Vor kurzem war ich in den USA. Mein letzter Besuch in den Staaten war bereits eine Weile her, und ich hatte vergessen, wie viel schriller die Kultur im Land ist, verglichen mit der Schweiz: An jeder Hausfassade blinkt ein Werbeplakat, zum Essen gibt es Fleisch oder Frittiertes, und Autos röhren durch die Stadtschluchten. Auch die Amerikaner selber sind lauter – aber auch offener. Jeder fragt: «Hi, how is it going?» – der ansteckenden Positivität kann man sich nicht entziehen.
Genau so wie das Land und die Leute – laut, bunt und voluminös – sind die amerikanischen Weine. Das Credo lautet sortenrein: Cabernet Sauvignon oder Pinot Noir, Chardonnay oder Sauvignon Blanc. Alle Traubensorten wandern einzeln in die Flaschen.
Beim Abendessen in einem Surf-and-Turf-Restaurant in Chicago bewahrheitete sich die Aussage: Zu den Meeresfrüchten – die Stadt liegt zwar nicht am Meer, trotzdem sind Hummer, Austern und Co. ein Klassiker – servierte das Personal einen Chardonnay. Schon das erste Schnuppern zeigte dessen kalifornische Herkunft: Den intensiven Duft von gelben Früchten ergänzt eine Aromatik von Karamell, gebrannten Mandeln und Honig. Ungewohnt für den europäischen Gaumen, aber typisch amerikanisch, denn Chardonnays werden hier im Holzfass oder mit Holzschnitzeln ausgebaut.
Im Volksmund nennen die Amerikaner ihren Chardonnay auch «Chablis». Ein Graus für die Franzosen, denn Chablis ist ihre Toplage für reinen Chardonnay. Sie liessen die Region bereits 1938 als Appellation d’Origine Contrôlée (AOC) schützen. Doch den Amerikanern war das herzlich egal: Sie bezeichneten ihre Chardonnays weiterhin so. Ende der 70er-Jahre artete die Diskussion aus, als Winzer mit «Californian Chablis» warben. Die AOC wehrte sich rechtlich dagegen. Das zwang die Winzer, ihre Weine in «Chardonnay» umzubenennen. Trotzdem hält sich der Begriff im Volksmund hartnäckig.
Profiteure davon sind nicht zuletzt Luzerner Fünfsternehäuser: Sie verkaufen flaschenweise Chablis an amerikanische Touristen. Als Schweizer halten sie sich aber an die Regeln und servieren statt eines hölzernen Kaliforniers einen frischen Franzosen. Wenig Unterschied macht das beim Preis. Denn nicht nur Chablis sind Topweine mit stolzem Preisschild, auch amerikanische Qualitätsweine haben ihren Wert.
Typisch: Rombauer Chardonnay
Kalifornische Opulenz im Weinglas: Dieser Chardonnay aus dem Napa Valley, hoch prämiert und weitbekannt, gehört zu den absoluten Klassikern. So traditionell wie die Etikette ist auch der Inhalt: reife Früchte, gemischt mit Vanille, Karamell und Butterscotch. Der lange Abgang zeigt die Qualität dieses Kaliforniers.
Chardonnay, Rombauer, Carneros, Napa Valley, Kalifornien. 48 Franken, 14,5% vol. Alk.
In dieser Kolumne schreiben die «Handelszeitung»-Redaktoren Michael Heim, Ben Müller und Tina Fischer alternierend einmal im Monat über Bier und Wein. Fischers Familie besitzt eine Weinhandlung.