Zwei Tendenzen bestimmen heute die Hotelwelt: Kunstvoll modernisierte Grandhotels sichern sich mit informellem Luxus, breit gefächertem Angebot und unverwechselbarer Identität die vorderen Plätze. Für das Salz in der Suppe sorgen vor allem die kleinen und feinen Häuser der Hotellerie, die mit stark differenzierten Konzepten sowie mit ästhetischer und kulinarischer Relevanz das Herz all jener höher schlagen lassen, für die ein Hotel mehr ist als eine angenehme Übernachtungsmöglichkeit.
Die besten Stadt- und Businesshotels
Für die Grossen ist und bleibt das Victoria-Jungfrau das herausragende Beispiel für ein zeitgemässes Allround-Hotel, das sich ständig neu erfindet, ohne seinen Charakter aufzugeben. Was immer Hausherr Emanuel Berger anrichtet, ist von schicker Perfektion und unerhört lässig. Bei ihm wurde Tradition plötzlich Kult und Gesundheit plötzlich cool. Doch bei allen Superlativen, die das «VJ» zu bieten hat, vergisst der Stilist der Schweizer Hotellerie eines nie: «Was die Menschen wirklich suchen, ist Geborgenheit.» Die Welt ist im 140-jährigen Grandhotel so wunderbar in Ordnung, dass der erste Rang bombenfest quer durch alle Bewertungssäulen des neunten BILANZ-Hotel-Ratings sitzt (siehe Nebenartikel «Methodik: So wurde bewertet»).
Auch im Beau-Rivage Palace in Lausanne (Rang 2) muss man nicht in Erinnerungen schwelgen, will man sich hier zu guten Geschäften oder entspannenden Tagen inspirieren lassen. Wie es scheint, hat sich die Hotel-Diva kurzerhand selbst in den Jungbrunnen plumpsen lassen, und das hatte im Wesentlichen zwei Gründe: eine Eigentümerfamilie, die bereit ist, auf die Zukunft zu setzen, und einen jungen Direktor, der klare Vorstellungen davon hat, wie Grandhotel-Glamour modern zu interpretieren ist. François Dussart sorgte in seinem zweiten Führungsjahr dafür, dass die Atmosphäre im Belle-Epoque-Palast an Gelassenheit und Souveränität gewann. Die Eröffnung des «Cinq Mondes Spa» im Oktober wird dazu beitragen, dass man in diesem Weltklassehaus einen ganz heutigen Energiefluss spüren kann.
Nicht mehr aus der Schweizer Hotellandschaft wegzudenken ist das Montreux Palace (3), das den Relaunch durch Direktor Michael Smithuis geschafft hat und neben leistungsfähiger Seminarinfrastruktur mit einem formidablen Wellnessbereich und zwei attraktiven Restaurants glänzt. Wir sind zuversichtlich, dass der soeben erfolgte Verkauf der Raffles-Gruppe an die US-Finanzgesellschaft Colony Capital einen weiteren Investitionsschub auslösen wird. Das Hotel Lausanne Palace (4), im BILANZ-Rating seit Jahren auf einem der vordersten Plätze, hat seine Konferenzräume hochgerüstet, seine Lounges aufgemöbelt und mit Edgar Bovier einen der besten Schweizer Hotelköche engagiert.
Wie ein Blitz schlug im September 2004 die Eröffnung des Park Hyatt (12) in der Zürcher Hotellandschaft ein. Anfänglich mit viel Häme bedacht, hat das hoch ambitionierte Businesshotel innert acht Monaten eine bemerkenswerte Konstanz in Serviceabläufen und Küchenleistungen erreicht und sich ein grosses Stück vom Kuchen der innerstädtischen Fünfsternekonkurrenz Baur au Lac (6), Savoy Baur en Ville (8), Widder (10) und Alden (22) geschnappt. Während das «Baur au Lac» auf museale Werte setzt, das «Savoy Baur en Ville» auf den Charme eines Stadtpalais, das «Widder» die Verbindung von Mittelalter und 90er Design zelebriert und das «Alden» die Privacy eines familiären Luxusdomizils verströmt, fallen im «Park Hyatt» die für Zürich ungewohnten Dimensionen auf. Die kleinsten der 142 puristisch gestylten Zimmer sind 36 Quadratmeter gross, die öffentlichen Räume im Erdgeschoss sind bis zu zehn Meter hoch. Lobby, Lounge, Restaurant und Bar sind wochentags fast rund um die Uhr als pulsierende Schnittstelle zwischen der Stadt und der grossen, weiten Welt erlebbar. Schwellenangst gibt es nicht, dafür fehlt im US-Kettenhotelbetrieb die atmosphärische Wärme und der persönliche Touch. Nun blickt die Branche mit Spannung hinauf zum Zürichberg, wo der britische Architekt Sir Norman Foster das Dolder Grand Hotel für 249 Millionen Franken umbaut und in die internationale Topliga katapultieren will. Die Eröffnung ist im Frühling 2007.
Was La Réserve (5) im Konzert der vielen klangvollen Namen der Genfer Hotellerie einmalig macht, ist sein Mut zur Polarisierung. Es erinnert seine überwiegend in wohlproportionierter Banalität dümpelnden Kollegen provokant an die Zukunft. Das exzentrische Interior-Design setzt den Gast unter Strom wie eine Batterie; aufgeladen kehrt er nach Hause zurück. Dem Team merkt man an, dass es aus Menschen mit einer echten Leidenschaft für das Bessere besteht. In der Genfer Innenstadt teilen sich das Mandarin Oriental du Rhône (9), das Beau-Rivage (23) und das Angleterre (25) die zahlungskräftigen Gäste auf – allerdings sehen alle mit Bangen der baldigen Wiedereröffnung von Des Bergues als Four Seasons Hotel entgegen. Im Aufstieg ist das zentral gelegene, gepflegte Bristol (28), ein Ort, der sich um den Zeitgeist foutiert, jedoch eine liebenswürdige Atmosphäre ausstrahlt und mit einer Zimmerauslastung brilliert, die rund 30 Prozent über dem Genfer Durchschnitt liegt.
Das Stimmungsbild der Berner und Basler Hotellerie ist unverändert trist. Mit Ausnahme der Viersterner Allegro (18) und Innere Enge (34) in Bern sowie des Victoria am Bahnhof (30) und der Dreisternhäuser Der Teufelhof (2) und Krafft (24) in Basel dominieren der global geklonte Standardlook und die deprimierende Profillosigkeit von Hilton, Radisson, Ramada und Swissotel. Die Suche nach dem Silberstreif am Horizont muss für ein weiteres Jahr aufgegeben werden. Dann aber könnte das derzeit in Verjüngungskur befindliche «Drei Könige» neuen Schwung in die Basler Hotelszene bringen und die Konkurrenz zum Handeln bewegen.
Gut geführte Hotels bieten ihren Gästen Kontinuität, sehr gute Hotels zeigen sich auch experimentierfreudig, ein Hotel mit höchsten Ansprüchen entwickelt sich hinsichtlich seiner Angebotspalette und der Qualität aller gebotenen Serviceleistungen beständig weiter. Das Palace Luzern (7) brilliert nach sechsmonatiger Bauzeit neu mit unkonventionell wohnlichen Zimmern und einem Spa, von dem die meisten Stadthotels nur träumen können. Das puristisch elegante Gourmetlokal «Jasper» zählt zu den schönsten und besten Restaurants der Schweiz, die liebenswürdige Crew um das Gastgeberehepaar Andrea und Constancia Jörger sorgt dafür, dass man sich im frisch strahlenden Jugendstilpalast wohl und bestens betreut fühlt. Auch das benachbarte Montana (11), bestes Vier-Sterne-Stadthotel der Schweiz, ist eine kleine Sensation für Gäste, die vom internationalen Einheitsstil gelangweilt sind. Das auf Tagungen spezialisierte Hermitage (26) konnte weiter zulegen, die Seeburg (35) ist endlich ganz aus dem Dornröschenschlaf erwacht, und das Des Balances (45) hat mit der Renovation des Restaurants den Anschluss wiedergefunden. Den Trend in der Schweizer Top-Hotellerie, sich mit Namen grosser Stararchitekten zu schmücken, begründete der Luzerner Hotelunternehmer Urs Karli mit The Hotel (19); nun plant er, sein Astoria (36) durch das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron zu einem Kongresshotel mit Showeffekt erweitern zu lassen.
Wer geschäftlich unterwegs ist, macht keine Ferien. Oder doch ein wenig? Le
Mirador Kempinski (13) hoch über Vevey, das Panorama Resort & Spa in Feusisberg (14) und das Trois Couronnes in Vevey (15) entführen Geschäftsreisende nicht ins Niemandsland, sondern bieten ein eskapistisches Erlebnis mit verfeinerter Wellnesskultur. Das privat geführte «Panorama Resort» zählt zudem zu den Vorreitern im Bereich Medical Spa und hat in der Kombination aus Geniessen und Heilen eine viel versprechende Nische gefunden.
Von null auf Rang 27 konnte sich das brandneue Businesshotel Sedartis in Thalwil platzieren. Es präsentiert sich in minimalistisch moderner Formensprache, atmosphärisch aufgewärmt durch insgesamt 720 Meter Seidenvorhänge, die an den Fenstern hängen und die Räume in sanft pastellfarbenes Licht tauchen. Das «Sedartis» überzeugt mit äusserst freundlichen Mitarbeitern, zeigt aber exemplarisch das Grundsatzproblem der so genannten Designhotels auf: Sie alle gleichen sich in ihrer synthetischen Unterkühltheit. Diese Coolness war einst neu und deshalb Aufsehen erregend und erfolgreich. Heute ist sie nur noch langweilig. Überall dieselben Designerstühle, dasselbe Mobiliar in dunklem Wengeholz, derselbe Ambient-Musikteppich, dieselbe Multikulti-Küche und dasselbe Schönheitsverständnis.
Anspruchsvolles Design in Verbindung mit einer gelebten Hotelkultur und einem markanten Hotelprofil – wie etwa in «La Réserve» in Genf oder in «The Hotel» in Luzern – kommt selten zum Tragen. Statt etwas ganz Neues zu wagen, das unverwechselbar wäre, orientieren sich die Hoteliers an den Trendsettern und kopieren deren Konzepte zu Tode. Sie vergessen, dass die Trendsetter bereits einen Schritt weiter sind und die Gäste sich heute vermehrt nach Echtem, Eigenständigem sehnen. Die Welt des globalisierten Lifestyle ist okay, aber nur in Verbindung mit lokaler Identität und authentischem Gesamtauftritt.
Bei den Dreisternhäusern haben es gleich vier Newcomer in die Top Ten geschafft: Die auf Tagungen spezialisierte Kartause Ittingen in Warth (8) überzeugt mit guter Seminar-Infrastruktur und freundlicher Crew in besonderem Rahmen. Die innovative Genfer Hotelkette Manotel, die mit zwei Dreisternern im Ranking vertreten ist, verpasst jedem ihrer Häuser ein klar definiertes Profil – so steht zum Beispiel das Jade (10) für «Harmonie mit Feng-Shui» und das Kipling (15) für «koloniale Nostalgie». Die avantgardistische City-Residenz Rigiblick in Zürich (5) ist eine architektonische Wohltat und schmeichelt allen Sinnen, nicht zuletzt dank dem kulinarischen Esprit des Gastgeberpaars Lucia und Felix Eppisser.
Von null auf Rang 3 landete das Seminarhotel Unterhof am Rhein in Diessenhofen: die in einer historischen Anlage untergebrachte 89-Zimmer-Retraite profiliert sich mit fein kalibrierter Ästhetik, hochprofessioneller Betreuung und vielfältigen Möglichkeiten für Schulungen, Gedanken- und Meinungsaustausch. Mit einer ganz eigenen Identität fern vom typischen Hotel-Outfit sowie einer sagenhaften Küche behauptet sich der «Teufelhof» in Basel auf Rang 2. Der Florhof in Zürich, wiederholter Gewinner unter den städtischen Dreisternbetrieben, überflügelt sowohl atmosphärisch als auch kulinarisch selbst die meisten Luxushotels in Downtown Switzerland. Damit zeigt die Zürcher Wohlfühlvilla einen wichtigen Punkt auf: Es ist nicht immer die Anzahl Sterne, die ein Hotel zu dem erheben, was es sein möchte, sondern die persönliche Note, die Liebe zum Detail und das Gefühl, als Gast erwünscht zu sein, statt nur erwartet zu werden.
Die besten Ferienhotels
«Wenn man in ein Hotel tritt, sollte es sein, als hebe man auf einem fliegenden Teppich ab», ist die Devise von Daniel Ziegler. Der Mann hat leicht reden, denn mit dem Eden Roc in Ascona gebietet er über eines der schönstgelegenen Hotels der Schweiz. Der Spitzenplatz in den BILANZ-Charts erfordert mehr als eine magische Umgebung, vor allem wenn das Haus zum fünften Mal in Folge auf dem ersten Rang landet. Die zauberhafte Naturkulisse mag eine Rolle spielen, dass man hier nach zehn Minuten die Zeit und nach zwanzig Minuten die Welt vergisst – doch auch andere Hotels liegen traumhaft und müssen dennoch auf Gäste warten. Es kommt eben Verschiedenes zusammen, das den Erfolg des «Eden Roc» ausmacht: das prickelnd-glamouröse Ambiente, die Perfektion in kleinen Dingen, die feine mediterrane Küche, die zuvorkommende Hotelcrew, die starke Hand Zieglers, der nicht nur ein toller Gastgeber, sondern auch ein netter Kerl ist und mit jedem Gast das Gespräch sucht.
Das Castello del Sole (Rang 2) bietet mehr als die perfekt inszenierten Lifestyle-Bühnen anderer Fünfsternehotels. Luxus wird hier anders definiert, und zwar als grosser Freiraum mit fast unbegrenzten Möglichkeiten. Die nächsten Nachbarn sind mehrere hundert Meter entfernt, durch die Alleinlage inmitten des eigenen Landwirtschaftsbetriebs im Maggia-Delta erfüllt die Nähe zur Natur hier nicht blosse Dekorationsaufgaben, sondern macht sich allen fünf Sinnen bemerkbar. Der riesige Hotelpark ist wie ein Wohnzimmer im Freien, mit Ecken zum Lesen, Essen, Arbeiten, Spielen, Entspannen. Die Energie der hundertjährigen Bäume ist enorm, der schilfgesäumte Privatstrand ein Traum, und beim Abendessen freut man sich, dass Risotto, Spargel, zahlreiche Gemüse- und Obstsorten, Kräuter und Beeren sowie ein Dutzend Weine aus eigener Produktion stammen. Die Küche von Othmar Schlegel hat nichts von jener mediterranen Frische eingebüsst, die seit Jahren zum Markenzeichen der Nobel-Lodge gehört. Dem Gastgeberpaar Simon V. und Gabi Jenny ist es gelungen, die Anlage mit gezielten Eingriffen effizient zu erneuern und ihr eine ungezwungene Natürlichkeit zu verleihen. Die einzigartige Naturszenerie des «Castello del Sole» zwingt die Tessiner Konkurrenz zu immer neuen Designkulissen und Bühnenbildern, über die sich das zeitlos eigenständige «Sonnenschloss» unaufgeregt hinwegsetzen kann.
Auch das Riffelalp Resort ob Zermatt (3) zeigt, wohin sich wirklicher Luxus in den nächsten Jahren entwickeln wird. «Das Schönste, was man dem Gast schenken kann, ist Zeit», sagt Hans Jörg Walther. Der Macher des Wohlbehagens im reinrassigen Ferienhotel ermuntert seine Gäste, ihre Sinne für die Schönheiten der Natur zu öffnen, die Energietanks in der Bergwelt zu füllen und Sonne ins Herz zu lassen. Viele Erholung suchende Workaholics aus aller Welt fühlen sich hier auf 2222 Meter Höhe zu Hause, und Walther sorgt unermüdlich dafür, dass selbst innerhalb einer der komplexesten Hotelmaschinen der Schweiz kein Wunsch unerfüllt bleibt.
Mit unkompliziertem Luxus, strahlend charmanten Mitarbeitern und beständig einfallsreicher Küche konnten sowohl das «Riffelalp Resort» als auch der Lenkerhof in Lenk (4) weiter nach oben klettern und das Grand Hotel Bellevue in Gstaad (6) innert Jahresfrist abhängen. Die Gstaader Design-Ikone hat nach dem abrupten Abgang von Georges Ambühl jedoch mit Michel und Ilse Wichman eine viel versprechende neue Direktion erhalten und wird gerade um zwei Chalets mit 22 Zimmern erweitert. Seinen hohen Standard halten konnte das Park Hotel Weggis (5). Der schwierige Spagat zwischen Ferien- und Tagungshotel gelingt hier scheinbar mühelos. Wir freuen uns, dass Besitzer Martin Denz bald eine weitere Bauetappe zündet, und sind überzeugt, dass der geplante Erweiterungsbau (zehn Luxussuiten und ein Badetempel mit schwarzem Naturstein-Aussenpool) die Anlage optimal ergänzen wird.
Moderne Hoteloasen wie die Dritt- bis Sechstplatzierten kommen bei zahlungskräftigen Gästen unter 50 gut an. Doch ein Blick auf die Ranglisten zeigt, dass auch andere Strukturen äusserst erfolgreich sein können. Das Gstaad Palace (9) und das Mont Cervin Palace in Zermatt (12) etwa. Beide Alpenpaläste haben sich einer gründlichen Auffrischung unterzogen, ohne von ihrem klassisch gemütlichen Bergcharakter eingebüsst zu haben. Die Besitzerfamilien Scherz und Seiler, die zu den letzten Mohikanern der Schweizer Luxushotellerie gehören, setzen ein selbstbewusstes alpines Funktionssignal gegen das internationale Lifestylediktat und geben damit der Tradition eine Zukunft. Tritt man in ihre Häuser, spürt man sofort: Da ist ein Herz. Egal, wo man ist, ob in der Hotelhalle, im Restaurant oder im Zimmer, man hört und fühlt es schlagen.
Wie aber ortet man das Herz eines Hotels? Wie kommt es, dass ein Haus eine fade oder faszinierende Ausstrahlung hat? Warum sind zum Beispiel das «Victoria-Jungfrau» oder das «Eden Roc» zwei vor Vergnügen sprühende Orte, und warum ist derlei im Quellenhof (16) kaum zu spüren? Wir wagen eine Antwort: Die Bastion von Bad Ragaz kränkelt an der Vielzahl von Konzepten und Chefs. Es fehlt die ansteckende Herzlichkeit eines mit weit reichenden Kompetenzen versehenen Vollblut-Gastgebers, der dem Gesundheitsresort wieder eine Seele einhauchen würde und den Gästen jenes Stück Lebensfreude zu vermitteln im Stande wäre, das den «Grand Hotels Bad Ragaz» derzeit abgeht. Stattdessen gibt es personelle Abgänge an allen Fronten – derjenige der visionären Spa-Leiterin Corinne Denzler schmerzt besonders (Sie setzt ihr enormes Know-how nun für das «Eden Roc» und das «Tschuggen Arosa» ein). Um über die rückläufige Zimmerauslastung hinwegzutrösten, weist die Geschäftsführung auf die erfreuliche Entwicklung des Casinos und auf die gesteigerten Umsätze im medizinischen Zentrum hin. Genügt das für ein Resort, dessen erklärtes Ziel es ist, in der obersten Liga mitzuspielen?
Trotz umfangreichen Renovationsarbeiten überzeugt das Park Hotel Waldhaus in Flims (19) nur partiell: Zu ungleich bleiben die verschiedenen im weitläufigen Park verstreuten Trakte der Anlage. Und auch wenn wir uns für die ehrenvolle Auszeichnung als «Gault Millau»-Hotel des Jahres 2004 freuen, kann die aufwändige Sanierung nicht wirklich als richtungsweisend bezeichnet werden. Überzeugend sind nur das Gästehaus Villa Silvana, die in frischen Farben gehaltene Pavillon-Lounge-Bar und das «Delight Spa», eine aufregende Mischung von Hightech und Zen. Leider bleiben die miefige Hotelhalle und das geradezu kafkaeske System von Korridoren und Treppenaufgängen ein Stimmungskiller. Die Gästebetreuung ist zu wenig engagiert, um solche Schwächen überstrahlen zu können.
Auf der Gewinnerseite sind die Engadiner Hotelflaggschiffe Suvretta House (8), Kempinski Grand Hôtel des Bains (14) und Badrutt’s Palace (15). Ihnen gemeinsam sind charismatische Hoteldirektoren, die sich unternehmerische Freiheiten erkämpft haben, als Kapitäne klar die Richtung bestimmen und dabei nahe am Geschehen bleiben. Auch das während Jahrzehnten wie ein Luxusinternat geführte Park Hotel Vitznau (21) hat seit dem Direktionswechsel an Leichtigkeit und Durchschlagskraft gewonnen: Der aus Baden-Baden zugezogene Thomas Kleber ist konservativ auf progressive Art und aktiv dabei, die steife Bemühtheit früherer Tage durch moderne Eleganz zu ersetzen und so der luzernischen Riviera als Destination zusätzliche Schubkraft zu verleihen.
Im Windschatten der grossen «Mühlen», die sich bei der Gratwanderung zwischen Rentabilität und Renommee Experimente, innenarchitektonische Flausen oder starke Individualisierung besser verkneifen, setzen kleinere Hotels immer wieder Massstäbe – auf Grund ihrer Beweglichkeit und durch ihr markantes Hausprofil und ihre klare Ausrichtung auf ein spezifisches Gästesegment.
In der Schweiz zählen etwa das Haus Paradies in Ftan (7) sowie die Dreisternhäuser Cœur des Alpes in Zermatt (2), Zauberberg in Davos (3) und Bella Tola in St-Luc (5) zu den aussergewöhnlichen Klein- und Feinhotels mit Stil und Witz, aber ohne jeglichen Protz. Auch die Newcomer Schloss Schauenstein in Fürstenau (4), Seehof in Arosa (9) und Verbier Lodge (10) gehören zu der Kategorie jener Häuser, die sich mit stilsicherer Hand von der gängigen Hotelästhetik lösen und sich dennoch der Gefahr des Überdesigns bewusst sind. Denn nichts ist langweiliger, als den Gast zum staunenden Statisten zu machen. Das Misani in Celerina, das in Sachen zeitgemässer Hotellerie eine Klasse für sich ist und erstmals an der Spitze liegt, beweist mit seiner Hinwendung zu frechem Design Mut zu einer gewissen Wildheit und Unvollkommenheit – und überraschte seine Gäste im vergangenen Winter mit einem weiteren belebenden Akzent: dem neuen Tapas-Restaurant «Bodega» mit Weinbar im stattlichen Gewölbekeller. Das Lokal wurde im Nu zur In-Adresse der Alpen. Dafür, dass der Hype des 39-Zimmer-Hotels auch im sechsten Betriebsjahr anhält, sorgt Jürg Mettler, unser Hotelunternehmer des Jahres (siehe Nebenartikel «BILANZ-Hotelunternehmer des Jahres: Jürg Mettler»). Mit freundlicher Kompromisslosigkeit hat er aus seinem «Misani» die Art von Hotel geschaffen, in dem er selbst gerne Gast wäre.
Die stille Sensation im diesjährigen BILANZ-Hotel-Rating ist das Castell in Zuoz, das auf Anhieb Platz 10 erreichte. Der beeindruckende Umbau des historischen Hotels beweist, was Architekten schon seit einiger Zeit behaupten: dass gelungenes Design eine friedliche und entspannende Atmosphäre verbreiten kann. Dabei ist das «Castell», was die Innenarchitektur betrifft, ziemlich radikal. Denn was bleibt übrig, wenn man sich jedes alpenländische Klischee wegdenkt? Nichts Vorhersehbares jedenfalls. Wenn es sich nicht anfühlt und nicht aussieht wie ein Berghotel, wird einem der Aufenthalt dort dann trotzdem noch wie ein Bergurlaub vorkommen?
Die Antwort ist ein beruhigendes Ja. Die 66 Zimmer sind behaglich, aber auf eine urbane Weise, eher Avantgarde als alpin. Die verwendeten Materialien stellen Bezüge zum Engadin her. Der Schockfaktor im «Castell» ist jedoch die Contemporary Art, die aus dem Hotel eine kleine Tate Modern macht. Über hundert Installationen und Werke von Pipilotti Rist, Fischli/Weiss, Thomas Hirschhorn und Künstlern von ähnlichem Kaliber verteilen sich unaufdringlich und ganz selbstverständlich auf vier Stockwerken.
Hotelbesitzer Ruedi Bechtler ist im eigentlichen Leben Kunstsammler. Eine seiner Leidenschaften sind die Kunsthappenings des Sprengstoffvirtuosen Roman Signer, dessen Geniestreiche fotografisch gut dokumentiert sind – etwa wie auf der Wiese vor dem Hotel alte Sessel in die Luft gejagt werden. Die Renovation des «Castell», das der Heimatschützer Nicolaus Hartmann kurz vor dem Ersten Weltkrieg im Stil einer mittelalterlichen Burg errichtet hatte, wurde durch den Bau des daneben stehenden Luxus-Apartmenthauses finanziert. Der funkelnde Glaskomplex scheint auf den ersten Blick wie aus dem Weltraum gefallen, fügt sich aber bei näherer Betrachtung als lustvoller Kontrast und attraktiver Fremdkörper in die schroffe Alpenlandschaft ein. Natürlich ist auch das Hamam innerhalb der wuchtigen Grundmauern nicht irgendein Dampfraum in pseudoorientalischem Look, sondern eine überdimensionale, sinnliche Skulptur mit riesigen Glaszylindern und zauberhaften Farbnebeln. Dass die Gäste im ganzen Kunststück ein Gefühl der Zufriedenheit überkommt, ist das Ergebnis einer ungeheuren Anstrengung von Bettina und Richard Plattner-Gerber, unseren Hoteliers des Jahres (siehe Nebenartikel «BILANZ-Hoteliers des Jahres: Bettina und Richard Plattner-Gerber»).
Was hat sich sonst getan im letzten Testjahr? Das Hof Weissbad in Appenzell (20) erfreut mit kontinuierlicher Vorwärtsstrategie und durchwegs erneuerten Zimmern, das Mirabeau in Zermatt (34) hat einen hübschen Neubau mit sinnlich-modernem Dekor in warmen Naturmaterialien plus ein kleines Spa erhalten, das Vieux Manoir am Murtensee (37), das Caprice (38) in Wengen und das Grand Hotel Kronenhof in Pontresina (39) finden zu neuer Grandeur. Das Belvédère in Scuol (45) hat sich mit einer 135 Meter langen Glas-Passerelle ans Erlebnisbad Bogn Engiadina angedockt. Neu im Kreis der Besten sind das Golfhotel Les Hauts de Gstaad in Saanenmöser (44), Le Grand Chalet in Gstaad (46), La Renardière im waadtländischen Villars (48) und das Beausite Park Hotel in Wengen (50). In der Pipeline sind das «Tschuggen» in Arosa, das mit dem Wellnesstempel von Architekt Mario Botta (Investition: 30 Millionen Franken) über die Grenzen der Schweiz hinaus Furore machen will, der Schatzalp-Turm als geplante Rettung des Davoser Zauberbergs (Herzog & de Meuron) und «The Omnia» in Zermatt als Wiederauferstehung des ehemaligen «Into the Hotel» mit gänzlich verändertem Konzept.
Alle Hoteliers, die mit ihren Häusern in der BILANZ-Rangliste vertreten sind, können sich als Gewinner fühlen: Sie spielen in der Oberliga der insgesamt 5500 Beherbergungsbetriebe im Land und stehen für sehr unterschiedliche Interpretationen davon, was Hotellerie heute sein kann. Dass es nicht 150 erste Plätze gibt, mag nicht jeder verstehen, doch tröstet das Bonmot der quicklebendigen Hotellegende Hans C. Leu: «Jeder Hotelier, der sich nicht in den ersten Rängen findet, fühlt sich naturgemäss unterschätzt, während die Gastgeber der top gesetzten Hotels insgeheim wissen, dass sie überschätzt sind.»