem Jahr 1823 renoviert, mit einem modernen Anbau versehen und im ganzen Komplex zwei Restaurants eröffnet, die bravourös Tradition mit Moderne verbinden.
Gutbürgerliches mit regionaler Verwurzelung gibt es im Parterre; eine avantgardistische, fantasievolle und überraschende Küche im «Gourmet» im ersten Stock. Küchenchef Tobias Funke, ein Petermann-Schüler, scheint bei den Grossauers seinen Platz gefunden zu haben, nachdem er zuletzt etwas unstet unterwegs gewesen war.
Kontrastreiches Spiel
«Fernsicht» (wie das Gasthaus heisst) war nicht angesagt bei unserem Besuch in Heiden. Es graupelte, und der Bodensee war mehr zu erahnen als wirklich zu sehen. So schalteten wir auf Nahsicht um, konzentrierten uns auf unser Essen und verbrachten einen höchst vergnüglichen Mittag mit scharf akzentuierten Gaumeneindrücken und tollen Weinen aus einer grossartigen Weinkarte, die Sommelière Daniela Müller das beste Zeugnis ausstellt.
Die Küche begrüsste mit einer Roulade aus Blutwurst, einem pochierten Ei mit Burgunder Trüffel und einer ultrafrischen, glasig gebratenen Jakobsmuschel. Das war schon mal ein nährendes Statement. Dann wurden zwei knackige Scampi in einer Karottenkruste mit einem absichtlich leicht angekohlten Rüebli und bissweichen Agnolotti auf einem hinreissenden Krustentierfond aufgetragen. Ein kontrastreiches Spiel der Texturen und Aromen.
Dessert ist ein Muss
Der Hauptgang verhiess «Rehpfeffer nach moderner Art». Funke verwendet dazu das Entrecôte des Tiers, mariniert die Würfel nur sechs Stunden in einer Wildbeize. Er brät sie kurz an und serviert den Pfeffer ganz klassisch mit hauchzarten, noch feuchten Spätzli, Rotkraut, Preiselbeeren und Apfelschnitzen. Spektakulär ist die Sauce. Der Fond wurde derart kräftig reduziert, dass er in Geschmack und Konsistenz an geschmolzene schwarze Schokolade erinnert.
Nach einem derart intensiven Gang haben es die Nachspeisen schwer. Doch von Vorsicht ist abzuraten. Die Desserts der «Fernsicht» dürfen nicht verschmäht werden. Die talentierte Pâtissière Jana Bussert, die ihr Metier im «Dolder» bei Heiko Nieder gelernt hat, kombiniert so effektvoll und geschmackssicher Gewürze mit Früchten, Gemüsen und Süssem, dass sich zum Finale ein Glücksgefühl breitmacht.
Gasthaus zur Fernsicht, «Gourmet»
Seeallee 10
9410 Heiden
Telefon 071 898 40 40
sonntags und montags geschlossen, 15 «Gault Millau»-Punkte