Der lange erwartete Bericht zur KI-Regulierung sowie ein darauf basierender Bundesratsentscheid zur Frage, wie die Schweiz KI regulieren will, liegen nun vor. Der ausführliche Bericht sowie die zusätzlich publizierten Analysen werden dabei dem Namen des Auftrages gerecht: Es handelt sich um eine Auslegeordnung und somit erst um den Startschuss der politischen Debatte, wie die Schweiz künstliche Intelligenz regulieren will. Wohl im Wissen, dass es sich hier um ein sich sehr schnell entwickelndes Technologiefeld handelt, zeigt sich der Bundesrat betont bedacht und fokussiert auf die durch die Schweiz ausgehandelte KI-Konvention des Europarates. Genau wie beim Datenschutz verfolgt die Schweiz auch in der Frage der künstlichen Intelligenz konzeptionell einen anderen Ansatz der Regulierung – nämlich mit sektoralen Gesetzen, deren Anpassungen auf KI geprüft wurden, statt eines horizontalen Gesetzes für KI – und bleibt dem Anspruch der technologieneutralen Regulierung treu, auch wenn man die Regulierungen wie den AI Act der Europäischen Union natürlich zur Kenntnis nimmt.
Trotz Verzögerungen enthalten sowohl die veröffentlichten Dokumente als auch der Entscheid selbst keine Überraschungen. Doch das ist nicht unbedingt Grund zur Freude. Denn der Umgang der politischen Schweiz mit dem Thema künstliche Intelligenz krankt vor allem an zwei Dingen.
Der Gastautor
Nicolas Zahn ist Geschäftsführer der Swiss Digital Initiative, die das Swiss-Digital-Trust-Label herausgibt.
Erstens gibt man sich wie so oft reaktiv statt proaktiv. Man wartet und schaut, was der Rest der Welt macht, und sucht sich dann das Modell aus, welches sich durchsetzt. Keine schlechte Taktik, gewiss. Doch sie kommt mit Kosten, die allzu oft vergessen gehen. Man könnte nämlich auch sagen, dadurch, dass der Bundesrat jetzt «nur» eine Auslegeordnung vorgelegt hat und Vernehmlassungsvorlagen Ende 2026 (sic!) präsentieren möchte, zieht er sich auch aus der Verantwortung. Teile der Wirtschaft dürften ob des Entscheides frohlocken, denn ihrem seit Jahren unveränderten Mantra «Hauptsache keine neuen Regeln» wurde erneut Folge geleistet. Doch die Kehrseite ist ein Mangel an Rechtssicherheit. Gerade Technologien wie die künstliche Intelligenz, bei denen der Marktdruck und das Interesse, zu investieren, gross sind, bräuchten aber diese Rechtssicherheit. Welche Regeln gelten denn nun, wenn Schweizer Firmen KI entwickeln und einsetzen wollen, insbesondere wenn sie diese aus Europa beziehen oder dorthin weiterexportieren wollen?
Der Bundesrat spielt hier nun der Wirtschaft den Ball zu, und sie täte gut daran, den nächsten Pass gut zu überdenken. Denn sie trägt jetzt die Verantwortung dafür, das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in Sachen KI zu gewinnen und nicht leichtfertig zu verspielen. Freiwillige Initiativen und Verpflichtungen wie die Arbeit der Swiss Digital Initiative mit dem Digital-Trust-Label oder Self-Assessments und Zertifizierungen nach neuen ISO-Standards können hier einen Beitrag leisten. Klar ist, die Nutzung von KI in der Schweiz steht unter scharfer Beobachtung, nicht nur bei den Kundinnen und Kunden, sondern auch politisch mit Forderungen nach KI-Gesetzen wie zum Beispiel durch Algorithmwatch Schweiz lanciert.
Schwerwiegender ist aber das zweite Problem: Es fehlt der Blick fürs Ganze. Denn die Frage der Regulierung ist nur ein Aspekt, wenn es um strategisch wichtige Technologien wie künstliche Intelligenz geht. Wo ist die grundlegende Strategie, wie die Schweiz mit KI umgehen und ihr Potenzial nutzen möchte? Es gibt zwar Initiativen zum Aufbau eigener Sprachmodelle wie die Swiss AI Initiative. Doch diese haben einen klaren Fokus auf die Forschung und werden insbesondere von den Eidgenössischen Hochschulen vorwärtsgetrieben. Wie werden daraus eigene Firmen, die Wachstum in die Schweiz bringen?
Im Grossraum Zürich herrscht erneut Freude über die Ansiedlung diverser KI-Firmen und deren Forschungszentren. Doch was bringen diese Standorte den Schweizer Interessen ausser Prestige und Steuereinnahmen? Und würde man auch chinesische Forschungsstandorte trotz zu erwartendem amerikanischem Druck zulassen und fördern?
KI bietet auch in der Verwaltung grosses Potenzial und es gibt schon diverse Projekte sowie Austauschplattformen. Aber wo ist die politische Leadership? Wie stellen wir sicher, dass wir uns nicht im Klein-Klein der Zuständigkeiten verlieren? Jetzt, wo KI plötzlich «sexy» ist, wie werden Kompetenzen und Ressourcen in der Bundesverwaltung verteilt in einem Umfeld, in welchem der Staat auch bei sich eigentlich sparen möchte?
Und die schwierigste, aber auch eine entscheidende Frage: Wie passt KI in eine geopolitisch herausfordernde Welt und wie kann die Schweiz dieses unfreundliche Umfeld navigieren? Ein erster Warnschuss erfolgte mit den noch unter der Regierung Biden verordneten KI-Exportkontrollen, welche der Schweiz einen Standortnachteil bescheren und den zuständigen Bundesrat besorgt zurücklassen.
Dann wäre da noch der kürzlich durchgeführte KI-Gipfel in Paris, an welchem auch die Schweiz teilnahm, doch auch hier sehr zurückhaltend blieb. Dabei steht der Gipfel jetzt schon für eine Zäsur, und die Schweiz, welche sich am ersten dieser Treffen in Grossbritannien und nun erneut als möglicher Durchführungsort für kommende Konferenzen ins Spiel gebracht hat, hätte hier eine Chance. Denn global durchläuft das Thema KI Governance gerade seine eigene Zeitenwende, weg von Diskussionen über «AI risk» und «AI safety» hin zu «Tech-Realpolitik». Unter dem Druck der USA und dem Wettlauf gegen China zeigen sich erste Anzeichen, dass sogar die EU von ihrem Regulierungskurs abweichen könnte. Was bedeutet das und welcher Spielraum ermöglicht sich hier für die Schweiz, auch im Hinblick auf die Verhandlungen zu den Beziehungen Schweiz–EU? Da der Gipfel in Paris insbesondere bei der digitalen Zivilgesellschaft nicht gut ankam, hat die Schweiz hier auch das Potenzial für einen nächsten Gipfel, die Lehren aus Paris zu ziehen, zum Beispiel was den Einbezug von Stakeholdern betrifft, und dabei auch den Standort des internationalen Genf zu stärken, der ja ohnehin seit längerem eigentlich ein Hub für Digitaldiplomatie werden sollte.
Doch alle diese Fragen werden sich nicht von selbst beantworten und diese Hoffnungen werden sich nicht einfach so erfüllen. Es braucht ganz klar mehr politische Leadership beim Thema KI und eine klare Vision und breit abgestützte Strategie, um vom kurzfristigen Reaktivmodus und dem Abschieben von Verantwortung wegzukommen. Bis dahin steht ansonsten bald der Begriff KI in der Schweiz nicht für künstliche Intelligenz, sondern für «keine Idee».